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Indien: Neue Enklaven für den Tourismus

Sonderwirtschaftszonen - ein umstrittenes Konzept


„Indien hat nicht genug Unterkünfte. Deshalb kommen weniger ausländische Touristen”, hat die indische Tourismusministerin Ambika Soni festgestellt. Den von der indi­schen Federation of Hotel and Restaurant Associations geschätzten Bedarf von 150.000 neuen Hotelzimmern soll vor allem die Privatwirtschaft decken – unterstützt durch zahlreiche, von der Regierung gewährte Steuererleichterungen und Vergünsti­gungen.

Der jüngste „Coup“ der Regierung sind Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus („Special Tourism Zones“ – STZ), die in touristischen Zielgebieten, Groß­städten und Küstenregionen ausgewiesen werden sollen. In jeder STZ sollen 2.000 bis 3.000 neue Hotelzimmer sowie Einkaufs- und Vergnügungszentren entstehen. Es sind exklusive Zonen für „globale High-end-Touristen“ vorgesehen, zu denen sowohl Aus­länder als auch im Ausland lebende Inder (Non-resident Indians - NRI) gezählt werden.

Den Entwurf zur Ausweisung von „Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus“ hat das Tourismusminsterium Ende November 2006 verabschiedet und der Planungskommis­sion zur Beurteilung vorgelegt. Man hofft darauf, dass das STZ-Konzept in der Öffent­lichkeit auf weniger Widerstand stoßen wird, als die im vergangenen Jahr eingeführten, sehr umstrittenen Sonderwirtschaftszonen („Special Economic Zones“ – SEZ) für andere exportorientierte Wirtschaftszweige wie z.B. die Informationstechnologie. Es handelt sich dabei um Gebiete, in denen eine andere als die sonst in Indien gültige Wirtschafts- und Steuergesetzgebung gilt. Sie ist auf die Geschäftsinteressen großer Konzerne zugeschnitten. Abgeschottet von der Umgebung, in der weiterhin Armut herrscht, soll die Privatwirtschaft „Inseln der Exzellenz“ schaffen, die der Elite eine Infrastruktur auf Weltklasse-Niveau bieten. Die Anreize sind so großzügig wie gefähr­lich. Entsprechend stößt auch das STZ-Konzept auf deutliche Kritik. „Es liegt auf der Hand, dass das STZ-Modell einen Tourismus fördert, der von den Interessen der Investoren gesteuert wird. Dieser Tourismus konzentriert sich auf internationale und Elite-Touristen, er ist ressourcenintensiv und noch weniger reguliert“, so die Einschät­zung der indischen Nichtregierungsorganisation Equations, Bangalore.

Kompetenzen lokaler Selbstverwaltungen werden ausgehebelt

Für die STZ soll ein beschleunigtes Antragsverfahren gelten, welches über eine für alle Belange verantwortliche Verwaltungseinheit abgewickelt wird („single-window-clearing“). Die gewählten lokalen Selbstverwaltungen werden damit um- und über­gangen. Angesichts der Forderungen nach mehr lokaler Kontrolle und Dezentralisie­rung sei diese Umkehr zu einem zentralisierten Prozess nicht gerechtfertigt, so Equations. „Wo werden da die Gremien lokaler Selbstverwaltung konsultiert und um ihre Zustimmung gefragt?“ Auch die breite Öffentlichkeit werde nicht konsultiert. Die Anträge auf Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen sollen direkt vom Tourismus­ministerium bewilligt und von den Regierungen der jeweiligen Bundesstaaten umge­setzt werden.

Subventionierung vergrößert Löcher in der Staatskasse

Massive Kritik gibt es auch an den umfangreichen Zoll- und Steuererleichterungen in Sonderwirtschaftszonen. Für Entwicklungsgesellschaften in einer Sonderwirtschafts­zone gilt die Steuerbefreiung für zehn Jahre, für in einer SEZ angesiedelte Unterneh­men gilt die Befreiung für fünf Jahre und eine Steuerminderung um 50 Prozent für weitere fünf Jahre. Zudem wird auf Importabgaben bei der Einfuhr von Vorprodukten und Maschinen verzichtet. Für die Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus ist auch die Befreiung von Luxussteuern vorgesehen.

Diese Subventionen werden auch von der indischen Zentralbank nicht gutgeheißen. Die Planungskommission und sogar Wirtschaftsexperten des Internationalen Währungsfonds haben darauf hingewiesen, dass dem Staat durch Sonderwirtschafts­zonen dringend benötigte Steuereinnahmen entgehen. „Steuervergünstigungen anzu­bieten, die den Staat seiner öffentlichen Einnahmen für Entwicklungszwecke berauben, wo die Wirtschaft voll bezahlen könnte, ist unvernünftig und ungerecht“, so die Kritik von Equations. Die umfangreichen Steuererleichterungen bergen zudem die Gefahr, dass bestehende Firmen Wege finden, in die begünstigten Zonen umzusiedeln.

