Blog

Steigende Lebensmittelpreise in Lateinamerika

Herausforderungen beim Neustart des Tourismus


Lebensmittel

Produktvielfalt aus der andinen Landwirtschaft von Edelina und Jacinto Justo, Chuquis, Provinz Huanuco, Peru; Foto: Florian Kopp Project:DIACONIA

Auch wenn Lateinamerika Tausende von Kilometern entfernt ist, beginnen die Menschen die negativen Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine zu spüren. Steigende Energiepreise und die Verknappung von Getreide und Düngemitteln, für die die Ukraine, Russland und Weißrussland die größten Produzenten sind, führt auch in Lateinamerika zu höheren Lebensmittelpreisen. Dies schadet auch dem immer noch fragilen Aufschwung des Tourismus in der Region. Welche Möglichkeiten hat der Tourismus, um sich an die neuen Herausforderungen anzupassen?  

Auswirkungen des russischen Krieges auf die Lebensmittelpreise in Lateinamerika

Viele Länder wie Bolivien, Argentinien oder Brasilien bauen zwar auch selbst Weizen an, sie sind aber zusätzlich auf den internationalen Markt angewiesen. Deshalb haben sie mit dem Druck der höheren internationalen Preise zu kämpfen. Nach FAO Angaben sind die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse schnell gestiegen. Seit der russischen Invasion haben die Preise historische Höchststände erreicht. Heute liegt der Getreidepreisindex um 56,2 Prozent über dem Wert von vor einem Jahr.  Infolgedessen hat Mehl bereits einen Preisanstieg zu verzeichnen. In Bolivien stieg der Preis in nur vier Monaten, zwischen März und Juni, um 27 Prozent. In Argentinien stiegen die Preise allein im Mai um 10,5 Prozent. Ein steigender Mehlpreis führt unweigerlich zu steigenden Kosten für Produkte wie Nudeln, Brot und Backwaren.

Die Lieferung von Düngemitteln ist ein weiterer Punkt, der in der Region Anlass zur Sorge gibt. Düngemittel werden in der Regel für den Anbau einer Vielzahl von landwirtschaftlichen Produkten verwendet. In Bolivien werden sie u.a. für den Anbau von Kartoffeln, Mais, Tomaten und Zwiebeln verwendet. Andere Länder benötigen sie für den Anbau von Kaffee, Mais, Bohnen, etc. Weniger Düngemittel führen zu geringeren Produktionsmengen und damit ebenfalls zu steigenden Preisen. In Lateinamerika sind verschiedene Länder von den Importen aus Russland abhängig, darunter große Volkswirtschaften wie Brasilien, Mexiko und Kolumbien. Als Folge davon wird die Nahrungsmittelproduktion geringer ausfallen und die Preise auch für einheimische Produkte werden steigen.

Der Tourismus in Lateinamerika: Chancen und Herausforderungen  

Vor der COVID-19-Pandemie war der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig in Lateinamerika. Er trug 8,2 % zum regionalen BIP bei und bot 17 Millionen Arbeitsplätze (8 % der Arbeitsplätze in der Region). Im Jahr 2021 verzeichnete Südamerika im Vergleich zu 2019 78 % weniger internationale Touristen und war damit eine der Regionen der Welt, deren Tourismus am stärksten von der Pandemie betroffen waren.  

Neue Herausforderungen, wie steigende Lebensmittelpreise, treffen eine Tourismusbranche, die kaum noch Energie hat, um eine weitere Krise zu verkraften. Aber es gibt keine andere Möglichkeit. Die neue Situation mit deutlich höheren Lebensmittel- und Düngemittelpreisen, verstärkt die Notwendigkeit, an Strategien zur Verringerung der Lebensmittelverschwendung im Hotelsektor zu arbeiten und neue Wege für die lokale Produktion und Beschaffung zu entwickeln, die weniger von internationalen Quellen abhängig sind.

