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Von anderen lernen

Erfahrungen aus der Entwicklung von CSR-Branchenstandards


Das Spektrum der Branchen, in denen ein Branchenstandard für gesellschaftliche Unternehmensverantwortung (CSR) existiert, ist groß. Es reicht von der Baumwollproduktion ("Better Cotton Initiative") über die Blumenzucht ("Floriculture Sustainability Initiative") und Chemieindustrie ("Responsible Care") bis zu den Energieversorgern ("Bettercoal"), Handelsunternehmen ("Business Social Compliance Initiative") und Spielwarenindustrie ("ICTI CARE Foundation"). Für den Tourismussektor gibt es bisher keinen branchenweiten CSR-Standard, dafür existieren in der Branche über 100 Nachhaltigkeitslabel.

CSR-Branchenstandards werden in der Regel entweder im Rahmen eines Dialogs unter Beteiligung der Kern-Interessengruppen oder auf Initiative von Unternehmen oder Verbänden entwickelt. Oftmals gehen die Impulse von sozialethischen oder ökologischen Missständen, Skandalen oder Unfällen aus, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Die Branchenstandards zielen dann auf die Verbesserungen der ökologischen und sozialen Standards entlang der gesamten Wertschöpfungskette ab. Ein weiteres Motiv liegt häufig darin, vorwegzunehmen, dass andere Akteure, z.B. die Politik, diese Themen besetzen. So soll mit lösungsorientierten Empfehlungen und Instrumenten möglichen Restriktionen vorgebeugt werden. Und schließlich kann ein übergeordneter Standard Ineffizienzen auf Grund unterschiedlicher individueller Standards beheben.

Die Instrumente sind jeweils an die Anforderungen der Branche angepasst. Allerdings beinhalten alle Standards einen Verhaltenskodex, der auf allgemein anerkannten Leitlinien wie zum Beispiel den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) basiert. Ist es erforderlich, werden Gesetze und Vorschriften einzelner Länder in den Verhaltenskodex integriert. Die Finanzierung wird überwiegend über Mitgliedsbeiträge sichergestellt.

Zwar ist es schwierig und perspektivabhängig, die Wirksamkeit eines Standards genau zu evaluieren, doch klug konzipierte Branchenstandards, die bestimmte notwendige Bedingungen erfüllen, können als Instrument für Entwicklungsprozesse und zur Selbststeuerung einer gesamten Branche durchaus geeignet sein. Interessanterweise entfalten CSR-Standards in einigen Branchen eine beachtliche Wirksamkeit, während bei anderen eine mangelnde thematische und Branchen-Reichweite sowie eine gewisse Alibi-Funktion nicht von der Hand zu weisen sind.

Erkennbare Erfolgsfaktoren

Um einen Standard erfolgreich zu etablieren, erscheint es unerlässlich, dass die Beteiligten von seiner Notwendigkeit überzeugt sind und dass er viele Interessen einschließt. Außerdem müssen die Ziele präzise formuliert und die Leitlinien auf die spezifischen Themen der Branche ausgerichtet sein. So sollte zum Beispiel ein Branchenstandard für die Blumenzucht Alternativen zum Einsatz von Pflanzenschutzgiften vorschlagen. Ein Standard der Spielwarenindustrie sollte dem Risiko schädlicher chemischer Substanzen in Spielzeug entgegenwirken. Um die Wirksamkeit des Standards langfristig zu gewährleisten, müssen die Inhalte regelmäßig aktualisiert und mit möglichen Maßnahmen und Instrumenten versehen werden.

Um eine umfassende Interessenvertretung sicherzustellen, sind alle relevanten Interessengruppen in den Entstehungsprozess einzubinden. Allein nur von Unternehmen vorangetriebenen Standards wird oft vorgeworfen, dass sie einseitig den Interessen einer Branche Rechnung tragen. Durch die Mitbestimmung und Partizipation unterschiedlicher (auch zivilgesellschaftlicher) Akteure aber erhält der Standard seine Legimitation. So integriert er überdies die größtmögliche zur Verfügung stehende Expertise.

Damit ein Standard wirkungsvoll ist, müssen seine Inhalte in den Unternehmen in die Geschäftsprozesse überführt werden. Unabdingbar ist es, alle Mitarbeiter für die Werte, die der Standard transportiert, zu sensibilisieren. Zudem empfiehlt sich eine regelmäßige Berichterstattung über die Tätigkeiten und die Entwicklung des Standards gegenüber den beteiligten Interessengruppen und der Öffentlichkeit. Je höher der Bekanntheitsgrad sowohl in der eigenen Branche als auch in branchenfremden Sektoren ist, desto größer ist die Bedeutung des Standards und desto breiter wirkt er. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, denn durch einen inflationären, von Imagezwecken getriebenen Umgang mit dem Standard kann er schnell als reines PR-Instrument wahrgenommen werden. Schließlich müssen bei Verstößen der Mitglieder gegen die Regelungen des Standards Sanktionsmechanismen verankert sein, um Pflichtverletzungen ernsthaft verfolgen und ahnden zu können.

Nutzen für Unternehmen, Zivilgesellschaft und Politik

Zunächst reduziert ein CSR-Branchenstandard – wenn er die genannten Bedingungen erfüllt – Unsicherheiten für Unternehmen, die sich aus den verschiedenen nationalen Anforderungen ergeben. Er mindert damit die entsprechenden Risiken. Normierte Prozesse und Instrumente, die durch den Standard zur Verfügung gestellt werden, schaffen einen Kenntnisvorsprung. Sie führen zu einer strukturierten Problemlösung, sparen Zeit, senken die Kosten und fördern den internen Lernprozess.

Für die Öffentlichkeit stellt der Standard eine Orientierungshilfe dar. Es kann daran abgelesen werden, wozu sich Unternehmen verpflichten und worin ihr CSR-Engagement in der Branche besteht. Durch konstruktiven Austausch und Berücksichtigung der Interessen aller Mitglieder wird die Vertrauenswürdigkeit enorm gestärkt.

Der Politik dient der Standard als eine Art Ansprechpartner bei sozialethischen und ökologischen Herausforderungen der Branche. Seine Mitglieder können damit zu entsprechenden Maßnahmen angehalten werden. Dies gewährleistet eine effizientere Zusammenarbeit, als wenn der Austausch einzeln mit den Akteuren einer Branche erfolgen muss.

Wenn ein Branchenstandard die oben genannten Kriterien erfüllt, kann er wirksam zur Steuerung der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen und anderen Akteuren in einer Branche beitragen und auch für Zivilgesellschaft und Politik von Nutzen sein. Im Tourismussektor besteht durch einen vereinheitlichten Branchenstandard neben der Risikovermeidung bei Unternehmen auch die Chance, die Ineffizienzen der derzeit zahlreichen Nachhaltigkeitslabel zu verringern.

Jesco Kreft (Geschäftsführer) und Miriam Schaper (Projektleiterin Tourismus) arbeiten in der Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik und führen derzeit im Rahmen einer Studie ethische Risikoanalysen für die Tourismusbranche entlang der gesamten Wertschöpfungskette durch.

(6.234 Zeichen, März 2013)