Nicht erst während des Nationalsozialismus sondern bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts deklarierten sich zahlreiche Erholungsorte, Hotels und Pensionen öffentlich als "judenfrei", um antisemitisch gesinnte Gäste anzusprechen. Eine Mehrheit der Bäder an der Nordseeküste definierte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg offiziell als antisemitisch. Wie der Historiker Frank Bajohr in seinem Buch "Unser Hotel ist judenfrei" nachvollziehbar darstellt, war der Bäder-Antisemitismus jedoch nicht einfach eine Ausdrucksform des politischen Judenhasses. Er speiste sich aus soziokulturellen Entwicklungen, die eng mit den gesellschaftlichen Funktionen der Badereise vor Entstehung des modernen Massentourismus verbunden waren. Der Antisemitismus in Küstenbädern und anderen Fremdenverkehrsorten war allerdings kein rein deutsches, sondern ein internationales Phänomen, das u.a. in den USA weit verbreitet war. Noch in den 1950er Jahren akzeptierten dort rund 30 Prozent der Ferienhotels keine jüdischen Gäste. Der "Hotel- and Resort Antisemitism" in den USA war zu dieser Zeit stärker verbreitet als der Bäder-Antisemitismus in Deutschland vor 1933.
Der Beziehung Antisemitismus und "Fremden"verkehr ist bisher in der öffentlichen Diskussion, Forschung und Literatur wenig Zeit und Raum gewidmet worden. Umso erfreulicher ist es, dass sich Frank Bajohr sehr differenziert dem (deutschen) Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert widmet.
Frank Bajohr: "Unser Hotel ist judenfrei - Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert." Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2003; 233 S., ISBN 3-596-15796-X
(1.725 Anschläge, 19 Zeilen, Juni 2004)