Anpassungsstrategien an die neue Normalität

Ein wichtiger Teil einer Anpassungsstrategie ist die Veränderung des Konsumverhaltens bei Lebensmitteln im Tourismus. Restaurants und Hotels, deren Speisekarten auf Weizenprodukten, Nudeln und Brot basieren, mussten ihre Preise bereits deutlich erhöhen, da ihre Einkaufskosten gestiegen sind. Unternehmen mit lokalen Lieferanten und einer Vielzahl lokaler Produkte können Lebensmittel leichter kombinieren oder ersetzen. Eine lokale Restaurantbesitzerin in Sucre, Bolivien, erzählte mir, dass sie noch nicht gezwungen war, die Preise zu erhöhen, weil sie ihre Speisekarte an die neue Situation anpassen konnte. Die Zusammenarbeit mit ökologisch wirtschaftenden Kleinerzeugern könnte eine attraktive Option für ein Tourismusunternehmen sein, um einen erlebnisorientierten Tourismus zu fördern, bei dem alte Anbaupraktiken wieder aufgegriffen werden und traditionelle Rezepte der Großeltern für die Zubereitung der Speisen für die Besucher verwendet werden.

In den letzten Jahren haben Programme wie die "Manqa-Schulen" die Lebensmittelkreisläufe in Lateinamerika verändert. Die erste Manqa-Schule wurde 2014 im bolivianischen El Alto mit dem Ziel gegründet, Arbeitsplätze zu schaffen, Unternehmertum zu fördern und ländliche Gebiete aufzuwerten. Junge Menschen erhalten eine ganzheitliche Ausbildung in der Gastronomie, sie erlernen die Grundlagen gesunder Produkte und die Bedeutung der Reduzierung von Lebensmittelabfällen. Bis 2021 wurden 6.000 junge Menschen zu Köchen ausgebildet - nicht nur in Bolivien, sondern auch in Kolumbien und Honduras, wo das Schulmodell nachgeahmt wurde. Gastronomieschulen wie die Manqa-Schulen verändern die Ernährungsgewohnheiten in der Gastronomie, verringern die Lebensmittelverschwendung im Tourismussektor und sorgen für Ernährungssicherheit in der Bevölkerung.  

Ein weiterer Weckruf zur Umgestaltung der touristischen Lebensmittelkreisläufe

Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Folgen für das globale Lebensmittelsystem sind ein weiterer Weckruf, die Lebensmittelbeschaffung weltweit neu zu gestalten - auch in Hotellerie und Gastronomie. Für den Tourismus wäre dies eine Win-Win-Situation: Reisende könnten authentische Küche und lokale Traditionen erleben. Die lokale Wertschöpfung käme sowohl den örtlichen Landwirten als auch den gastgebenden Gemeinden zugute. Weniger Lebensmittelverluste und -verschwendung sowie eine regionale Landwirtschaft würden sich positiv auf das Klima und die biologische Vielfalt auswirken. Und schließlich würde der Tourismus im Allgemeinen seine Widerstandsfähigkeit erhöhen, da er weniger anfällig für externe Schocks wäre, auf die lokale Akteure in weit entfernten Ländern keinen Einfluss haben, wie etwa der russische Krieg gegen die Ukraine.  

Emma Saavedra ist Projektverantwortliche im Referat Wirtschaft und Nachhaltigkeit. Sie unterstützt die Referentinnen und Referenten zu den Themen Digitalisierung, Rohstoffhandel und Tourismus. Zuvor hat sie mehr als 10 Jahre als Programmreferentin im Bereich Landwirtschaft und Gender in Bolivien und Peru gearbeitet. Sie ist Bolivianerin und lebt seit 2020 in Deutschland.

Unser Tipp für Sie aus dem One Planet Guide:

"Wenn möglich, nutze ich lokale Verkehrsmittel und gehe in Restaurants vor Ort essen."

Weitere praktische Tipps und Anregungen können Sie im One Planet Guide sammeln. Probieren Sie es aus!