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Volunteer-Tourismus: Risiken und Chancen

Einschätzungen aus Deutschland und Südafrika


Immer mehr Jugendliche, junge Erwachsene und Rentner entdecken Volunteer-Tourismus als Art des Verreisens. Die Reisenden sind in der Regel auf der Suche nach einer Urlaubserfahrung, die sich nicht nur positiv auf die persönliche Entwicklung aus­wirkt, sondern gleichermaßen einen Nutzen für die soziale, ökologische oder ökonomi­sche Umgebung im Urlaubsland bringt. Aufgrund der verschiedenen Motivationen der Freiwilligen entwickelten sich Programme mit unterschiedlichen Zielen: Entwicklungs­hilfe, Absetzung vom Massentourismus, Begegnung und internationaler Austausch, Urlaub und Freizeit oder eben einfach Hilfe durch zusätzliche kostenlose Arbeitskraft.

Obwohl der Volunteer-Tourismus noch keinen besonderen Stellenwert in der Touris­muswirtschaft einnimmt, ist er vor allem im internationalen Jugendreisebereich ein boomendes Segment. Die jungen Reisenden von heute werden die Reisetrends von morgen bestimmen. Es ist demnach von besonderer Bedeutung, Potenziale und Risiken zu erkennen.

Gemeinsam lernen

Heinz Fuchs von der Arbeitsstelle Tourism Watch des Evangelischen Entwicklungs­dienstes (EED) bezeichnet das Modell des Volunteer-Tourismus als ein "Arbeits­programm, das von der Begegnung, vom gemeinsamen Tun und gemeinsamen Lernen geprägt ist". Es gehe um mehr als nur um ein touristisches Geschäft. Reflexionsmöglichkeiten sollten vorhanden sein und das "Konzept des Reisens auf Gegenseitigkeit" verwirklicht werden. Wichtig ist laut Fuchs, dass im Anschluss an den Freiwilligeneinsatz aus dem gemeinsamen Arbeiten heraus "etwas Sichtbares von der Begegnung zwischen den Menschen bleibt".

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssten sorgfältig ausgewählt werden. Die Risiken der Freiwilligeneinsätze lägen weniger im ökologischen, sondern vor allem im sozialen Bereich. "Gerade in Katastrophensituationen und dort, wo Menschen in die Situation geraten, dankbar sein zu müssen für das, was ihnen andere Gutes tun, ist immer auch eine Situation gegeben, in der sexuelle  Gewalt vorkommen kann", meint Fuchs. Volunteer-Touristen müssten dementsprechend sensibilisiert, informiert und gut vorbereitet werden. Wird der entsprechende Rahmen vorgegeben, sei das Risiko nach Einschätzung von Wolfgang Strasdas, Professor an der Fachhochschule Eberswalde, nicht so groß. Grundsätzlich sollten die Volunteer-Organisationen vor allem bei sozialen Projekten die Kontrolle haben.

Sven Mangels, Gründer des Reiseveranstalters "Explore & Help", sieht die Gefahr, dass Volunteer-Tourismus zu einer Spaßveranstaltung werden könnte. Zwar dürfe der Spaß nicht verloren gehen, doch müssten die Menschen "den Ernst der Sache begrei­fen." Oft sei der Informationsfluss zu gering und die Teilnehmer würden nicht erkennen, worum es eigentlich gehe. Eine weitere Gefahr sei, dass Volunteer-Tourismus zu einem Massenprodukt verkomme und die Nachhaltigkeit fragwürdig werde.

Volunteer-Tourismus in Südafrika

Nach Einschätzungen von Jennifer Seif, Direktorin der Organisation "Fair Trade in Tourism South Africa" (FTTSA), könnte der Volunteer-Tourismus in Südafrika zukünftig zu einem wichtigen Tourismussegment werden. Von besonderer Bedeutung sei es, einen Verhaltenskodex für Volunteer-Tourismus einzuführen. Dabei dürfe es nicht das Hauptziel sein, mehr Touristen anzulocken, die nichts weiter als ihr Geld im Land lassen, sondern es gelte den Wert dieser neuen Art von Tourismus hervorzuheben. Wird Volunteer-Tourismus vorwiegend als Nischenprodukt auf dem Reisemarkt wahrgenommen, könnte der ursprüngliche entwicklungspolitische Ansatz immer weiter in den Hintergrund rücken. Ein sehr wichtiger Aspekt ist laut Seif auch die Nachbereitung einer solchen Reise: Welche Aktivitäten ergeben sich im Nachhinein, wenn die Freiwilligen wieder in ihrem Heimatland sind?

