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Menschen in Armut fotografieren?

Pro und Contra


Ob Slums, Townships oder Favelas: benachteiligte Stadtviertel werden immer häufiger von Touristen besucht. Werden solche Ausflüge sozialverantwortlich organisiert, können Bewohner und Touristen gleichsam etwas davon haben, im Sinne von Win-Win-Situationen. Besucher können die Lebensumstände von Menschen abseits der Touristenattraktionen besser verstehen lernen. Doch wie sieht es mit dem Fotografieren aus? Ist das ethisch vertretbar?

Ja, wenn es mit Respekt geschieht

Von Kim Geffen

Als ich als Reiseleiter 1994 mit Touren in den Townships anfing, wurde ich Zeuge eines verblüffenden Austauschs. Ich bat meine Touristen immer, mir Fotos zu schicken, um sie an diejenigen weiterzugeben, die sie fotografiert hatten. Ein Mann vor Ort hatte all die Bilder an seine Wellblech-Wand gepinnt und als ein Freund ihn fragte, warum er denn Fotos seiner weißen Chefs da hängen hätte, antwortete er: “Das ist nicht mein Chef. Das sind meine Freunde aus Deutschland”.

So manche mögen den Eindruck haben, wir kämen als ’Voyeure’. Doch weit gefehlt! Wenn wir Townships besuchen, haben wir immer einen einheimischen Guide aus der Gemeinschaft dabei, der für seine eigenen Leute steht und uns hilft, auf faire Weise mit ihnen in Kontakt zu kommen. Die Menschen in Südafrika, insbesondere historisch benachteiligte Gemeinschaften, wollen ihre Kultur präsentieren – wer sie sind und was sie tun. Sie wollen der Welt zeigen, dass man vieles von dem, was sie haben, nicht mit Geld kaufen kann. Das gibt den Besuchern die Möglichkeit, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.

Dass Reisende aus freien Stücken zu Besuch kommen, führt zu einem herzerwärmenden Austausch, der oft falsche Vorstellungen korrigiert. Für viele Einheimische, die im Tourismus eine Plattform sehen, um wahrgenommen zu werden und um ihre Kunst und ihre Handwerksprodukte zu verkaufen, eröffnet es Wege zu einem Leben als Unternehmer.

Wenn man als Tourist Fotos macht, muss man sich darüber Gedanken machen, was es heißt, Gemeinschaften zu fotografieren, in die wir eingeladen sind, denen wir aber nicht angehören. Respekt heißt, zuerst um Erlaubnis zu fragen. Will jemand nicht fotografiert werden, packt man die Kamera wieder weg und lässt sich weiter bescheiden und respektvoll auf die Person ein. Kinder dürfen nicht ohne Erlaubnis ihrer Erziehungsberechtigten fotografiert werden. „Fotografiere nichts, was du nicht deiner Mutter zeigen würdest” ist eine recht klare Regel für moralische Grenzen. Nimmt man durch die Linse Leid oder Sensationslust wahr, sollte man nicht auf den Auslöser drücken.

Beim Fotografieren ist es äußerst wichtig, dass wir mit Empathie reflektieren, wer unser Fotomotiv ist und wie wir uns fühlen würden, wenn wir fotografiert würden. Sind einmal eine gesunde Energie und Vertrauen aufgebaut, hat das Foto viel mehr Bedeutung, sowohl für den Fotografen als auch für die Fotografierten.

Zeigt man denjenigen, wie das Bild geworden ist, baut man eine Art ’Partnerschaft’ auf, im Sinne von „Wir haben als tolles Team ein wunderschönes Bild hinbekommen”. Humorvolle Fotos mit einem Lächeln und Stolz auf beiden Seiten schaffen eine gute Atmosphäre.

