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Die dunkle Seite des Lebens

Tourismus bringt den maledivischen Traum zum platzen


Male City

In den Malediven wird die Tourismusindustrie als die Gans gepriesen, die goldene Eier legt. Laut der Weltbank wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von 600 US-Dollar im Jahr 1985 auf über 9.000 US-Dollar im Jahr 2017. Die Nation war 1980 noch eines der 20 ärmsten Länder der Welt und stieg bis 2017 zu einem Land mit mittlerem Einkommen auf. Ein Viertel des gesamten BIP stammt aus dem Tourismus. Während das Land reich wurde, verarmte im Vergleich dazu die Mehrheit der Bevölkerung. Die Zentralisierungspolitik und die exzessive Tourismusentwicklung auf unbewohnten Inseln nutzen nur einigen wenigen Auserwählten.

Verlust von Lebensgrundlagen

Die rund 750 Kilometer lange Inselkette der Malediven besteht aus knapp 1.200 Inseln, von denen nur noch 188 bewohnt sind. Noch vor 50 Jahren führten die Bewohnerinnen und Bewohnern der Inseln im Norden und Süden des Landes ein Leben in Wohlstand, das auf Landwirtschaft und Fischerei basierte. Die Rohstoffe für landwirtschaftliche Produkte sammelten sie in Waldgebieten der bewohnten und der nahegelegenen unbewohnten Inseln und handelten sie direkt mit den Nachbarländern. Sie exportieren vorwiegend Seile aus Kokosfasern, Kokosnüsse und andere landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie weiterverarbeitete Fischerei-Produkte, wie getrockneten oder gesalzenen Fisch.

Doch die Regierung trieb die Zentralisierung von Handel und Transport in der Hauptstadt Male gezielt voran; der direkte Handel zwischen anderen Inseln und dem Ausland kam zum Erliegen. Dies führte zum deutlichen Rückgang der dynamischen lokalen Kleinindustrie aus Landwirtschaft und Fischverarbeitung und somit zum Verlust von Lebensgrundlagen – insbesondere von Frauen und Jugendlichen.

Zentralisierung in Male

Zur selben Zeit begann die Regierung mit der touristischen Erschließung unbewohnter Inseln unweit von Male und damit, die Grundversorgung in der Hauptstadt zu bündeln. Dies ebnete den Weg für entwicklungsinduzierte Migration der Menschen auf der Suche nach Jobs, Bildung und Gesundheitsversorgung. Der Exodus von Einheimischen nach Male entvölkerte einige der größten Inseln, wie zum Beispiel Hithathdoo auf dem Addu Atoll. Während vor 100 Jahren nur neun Prozent der Bevölkerung in der Hauptstadt lebten, sind es heute 38 Prozent. Auf der winzigen Insel mit einer Fläche von kaum zwei Quadratkilometern drängen sich mehr als 130.000 Einwohner.

Ein Bericht nach dem anderen zeigt die sozioökonomischen Probleme des Landes – insbesondere in Male. Laut der maledivischen Statistik-Behörde beträgt die Bevölkerungsdichte 65.201 Einwohner pro Quadratkilometer. Damit ist Male der Ort, wo der maledivische Traum zu sterben beginnt: Der Traum von einem würdevollen Leben mit Familie auf der Heimatinsel, auf der man produktive Arbeit leistet und zum Wohlstand der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder beiträgt; der Traum von einer Lebensqualität, wie sie die Touristen genießen, die viele der besten Strände, Inseln, Lagunen und Sandbänke belagern. Die natürlichen Ressourcen und ihre Schönheit werden schnell zu einem Privileg der Touristen.

Vorteile für einige wenige Auserwählte

Für die Zuteilung von Grund und Boden, darunter auch die Freigabe von unbewohnten Inseln für den Bau von Ferienresorts, ist weiterhin das Staatsoberhaupt zuständig. Gesetzesreformen, die die Vergabeverfahren offener und transparenter machten, wurden 2016 jedoch wieder gekippt. Seither sind geschlossene Bieterverfahren wieder erlaubt und der Tourismussektor verharrt in seinen alten undemokratischen Bahnen. Die meisten Hotelanlagen befinden sich in den Händen von Eliten und der gesellschaftlichen Führungsschicht, die ihren Wohnsitz hauptsächlich in Male und im Ausland haben. Regierung um Regierung ändert die Gesetze zum Wohl von Tourismusmagnaten und überlässt die meisten Inseln in Male und nahegelegenen Atollen der Tourismuswirtschaft.

2018 waren von 970 unbewohnten Inseln in den Malediven bereits 304 an Tourismusprojekte vergeben. Ob es sich um einen Kinderspielplatz wie auf Feydhoo Finolhu oder um eine bei den einheimischen beliebte Picknick-Insel wie Kuda Bandos auf dem Male-Atoll handelte – die Regierung gab sie alle zur touristischen Nutzung frei und berücksichtigte dabei die Bedürfnisse der Einheimischen, ihr Wohlergehen, ihre Ernährungssicherheit und ihre kulturellen und sozialen Rechte kaum. Der Tourismus bringt daher wenig wirtschaftliche Chancen für sie. Laut der letzten Umfragedaten, machen ausländische Angestellte 58 Prozent der Beschäftigten in den Resorts aus.

Bedürfnisse der Einheimischen

Was die Insel-Gemeinschaften in den Malediven fordern ist einfach: Hört auf mit dem Landraub! Hört auf mit der Aneignung von Lagunen für Profitzwecke! Überlasst nicht alle unbewohnten Inseln der Tourismuswirtschaft. Gebt uns unsere Lebensgrundlagen zurück. Stoppt die Zerstörung der Meeresflora und -fauna, stoppt die Vernichtung unserer Nahrungsgrundlage. Lasst etwas für die Vögel übrig, lasst den Fischen ihre Laichgründe. Erhaltet und schützt diese Ressourcen für zukünftige Generationen! Ist das zu viel verlangt?

Die neue Koalitionsregierung unter Ibrahim Mohamed Solih hat versprochen, die Inselgemeinschaften zu stärken, indem sie Inselräten einen Teil der Einnahmen zuweist, die auf den Atollen generiert werden, und indem sie die Zuständigkeit für Grund und Boden und nahe gelegene unbewohnte Inseln den Räten überträgt. Es wird jedoch keine leichte Aufgabe sein, Fehler der Vergangenheit zu korrigieren und zum Beispiel einige Inseln zur gemeinschaftlichen Nutzung auf den Atollen freizugeben. Solange dieselben mächtigen Geschäftsleute, die auf diesen Inseln die Kontrolle haben, auch im Parlament sitzen und gegen eine faire Verteilung natürlicher Ressourcen Widerstand leisten. Eine Umverteilungspolitik zugunsten der Einheimischen ist für eine nachhaltige Entwicklung in den Malediven von entscheidender Bedeutung.

Muna Mohamed ist eine maledivische Autorin und Bloggerin. Sie schreibt über Vertreibung, Landraub und das Management natürlicher Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung zum Schutz der Rechte der Gemeinschaften.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp