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Rezension „Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer“

Nicht veraltet, sondern zukunftsweisend


Jede siebte Reise aus Deutschland ging vor Corona in sogenannte Entwicklungs- und Schwellenländer – ein Grund genauer hinzusehen, um Trends und Entwicklungen zu erkennen – sei es auf Seiten der Reisenden, bei den Reiseveranstaltern und in den Destinationen selbst. Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung hat nun die dritte Fortschreibung seiner im Jahr 2000 erschienenen Studie „Tourismus in Entwicklungs- und Schwellenländer“ vorgelegt. In der fast 400-seitigen Publikation analysiert das fünfköpfige Team der Autorinnen und Autoren wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Effekte des Tourismus. Da die Studie etwa alle zehn Jahre fortgeschrieben wird (zuletzt 2013), erlaubt sie den Blick auch auf langfristige Veränderungen und ermöglicht damit eine Betrachtungstiefe, die andere Publikationen nicht haben. Beispielweise besuchten 2018 etwa gleich viele Deutsche Vietnam (213.000) und die Dominikanische Republik (216.000). In der Langzeitbetrachtung sieht man aber, dass sich in der Dominikanischen Republik die Zahl deutscher Gäste seit 2000 mehr als halbiert hat – während die Zahlen in Vietnam stark gewachsen sind – um mehr als 600 Prozent.  Eine Interpretation liefert das Zahlenwerk zwar nicht, aber es erlaubt das Erkennen von statistischen Auffälligkeiten, um diese gezielt in den Blick zu nehmen.


Eine erste Orientierungshilfe für eine qualitative Bewertung liefern dabei die 17 Themenkapitel zur Stärkung der Nachhaltigkeit im Entwicklungsländer-Tourismus. Freie Journalistinnen und externe Autorinnen aus Nichtregierungsorganisationen und der Entwicklungszusammenarbeit beschäftigen sich in ihren Texten u.a. mit Themen wie Bildung, Digitalisierung, Klimaschutz, Müllvermeidung, Beschäftigungsförderung, Resilienz und Menschenrechten. Der sich verschärfenden Klimakrise im und durch den Tourismus hätte dabei in der Publikation insgesamt etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollen. Denn die Vulnerabilität von Destinationen im globalen Süden gegenüber der Klimakrise ist sicherlich die größte Herausforderung des Tourismus – vor allem für die Menschen vor Ort, aber auch für deutsche Reiseveranstalter, die diese Zielgebiete im Programm haben.


Kernstück der Studie ist eine detaillierte, repräsentative Umfrage zu Reiseerfahrungen und Urlaubserwartungen unter deutschen Reisenden. In der Erhebung wurden die bevorzugten Reiseformen abgefragt aber auch die Einschätzung von positiven und negativen Wirkungen des Reisens oder das Interesse an Informationen über Land und Leute. Die Befragung fand im Januar 2020 statt, bevor die COVID-19 Pandemie die Welt – nicht nur im Tourismus – in einen Ausnahmezustand versetzt hat. Gleiches gilt für die 46 Interviews mit deutschen Reiseveranstaltern, die im Lichte einer Dekade ungebremsten touristischen Wachstums stattfanden – gefühlt also in einer anderen touristischen Realität. Veraltet sind die Daten trotzdem nicht, denn die Probleme, die 2020 von Reisenden und Unternehmen beschrieben wurden – von Overtourismus bis Klimawandel – sind nicht einfach verschwunden. Corona hat keines der Probleme des Tourismus gelöst, sondern sie nur etwas in den Hintergrund geschoben. Dass die COVID-19 Pandemie eine Zeitenwende im Tourismus darstellt – also ein Ereignis nach dessen Abklingen nichts mehr so ist, wie zuvor - erwarten auch die Branchenexpertinnen und -experten der Studie nicht. Sie gehen von einer Rückkehr des Tourismus auf das Vor-Krisen Niveau aus, die sich zuerst im Nahbereich und verzögert auch im Fernbereich vermutlich bis 2025 einstellen wird. Von daher liefert die Publikation zwar nur eine Momentaufnahme vor Corona, aber entfaltet einen Horizont für die zukünftige Entwicklung des Tourismus.


Die Publikation ist eine Leseempfehlung für alle, die sich mit dem Neustart des Tourismus in Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas beschäftigen – sei es im Rahmen der akademischen Ausbildung, durch Förderprojekte der Entwicklungszusammenarbeit oder ganz praktisch als Tourismusunternehmen mit Reiseangeboten in den Regionen.