Indem man dem Drang widersteht, die Kamera oder das Handy beim ersten Kontakt schon in der Hand zu haben, kann man sich erstmal auf die Menschen einlassen und nur mit den Augen und ohne Fotoapparat ‘Bilder’ aufnehmen. Was man live gesehen hat, lässt sich durch ein Bild schnell wieder in Erinnerung zurückrufen. Doch es ist die Situation, die man vor und nach dem Schnappschuss erlebt hat, die den Urlaub so wertvoll und erfüllend macht.

Kim Geffen ist Eigentümer und Geschäftsführer des Tourismusunternehmens Kimba Africa in Südafrika. www.kimba-africa.co.za

Nein, aus Prinzip nicht

Von Joseph Bird

Kurz nach unserer allerersten Tour 2006 in Dharavi haben wir eine “No Camera“-Regel eingeführt. Die Presse hatte sich kritisch darüber geäußert, dass Touristen Mumbais größten Slum besuchten und dort Fotos machten. Als wir die Berichterstattung sahen, verstanden wir warum: Das Fotografieren stellte einen Eingriff in die Privatsphäre dar. Das sahen wir auch so. Da das Wohlergehen der Gemeinschaft in Dharavi und die ethische und respektvolle Durchführung unserer Touren der entscheidende Grund waren, warum wir dort aktiv sind, ließ sich eine solche Regel ganz einfach umsetzen.

Zwar mag man so eine pauschale Regel für ziemlich streng halten, doch unsere Beziehungen zu den Menschen in Dharavi sind das Ergebnis vieler Jahre des Dialogs und sie basieren auf gegenseitigem Respekt. Das ist für uns das Wichtigste.

Wenn wir auch nur gelegentlich – im Ermessen der Guides oder der Einheimischen –ein Foto erlauben würden, könnte das als aufdringlich angesehen werden. Es könnte zu Unsicherheit führen, was nun angemessen ist und was nicht. Indem wir grundsätzlich nein sagen, umgehen wir dieses Problem. Gäste schlagen immer wieder mal vor, dass sie die Menschen, die sie fotografieren möchten, direkt um Erlaubnis fragen könnten. Kleine Kinder in Dharavi posieren oft gerne für ein 'Selfie'. Doch nur weil einzelne es erlauben mögen, heißt das nicht, dass es andere Mitglieder der Gemeinschaft nicht als Verstoß empfinden.

Wir haben Verständnis dafür, dass unsere Gäste Erinnerungen mit nach Hause nehmen möchten. Doch wir glauben, dass dies besser gelingt, indem man auf der Tour 'präsent' ist, und nicht alles nur durch die Linse wahrnimmt. Unsere Gäste bekommen einen Internet-Link zu einer Auswahl von professionell gemachten und von der Gemeinschaft abgesegneten Fotos aus Dharavi. Sie können auch Postkarten und Bücher kaufen. Die damit erzielten Erlöse fließen durch unsere Schwesterorganisation ’Reality Gives’ zu hundert Prozent zurück an die Gemeinschaft.

Wie angemessen unsere Regel ist, zeigt sich für uns in dem guten Verhältnis zu den Gemeinschaften, für die wir arbeiten. Wir fühlen uns auch weiter dadurch bestätigt, dass einer unserer Konkurrenten kürzlich ebenfalls eine solche Regel für seine Touren in Dharavi eingeführt hat, und dass wir von vielen unserer Gäste positives Feedback bekommen.

Vor kurzem hat es jemand in seiner Bewertung auf einer Internet-Plattform gut zusammengefasst: “Zunächst war ich etwas verärgert, denn wie andere auch wollte ich meine eigenen Erinnerungen an die Tour einfangen. Doch ich verstehe das Verbot vollkommen und bin damit einverstanden. Ich habe es wirklich genossen, dass ich keine Fotos machen durfte, denn ich lebte tatsächlich direkt im Augenblick, statt hinter der Kamera. Diese Erfahrung werde ich nie vergessen.”

Joseph Bird ist Geschäftsführer von Reality Tours & Travel in Delhi, Indien. Reality Tours & Travel ist TO DO!-Preisträger 2014. www.realitytoursandtravel.com

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp