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Konkurrierende Wege zum Paradies

Tourismus und das Recht auf freie Religionsausübung


In Arthungal, 30 km nördlich von Alappuzha im südindischen Bundesstaat Kerala, ist die unabhängige Fischereigewerkschaft ("Kerala Independent Fishermen's Federation" eine der aktivsten Basisgruppen im Kampf gegen die unkontrollierte Ausbreitung des Tourismus. Vor kurzem hat sie sich dafür eingesetzt, den Dorfbewohnern den Zugang zu ihrer Kirche wieder zu ermöglichen, der ihnen durch eine neu entstehende Hotelanlage versperrt worden war. Doch damit sind noch nicht alle Probleme gelöst.

Alappuzha mit seinen von Kokospalmen gesäumten Seen, Kanälen und Backwaters und seinen langen Sandstränden hat sich zu einem Traumziel für Touristen entwickelt. Die Gäste fahren auf Hausbooten durch die Backwaters und genießen den entspannten Lebensstil. Zwar haben viele Einheimische vom Tourismusboom profitiert, doch die negativen Auswirkungen – einschließlich der Verletzungen von Menschen-rechten – sind vielfach spürbar.

Im blauen Bürogebäude der Gewerkschaft in Arthungal erklärt Gewerkschaftssekretär Jackson Pollayil, inwiefern die Gewerkschaft eine zentrale Rolle gespielt hat, als es darum ging, im Laufe der vergangenen Jahre mehrere Tourismusprojekte zu stoppen oder zu abzuändern. “Zunächst organisierten wir Proteste gegen mehrere geplante Tourismusprojekte, die die Richtlinien zum Küstenschutz (Coastal Regulation Zone – CRZ) verletzt hätten. Im Jahr 2010 haben wir eine friedliche Kampagne gegen eine Strandmauer geführt, die unter Verletzung dieser Richtlinien errichtet worden war. Dutzende Frauen stellten sich vor die Mauer, bis schließlich Polizei und Presse eintrafen. Das Ereignis erregte so viel Aufsehen, dass der Abriss der Mauer angeordnet wurde." Beeindruckende Fotos unterstreichen Jackson's Worte: Frauen, Töchter und Mütter der Fischer in Reih und Glied, Hand in Hand, stolz vor der Mauer, die ihnen den Weg zum Strand versperrte.

"Durchgang verboten"

Ein aktueller und weiter andauernder Streit richtet sich gegen eine neue Hotelanlage, die einen Quadratkilometer des schönen Strandes von Arthungal beansprucht. Die Hotelanlage soll in diesem Jahr eröffnet werden und richtet sich an Luxustouristen. Beim Baubeginn 2009 wurde sofort rund um die Anlage eine Mauer mit Stacheldraht errichtet. Damit war der Zugang zu einem Teil des Strandes, einigen Seitenstraßen und insbesondere der Kirche abgeschnitten. Die Kirche – eigentlich eine kleine Kapelle – ist eines der ältesten Gebäude von Arthungal und heißt seit über 100 Jahren die Gläubigen willkommen. Nun war der Zugang nicht mehr möglich.

Das Recht auf freie Religionsausübung ist jedoch in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte festgeschrieben. Indien ist Mitglied der Vereinten Nationen und hat den Pakt ratifiziert. Damit ist Indien auf allen Regierungsebenen verpflichtet, dieses Recht für alle seine Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten  – einschließlich des Zugangs zu Orten der Religionsausübung.

Doch von der Regierung, in diesem Fall der untersten (kommunale) Regierungsebene, war keine Hilfe zu erwarten. "Unsere Kommunalverwaltung hatte den Bau bereits genehmigt. Für sie ist der Tourismus wichtiger als die Fischerei, wichtiger als der Zugang zu unseren Brunnen oder der Kirchgang. Sie sieht nur die Steuereinnahmen aus dem Tourismus und meint wir könnten ja woanders hingehen. Es würde also nichts nützen, sich an die Kommunalverwaltung zu wenden", erklärt Sarath, einer der tonangebenden Männer im Dorf. Als die Anwohner feststellten, dass sie ihre Kirche nicht mehr erreichen konnten, gingen sie deshalb mit der Angelegenheit zur Fischereigewerkschaft.

Streit um Zugang zur Kirche

Die Fischereigewerkschaft handelte prompt: Eines Morgens versammelten sich 200 Fischer vor der Mauer, die die Straße zur Kirche blockierte und rissen sie einfach ab. Darauf reagierte das Hotel mit einer Klage gegen die Demonstranten. Die Gewerkschaft sammelte kleine Spendenbeträge von den Fischern, um den Rechtsstreit austragen zu können. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen, doch das Gericht in Alappuzha wies den Betreiber der Hotelanlage vorerst an, die Wartung der Wasserbrunnen sicherzustellen, die sich nun auf dem Hotelgrundstück befanden, und den Zugang zur Kirche freizuhalten.

"Es ist nur ein halber Sieg", mahnt Jackson zur Vorsicht. "Fast ein Jahr danach prüft heute niemand, ob dem Gerichtsurteil Folge geleistet wurde. Unsere Brunnen werden nicht gewartet." Er zeigt auf ein paar Wasserpumpen, von denen eine nutzlos auf dem Boden liegt, die andere unkontrolliert tropft. "Zwar haben sie die Straße zur Kirche wieder zugänglich gemacht, dafür aber drei andere Wege zu Privathäusern blockiert.Nun müssen die Eigentümer durch den Nachbargarten, um zu ihrer Haustür zu gelangen."

 

Konkurrenz um Zugang zum Strand

Arthungal ist kein Einzelfall. Es gibt viele Gemeinschaften, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Fischer, Hoteliers, die intensive Landwirtschaft und sogar Kraftwerke konkurrieren um den Zugang zum Strand. Sie alle wollen wertvolle Küstenabschnitte für sich beanspruchen, doch die einen haben mehr Lobby-Macht als die anderen. In einen Land mit hoher Korruption sind die Fischer leicht die Verlierer.

Im Grunde ist es eine Wahlentscheidung der Regierung: der traditionellen Fischerei den Rücken zu kehren und neue Märkte zu erschließen. Es ist ein langsamer Vernichtungsprozess. Erst wird den Fischern das Leben schwerer gemacht und ihr Zugang zum Strand beschränkt. Dann werden ihnen neue Lebensstile und Gewohnheiten aufgedrückt, indem Touristen in Bikinis, Technomusik und Martinis Einzug halten. Und schließlich bleibt nur noch mit den wenigen fertig zu werden, die ihre Stimme dagegen erheben. Es ist eine politische und wirtschaftliche Entscheidung. Doch die gesellschaftlichen Konsequenzen sind verheerend.

Veronique Meunier ist auf die Förderung von ethischem Tourismus spezialisiert. Derzeit arbeitet sie für Tourism Concern (London) und Kabani – the other direction (Kerala) und kartiert Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit touristischer Entwicklung entlang der Küsten von Kerala und Tamil Nadu in Indien. Siehe interaktive Karte: www.tourismconcern.org.uk/tourismwatch-southindia

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(5.904 Zeichen, 82 Zeilen, März 2012)