Der Volunteer-Tourismus hat diesbezüglich großes Potenzial, meint auch Jasmin Johnson von der südafrikanischen Nichtregierungsorganisation "Southern Africa Sustainable Development Initiative" (SASDI). Sie ist überzeugt, dass durch persönliche Beziehungen zwischen Touristen und Einheimischen Brücken entstünden, die wieder heimkehrende Touristen dazu veranlassten, als "Botschafter" Werbung für solche Art von Projekten zu machen. Solange die Hilfe durch die "richtigen Kanäle" gehe, könnten der Projekttourismus und auch der Volunteer-Tourismus das Bewusstsein der Leute fördern und mit Spenden würde das Projekt oder die Gemeinschaft weiter unterstützt werden, so Johnson.

Hohe Erwartungen

Risiken sieht Jasmin Johnson allerdings darin, dass "unrealistische Versprechungen gemacht werden und die lokale Bevölkerung nicht in die Prozesse einbezogen wird." Außerdem müssten die Projekte langfristig geplant sein. Die Erwartungshaltungen sowohl der Gemeinschaft vor Ort als auch der Touristen müssten auf ihre Realisierbar­keit geprüft werden. Generell sei es wichtig, bereits im Vorfeld herauszufinden, welche Fähigkeiten die Freiwilligen haben, damit sie passenden Projekten zugeteilt werden können. Beispielsweise sollte niemand Kinder unterrichten, der noch keine Lehr­erfahrungen hat. Auch im medizinischen Bereich sollte man nicht ohne entsprechende Berufserfahrung arbeiten. Die praktische Umsetzung sieht leider oft anders aus. In Interviews mit deutschen Reisevermittlern stellte sich heraus, dass oftmals die Meinung vorherrscht, "Motivation und Eigeninitiative sowie Geduld bei der Betreuung von Kindern" seien ausreichend, um in Südafrika zu unterrichten.

Um den Volunteer-Tourismus in seinen Auswirkungen zu optimieren, müsse sich nach der Meinung von Peter Francis von der Wohltätigkeitsorganisation "Habitat for Humanity South Africa" (HfHSA) allerdings das Bewusstsein der Reisenden bezüglich der Freiwilligendienste verändern. Dieses wiederum wirke sich dann auf das touristische Verhalten aus. Der Volunteer-Tourismus kann seiner Meinung nach zu einer wichtigen Einnahmequelle für Nichtregierungsorganisationen und Selbsthilfe­gruppen werden.

Auch die lokale Bevölkerung verspricht sich viel vom Tourismus. Damit sei aber die Gefahr verbunden, dass der Entwicklungsprozess zu langsam voranschreite, weshalb die Menschen oft frustriert würden, so der Eindruck von Thembalakhe Langa, der Reisegruppen durch ein Township führt. Genevieve Dupreez (HfHSA) ist der Ansicht, dass die Bevölkerung in Südafrika bereits eine Reihe von  Möglichkeiten nutze, um vom Tourismus zu profitieren. Stuart Hendry (SASDI) meint dagegen, dass die Bevölkerung selbst nicht ansatzweise so viel daran verdiene, wie sie sollte. Die Gemeinschaften seien zwar eine der touristischen Hauptattraktionen, doch würden sie noch immer von der Tourismusindustrie ausgenutzt. Um eine gleichberechtigte Begegnung zu ermöglichen, müssen laut Hendry die Gemeinschaften die Projekte selbst leiten und die Kontrolle behalten. Die Touristen kämen mit ihren Fähigkeiten und finanziellen Mitteln bloß hinzu, um die Projekte zu unterstützen.

Ob der Volunteer-Tourismus den Anforderungen einer nachhaltigen Tourismus­entwicklung entspricht, hängt sehr stark davon ab, wie die einzelnen Projekte umgesetzt werden. Hier ist vor allem das Verantwortungsbewusstsein der Anbieter solcher Reiseprogramme gefragt. Nur durch enge Kooperationen mit der lokalen Bevölkerung kann sichergestellt werden, dass diese partizipiert und dass Volunteer-Touristen an den für sie passenden Projekten teilnehmen.

Nikola Schiekel ist Diplom-Geographin und hat ihre Forschungsarbeiten im Bereich Volunteer-Tourismus und nachhaltige Tourismusentwicklung durchgeführt.
Ihre Diplomarbeit "Volunteer-Tourismus. Instrument einer nachhaltigen Tourismusentwick­lung in Südafrika?" steht unter www.tourism-watch.de/files/volunteer_tourismus_1.pdf zum Herunterladen zur Verfügung.

(7.412 Anschläge, 100 Zeilen, Juni 2009)