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Fairer Handel im indischen Tourismus?

Drei Fragen an T.T. Sreekumar


Ähnlich wie beim fairen Handel mit Agrarprodukten und Kunsthandwerk wird auch ein Fairer Handel im Tourismus diskutiert, in der Hoffnung, Tourismusangebote, die bestimmte Kriterien erfüllen, mit einem Gütesiegel zu versehen. Dies soll Touristinnen und Touristen die Qualität und „Fairness“ des Angebots glaubhaft bestätigen. Während in einigen Ländern vor allem die Chancen des Konzepts für einzelne Anbieter eine Rolle spielen, werden aus Indien in verschiedener Hinsicht Zweifel angemeldet. Worin die Zweifel aus seiner Sicht bestehen, haben wir Dr. T.T. Sreekumar gefragt, einen „akademischen Aktivisten“ und guten Kenner der tourismuskritischen Szene in Indien. T.T. Sreekumar stammt aus Kerala, Indien, und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der National University of Singapore, Singapur.

TW: Was bedeutet „Fairer Handel im Tourismus” im indischen Kontext? Worin liegen die Potenziale und Fallstricke?

T.T. Sreekumar: Es ist höchst zweifelhaft, ob das Paradigma des Fairen Handels im Tourismus in Indien relevant ist. Es besteht ein riesiger Unterschied zwischen dem Standardkonzept des Fairen Handels und seiner Anwendbarkeit in einem Sektor wie dem Tourismus.

Fairer Handel ist ein Versuch, sicherzustellen, dass die Produzenten von Primärgütern in Entwicklungsländern einen fairen Preis für ihre Produkte erhalten. Ich habe Bedenken, was die Effektivität des Fairen Handels angeht. Der Preisverfall traditioneller Exportgüter wie Kaffee, Kakao, Palmöl, Baumwolle, Zucker, Reis usw. zwingt Entwick­lungsländer wie Indien, die Exportmengen zu steigern, um Einkommensverluste aus­zugleichen und ihre Handelsbilanz zu verbessern. Dadurch steigt die Abhängigkeit und trotz Wachstum gibt es kaum wirtschaftliche Entwicklung. Für die meisten bäuerlichen Gemeinschaften ist dies eine alltägliche Erfahrung, die ihre Lebensgrundlage bedroht. Der Faire Handel kann mit diesem Problem nicht wirkungsvoll umgehen.

Wollen wir das Konzept des Fairen Handels auf den Tourismus übertragen, so ergeben sich daraus mehr Fragen als Antworten. Erstens handelt es sich beim Tourismus um „Konsum im Ausland“. Der „Export” geschieht, wenn die Touristen kommen. Was geschieht, wenn die Touristen nicht kommen? Zweitens unterliegen touristische Produkte ebenfalls einer Erosion der Preise. Kosmetische Maßnahmen werden keinen wesentlichen Beitrag leisten, um diesen Trend umzukehren. Wie bei Primärgütern wird Fairer Handel allenfalls marginale Auswirkungen haben.

TW: Das Provisionssystem ist eines der wichtigsten Instrumente, durch das die wirtschaftlichen Erträge aus dem Tourismus breiter gestreut werden. Wie sollte man im Zusammenhang mit fairem Handel im Tourismus damit umgehen?

T.T. Sreekumar: Dies ist in der Tat ein wesentlicher Kritikpunkt, den wir seit ungefähr zehn Jahren gegen die Idee des Fairen Handels vorbringen. Schaltet man das Provisionssystem aus, sind die Hauptnutznießer des Fairen Handels die reichen Konsumenten im Norden. Die Gesamteinnahmen, die in „Dritte Welt“-Länder fließen, gehen zurück. Die Verteilung von Einnahmen, die durch den Handel erwirtschaftet werden, ist ein innenpolitisches Problem, das die Menschen und Regierungen in den Entwicklungsländern selbst lösen können. Der Faire Handel unterbricht die Wert­schöpfungskette und führt dazu, dass aus makroökonomischer Sicht das Entwick­lungsland weniger am Handel verdient.

TW: Einige Nichtregierungsorganisationen diskutieren eine Zertifizierung für „Fairen Handel im Tourismus” als Instrument zur Erhöhung der Transparenz in der Tourismuswirtschaft. Wäre ein Gütesiegel für “Fairen Handel im Tourismus“ in Indien ein machbares Konzept?

T.T. Sreekumar: Eine Zertifizierung für Fairen Handel im Tourismus scheint im indischen Kontext weder machbar noch wünschenswert zu sein. Die ganze Frage der Zertifizierung hängt an Umweltfragen und Arbeitsstandards. Diese wurden sehr promi­nent auch in den Debatten um die Welthandelsorganisation diskutiert. Handel und Umwelt bzw. Arbeitsstandards müssen aber voneinander getrennt betrachtet werden. Es gibt mehrere nationale und internationale Plattformen zu diesen Themen. Diese beiden Bereiche mit Handelsfragen in Verbindung zu bringen, dient nur den Interessen multinationaler Großunternehmen. Es führt zur Erhöhung der Produktionskosten und macht die Produkte der Entwicklungsländer weniger konkurrenzfähig. Arbeits- und Umweltfragen können durch innenpolitische Mechanismen gelöst werden: durch Inter­ventionen der Zivilgesellschaft und rechtliche Maßnahmen.

(4.525. Anschläge, 60 Zeilen, März 2007)