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Insel der Flüchtlinge

Gedanken zur Weihnacht auf Malta


Zu Weihnachten sind die Vier-Sterne-Hotels auf Malta gut belegt mit "Flüchtlingen", die mit "All-Inclusive"-Paketen als Touristen dem Schmuddelwetter im Norden Europas entfliehen. Malta – die kleine Felseninsel im Mittelmeer – blickt auf eine große Geschichte als europäisches Bollwerk gegen Türken und Araber zurück. Noch heute ist diese Tradition in den Köpfen der Malteserinnen und Malteser gegenwärtig.

Die Touristen bestaunen die immensen Befestigungen aus der Zeit der Ordensritter, aber auch die unterirdischen Bunker, die den Italienern und Deutschen im Zweiten Weltkrieg widerstanden und noch lange danach als atomsichere NATO-Befehlsstände dienten. Heute bietet Malta nicht nur "Asyl" für sonnenhungrige Nordeuropäer, sondern zum Ärger anderer EU-Staaten auch günstige Lösungen für Menschen, die viel flüchtiges Kapital haben – und wenig Lust, es zu versteuern.

Flucht nach Europa

Schließlich gibt es noch die Flüchtlinge, die nicht wegen der Sonne kommen und auch nicht wegen der niedrigen Steuern. Die eigentlich gar nicht nach Malta wollten, sondern weiter in andere Länder der EU. Die afrikanischen Bootsflüchtlinge auf Malta sind dem Massengrab Mittelmeer, in dem 2011 mehr als 1.200 Menschen auf dem Weg von Afrika nach Europa ertranken, gerade noch entronnen.

Diese Flüchtlinge sind in Malta fast unsichtbar. Ihre Lager befinden sich in alten Kasernen oder aufgegebenen Klöstern. Dort ist Weihnachten eher ein Fest der Depression. Denn an Weihnachten liegt es auch den Afrikanerinnen und Afrikanern besonders schwer auf der Seele, dass sie ohne ihre Familie hier sind und ihre Zukunft ungewiss ist.

Hajid ist Muslim, Mitte Zwanzig und aus Somalia geflüchtet. Seit drei Jahren lebt der athletische, schlanke Mann in einem offenen Flüchtlingszentrum, das von der katholischen Kirche betrieben wird. Dort hängt er fest. Denn Malta ist ein sogenanntes "sicheres Drittland" und auf das Wohlwollen der anderen EU-Mitglieder angewiesen, wenn es um die Aufnahme von Migrantinnen und Migranten geht. Hajids Traum ist, in den USA oder Kanada ein neues Leben zu beginnen – fern von Afrika und fern von europäischen Flüchtlingslagern mit Sälen, in denen noch 17 weitere Flüchtlinge mit untergebracht sind.

Hajid ist auch deshalb nicht besonders gut gestimmt, weil es zu Weihnachten keine Arbeit gibt. 4,66 Euro erhält er pro Tag von der Regierung. "Inclusive" ist darin gerade mal etwas zu essen und die Prepaidkarte für sein Mobiltelefon. Manchmal hat er Glück und bekommt einen Job auf dem Bau, natürlich "schwarz", ohne Krankenversicherung und ohne Sicherheitsschuhe. Besser hat er es, wenn er auf einem Privatgrundstück das Schwimmbad reinigen darf. Alles, was er an Geld irgendwie erübrigen kann, schickt er nach Hause. "Die brauchen das", sagt er. Seine Familie habe schließlich für seine Reise ca. 1.500 Euro bezahlt, das meiste davon geborgt. Die Angehörigen machen am Telefon Druck, damit Hajid etwas zurückzahlt.

Der Traum vom besseren Leben

Auch an Weihnachten 2012 wird Hajid vom großen Glück träumen: Ein Vertreter der US-Botschaft kommt ins Lager und wählt ihn aus für eine Aufnahme in den USA. Aber da sind noch 3.000 andere, die auch träumen und ebenfalls weg wollen von dieser kleinen Insel. Doch für die Flüchtlinge auf Malta zeichnet sich kaum eine Lösung ab.

Unser Appell kann nur lauten: Liebe EU-Staaten, wahrt die Menschenrechte, achtet die Flüchtlingskonvention! Schafft eine vernünftige Einwanderungspolitik! Helft den Anrainerstaaten des Mittelmeers bei der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik, indem ihr solidarisch die Last teilt!

In Afrika können Investitionen in die Entwicklungszusammenarbeit helfen, bessere Lebensbedingungen zu schaffen, damit Menschen gar nicht erst aus ihrer Heimat fliehen müssen. Da gibt es bisher kaum genutzte Möglichkeiten. Hilfreich wäre auch eine gerechtere Handels- und Wirtschaftspolitik der EU, damit die Afrikaner mehr Agrarprodukte wie Früchte und Zucker nach Europa exportieren können.

Aber auch kleine Schritte helfen. Wenn Hajid in Restaurants als Kellner bedienen dürfte, hätte er deutlich bessere Chancen, über Weihnachten Arbeit zu finden. Bislang werden Afrikanerinnen und Afrikaner auf Malta allenfalls in der Küche oder in der Hauswirtschaft beschäftigt.

Weihnachten sollte im Großen und Kleinen ein Anstoß sein, mehr Menschlichkeit gegenüber denen zu zeigen, die heute auf der Flucht sind – wie Maria und Joseph mit Jesus damals.

Wilfried Steen ist ehemaliges Vorstandsmitglied des Evangelischen Entwicklungsdienstes, jetzt Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, und war im Ruhestand zwei Jahre als Pfarrer der Evangelisch-Ökumenischen Andreas Gemeinde auf der Insel Malta tätig.

(4.406 Zeichen, 60 Zeilen, Dezember 2012)