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Mehrwert Menschenrecht

Die Bedeutung von LGBTQI*-Tourismus für Länder des Globalen Südens


Bunte Surfboards an einer Mauer

Rika Jean-Francois ist CSR-Beauftragte der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB). Gleichzeitig engagiert sie sich im Vorstand der Stiftung der International Gay & Lesbian Travel Association (IGLTA) und bringt die Einhaltung von LGBTQI*-Rechten im nachhaltigen Tourismus voran. Lea Thin hat mit ihr im Auftrag von Tourism Watch über die Bedeutung von LGBTQI*-Tourismus für Länder des Globalen Südens gesprochen:

Tourism Watch: Frau Jean-Francois, Tourismus ist ein bedeutender Sektor, um wirtschaftliche und soziale Entwicklung im Globalen Süden voranzubringen. Wie haben sich LGBTQI*-Reiseangebote in diesen Ländern entwickelt?  

Rika Jean-Francois: Das Reisesegment von LGBTQI*-Tourismus ist wirtschaftlich nicht zu unterschätzen, das wissen auch die Länder des Globalen Südens. Weltweit werden die Reiseausgaben der LGBTQI*-Community auf 180 Milliarden US-Dollar pro Jahr geschätzt. Davon wollen auch Länder profitieren, die sonst eher restriktiv mit Homosexualität und Transsexualität umgehen. Man merkt daher schon, dass vielerorts Barrieren abgebaut werden. Dennoch gibt es immer noch viele Länder, in denen Schwule und Lesben verfolgt und/oder diskriminiert werden. Deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig, besonders bei Tourismusanbieter*innen aus diesen Destinationen Aufklärungsarbeit zu leisten. Ich bin – und da bin ich mir mit den wichtigen Tourismusverbänden wie der IGLTA oder auch der Pacific Asia Travel Association (PATA) einig – davon überzeugt, dass Tourismus die Tür zur Einhaltung von Menschenrechten öffnen kann! Durch ihre Präsenz auch in schwierigen Ländern erreicht die LGBTQI*-Community weltweit mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz. Berührungsängste werden überwunden. Es zeigt sich immer wieder, dass der Kontakt miteinander das Wichtigste ist, um Vorurteile abzubauen und Diskriminierung zu stoppen. Auf der ITB stand beispielsweise der LGBT-Travel Pavillon einmal direkt neben dem russischen Stand – da wurde sich erst kritisch beäugt. Am Ende haben alle zusammen im Pavillon Kaffee getrunken und sich unterhalten. So läuft das - in langsamen Schritten. 

Tourism Watch: Inwieweit unterscheiden sich LGBTQI*-Reiseveranstalter von konventionellen Tourismusunternehmen?

Rika Jean-Francois: Im Grunde gelten dieselben Grundsätze. Wünschenswert ist natürlich ein nachhaltiger Ansatz. Der Veranstalter muss seine Wertschöpfungskette genau betrachten und versuchen sicherzustellen, dass alle Dienstleistungen gay-friendly sind – vom Taxiservice über das Hotel bis hin zur Stadtführer*in. Niemand soll mehr heimlich Twinbetten im Hotelzimmer zusammenschieben müssen, Reisende sollen sich an ihren kostbaren Urlaubstagen nicht verstellen oder verstecken müssen. Wichtig ist dabei auch, dass diese Freundlichkeit authentisch ist. Auch LGBTQI* -Tourist*innen wollen glaubhaft willkommen geheißen werden und nicht als Feigenblatt für gespielte Offenheit dienen, nur damit der "Pink Dollar" rollt. Gleichzeitig spielen Sicherheitsbedenken bei der Reiseplanung für homosexuelle und transsexuelle Menschen eine große Rolle. Für LGBTQI*- Reiseveranstalter bedeutet das, dass sie über zusätzliche Informationen verfügen müssen. Etwa darüber, wie gay-friendly einzelne Länder, Regionen und Stadtviertel sind. Die Gäste verlassen sich darauf, dass sie ihren Reiseveranstaltern in Hinsicht auf ihre Sicherheit voll vertrauen können. Trotzdem gibt es natürlich Einschränkungen: Wenn es in einem Land beispielsweise auch bei heterosexuellen Paaren nicht gängig ist, sich in der Öffentlichkeit zu küssen, dann ist das auch für LGBTQI*-Reisende nicht angebracht. Auch Tourist*innen müssen örtliche Gepflogenheiten respektieren. 

Tourism Watch: Wird der Sammelbegriff LGBTQI* den sehr unterschiedlichen Gruppen beim Reisen überhaupt gerecht?

Rika Jean-Francois: Menschen, die sich als LGBTQI* definieren, sind natürlich keine homogene Gruppe, sondern sehr verschieden. Das zeigt ja schon das lange Kürzel. Das wissen die Reiseveranstalter aber auch. In den meisten Fällen sind sie spezialisiert und gehen auf die Präferenzen einzelner Gruppen ein. Lesbische Frauen reisen beispielsweise häufiger in die Natur, während bei schwulen Männern Partytourismus vergleichsweise höher im Kurs steht. Viele Anbieter*innen bieten Kurztrips zu Events wie dem Christopher Street Day oder anderen PRIDE-Paraden an. Da in immer mehr Ländern nun LGBTQI*-Personen heiraten können spielt der Wedding- und Honeymoon-Tourismus zunehmend eine Rolle. Gleichzeitig ist Kultur bei allen LGBTQI*- Reisenden ein großes Thema.

Tourism Watch: Auch in Malaysia, dem Partnerland der ITB 2019, ist Homosexualität strafbar. Letztes Jahr hatte sich der malaysische Tourismus-Minister kurz vor der Messe homophob geäußert. Wie geht die ITB mit solchen offenkundigen Menschenrechtsverletzungen um?

Rika Jean-Francois: Solche Äußerungen sind natürlich ein enormes Problem. Es war uns selbstverständlich schon im Vorhinein bekannt, dass Malaysia in Sachen LGBTQI* schwierig ist. Dennoch sind wir als ITB, die ja keine reine LGBT-Tourismusmesse ist, erst einmal eine Plattform für alle relevanten Reiseländer. Das heißt aber nicht, dass wir solche Äußerungen unkommentiert lassen. Im Gegenteil – die ITB positioniert sich sehr klar und entschieden gegen jede Form von Menschenrechtsverletzungen. Wir haben das Thema offen auf einem Panel diskutiert und unter anderem einen geflüchteten transsexuellen Mann aus Malaysia dazu eingeladen. Ich glaube nicht, dass es hilft, repressive Länder von der ITB auszuschließen. Ich glaube sogar, genau das Gegenteil ist der Fall. Am Ende gab es nach dieser Äußerung Demonstrationen für LGBTQI*-Rechte in Kuala Lumpur. Das wäre ohne die Öffentlichkeit, die Malaysia durch die ITB hatte, so vielleicht gar nicht möglich gewesen. Indem die ITB Länder nicht von Vornherein ausschließt, schafft sie es also auch, Probleme in Urlaubsländern öffentlich zu thematisieren und dafür zu sensibilisieren. Damit ist den Menschen in den Destinationen viel mehr geholfen, als wenn wir einfach wegsehen würden.

 

Lea Thin ist Geographin und freiberufliche Journalistin aus Berlin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vor allem mit den Themen Nachhaltigkeit, Klima- und Entwicklungspolitik sowie Gender.