„Special Exploitation Zones”

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass die Arbeitsstandards in den SEZ noch weiter hinter die ohnehin schon prekäre Situation in der Tourismuswirtschaft zurückfallen. Schlecht bezahlte Jobs, lange Arbeitszeiten und Schichtarbeit, unsichere Zeitverträge, fehlende soziale Sicherung, die Diskriminierung von Frauen sowie Kinderarbeit und sexuelle Ausbeutung von Kindern sind ungelöste Probleme im Tourismus, nicht nur in Indien. Erst im vergangenen Jahr hat die indische Regierung auch die Kinderarbeit im Gastgewerbe und in Privathaushalten als entwicklungsschädigend anerkannt und per Gesetz verboten.

Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus werden die arbeitsrechtlichen und gesell­schaftlichen Probleme kaum lösen, im Gegenteil. Arbeitnehmer im Tourismus werden noch weniger Spielraum haben, sich zu organisieren und ihre Rechte durchzusetzen.

Verkappte Enteignung der Bevölkerung

In Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus sollen Entwicklungsgesellschaften Flächen für einen Zeitraum von 15 Jahren zu vergünstigten Bedingungen pachten können. Große Landstriche können für die touristische Entwicklung freigegeben werden. Kritiker vermuten dahinter vor allem eine verkappte Enteignung der ansässigen Bevölkerung. Sonderwirtschaftszonen ermöglichen Großunternehmen den leichten Zugriff auf Land, einschließlich landwirtschaftlich genutzter Flächen. Zwar sollen betroffene Bauern entschädigt werden, aber ihre Zukunft ist ungewiss. Die politi­schen Handlungskonzepte zur Umsiedlung und Rehabilitation seien unzureichend, so die Kritik, die auch auf Erfahrungen mit anderen Umsiedlungsprojekten im Zusammen­hang mit Staudämmen oder industrieller Entwicklung beruht. Landlose Tagelöhner gingen ohnehin leer aus.

Neben landwirtschaftlichen Flächen soll auch – nach offiziellem Sprachgebrauch – Ödland für Sonderwirtschaftszonen genutzt werden können. Etwas über 20 Prozent der Landfläche Indiens wird als Ödland definiert. Dazu zählt Land unter Wanderfeldbau, sandige Küstenstreifen und unbrauchbare Weideflächen. Gerade solche Landstriche werden jedoch von marginalisierten Bevölkerungsgruppen besonders stark genutzt, beispielsweise zur Kleinvieh-Haltung oder zum Sammeln von Feuerholz. Der Druck auf natürliche Ressourcen und die Umwelt steigt, der Zugang der marginalisier­ten Menschen zu diesen Ressourcen wird noch weiter erschwert oder sogar unmöglich.

Zwar braucht Tourismus oft weniger Land als andere Großprojekte. Doch stehen seine Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der benachteiligten Bevölkerung, ihren Zugang zu Ressourcen, fehlende Möglichkeiten der Bevölkerung, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, denen anderer Wirtschaftsprojekte in nichts nach. Durch den Bau touristischer Anlagen in Waldgebieten, an der Küste, in Nationalparks und Schutz­gebieten, und durch wie Pilze aus dem Boden schießende Hotelkomplexe in städti­schen Ballungszentren wurden viele Waldbewohner, Fischer und städtische Slum­bewohner aus ihrem Lebensraum verdrängt.

Die meisten Menschen, die durch die Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen ihre Lebensgrundlage verlieren, finden in den Projekten keine angemessene alternative Beschäftigung. Das Angebot des keralesischen Tourismusministers Kodiyeri Balakrish­nan, je einem Mitglied jeder Familie, die durch eine Sonderwirtschaftszone für den Tourismus von ihrem Grundstück verdrängt wird, einen Arbeitsplatz in dem jeweiligen Projekt anzubieten, wird die Probleme nicht lösen. Deshalb rief das „Forum Kerala”, ein neues Netzwerk von Bewegungen der Zivilgesellschaft in dem südindischen Bundes­staat, die Regierung kürzlich dazu auf, von Sonderwirtschaftszonen für den Tourismus in Kerala Abstand zu nehmen. Bevor neue Projekte, Pläne oder Marketingstrategien initiiert würden, sollten erst einmal die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Schäden durch den Tourismus erfasst werden, so die Forderung.

Weiterführende Quellen:

SE(I)ZING India!. Why the government should reconsider tourism development through STZs and SEZs. Equations, Bangalore, November 2006.

Presseinformation vom 21.02.2007: Government should not allow Special Tourism Zones (STZ) in Kerala. Kerala Forum, Kerala, Indien. Im Internet abrufbar unter www.kabani.org unter „campaigns“.

(8.487 Anschläge, 111 Zeilen, März 2007)