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In Katalogen geblättert ...

"Lebenslust pur" und "primitive Indianer" in Lateinamerika


Mit den Sommermonaten ist für viele die Urlaubszeit vorbei. Andere nutzen jedoch die Angebote von Reiseveranstaltern, um einem verregneten Herbst oder kalten Winter zu entfliehen. Neben Tunesien, den Kanaren und Thailand sind auch lateinamerikanische Ziele in der bunten Welt der Kataloge zu finden.

Dort ist vom "Kontinent überschäumender Lebensfreude" (TUI) und "Dschungelromantik, gastfreundlichen Menschen, temperamentvoller Lebensart" (Dertour) zu lesen. Also Lebenslust pur - das versprechen auch die Bilder von lächelnden Menschen, die vereinzelt zwischen Traumstränden, Machu Picchu und Tukanen auftauchen. Im durchorganisierten Reiseprogramm ist sogar Zeit für "Begegnungen" vorhanden. Schließlich kann der Reisende während des Besuches im Dorf der Piaroa-Indianer in Venezuela "alles über ihre Lebensweise" kennenlernen! Mit Brasilianern ist es sowieso einfach, Kontakte oder gar Freundschaften aufzubauen. "Man ist schnell mit jemandem befreundet und verabschiedet sich nach zehn Minuten bereits mit einer Umarmung und freundschaftlichem Schulterklopfen" (FTI).

Leider erschöpft sich damit das Informationsangebot zu unseren Gastgebern. Es ist schon ziemliches Glück vonnöten, um in den "Land und Leute"-Rubriken den kleinsten Hinweis auf die einheimische Bevölkerung zu entdecken. Zumeist handelt es sich dann um Bemerkungen über einen Mangel an Pünktlichkeit und Gründlichkeit bei unseren gastfreundlichen Lateinamerikanern. Einige Veranstalter verweisen immerhin noch darauf, daß nicht jede/r ein freiwilliges Fotomodell darstellt und daher erst eine Erlaubnis eingeholt werden sollte. Der Hinweis auf eine angemessene Kleidung der Reisenden ist jedoch eher spärlich vertreten.

Nun gut, nicht jeden interessiert All-inclusive in Mexiko oder eine Rundreise zu den lateinamerikanischen Metropolen. Blättern wir daher lieber in den Katalogen der "alternativen" Reiseveranstalter. Schließlich haben diese sich ja einen umwelt- und sozialverträglichen Tourismus, also ein "anderes" Reisen, auf die Fahnen geschrieben. In ihren Katalogen stellen sie die Lateinamerikaner als überwiegend liebenswert, (gast-) freundlich und sympathisch dar. Das "Bunte" der Bevölkerung und Kultur steht im Vordergrund.

Wir lernen aber auch, daß das Quellgebiet des Orinoko die "letzte Bastion der primitiven Indianerstämme" sein soll, die Tarahumara-Indianer in Mexiko "noch heute an steinzeitlichen Sitten" festhalten und die Chirichano "zu den primitivsten Waldindianern des südamerikanischen Urwaldes" gehören. "Ihre Sprache besteht aus vielen Schnalzlauten, die Erstaunen und Freude ausdrücken," (Wigwam Naturreisen und Expeditionen). Für einen ausgewiesenen Naturreiseveranstalter ist die einheimische Bevölkerung offensichtlich nur eine zusätzliche Attraktion neben der Landschaft und Tierwelt Lateinamerikas. Es gibt sie selbstverständlich auch - die positiven Beispiele in Form von Reisen, die eine Begegnung mit den Landesbewohnern fördern. Doch sucht man hier ebenso vergeblich nach hilfreichen Länderinformationen.

Natürlich ist der Katalog vor allem ein Werbemedium und seine Informationsfunktion beschränkt sich auf das, was dem Verkauf der Reisen dient. Natürlich schicken viele Veranstalter mit den Tickets auch Informationsmaterialien zu. Und natürlich gibt es einige gute Reiseführer, die uns Land und Leute vorstellen.

Doch verdienen trotz alledem nicht auch die freundlichen Gastgeber und ihre Kultur etwas mehr Erwähnung in den Katalogen? (Natürlich nicht nur auf den Lateinamerikaseiten...)

(3.596 Anschläge / 49 Zeilen, Oktober 2000)

Anm. d. Redaktion: Daß ausgerechnet ein Mitglied des "forums anders reisen" fremde Menschen mit einem Begriff ("primitiv") aus der Steinzeit der Anthropologie, nämlich der diskriminierenden und rassistischen Menschenkunde, belegt, ist mehr als peinlich und belastet die Glaubwürdigkeit des gesamten Forums.