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Tourismus und menschliche Entwicklung - Erfahrungen aus der Dominikanischen Republik


Immer wieder wird der Tourismus als Instrument der Armutsbekämpfung gepriesen. Das Beispiel der Dominikanischen Republik zeugt jedoch von einem sehr geringen Nutzen dieses Wirtschaftszweiges. Gerade in den Orten, in denen der Tourismus besonders prominent ist, trägt er kaum zur Verbesserung der Lebensqualität bei. Die folgende Analyse basiert auf Statistiken des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP), das in nationalen Berichten über die menschliche Entwicklung in der Dominikanischen Republik nicht nur die Einkommensentwicklung erfasst, sondern zum Beispiel auch Daten zu Gesundheit und Bildung und zum Zugang zu Trinkwasser.

Der Tourismus hat sich in den letzten 20 Jahren zu einem der wichtigsten Sektoren der dominikanischen Wirtschaft entwickelt. Seit Mitte der neunziger Jahre ist er eine der wichtigsten Quellen für Deviseneinnahmen. Neben anderen Wirtschaftszweigen hat er sich als profitable Alternative zum Zuckerexport bewährt, der in eine unüberwindbare Krise geraten war. Darüber hinaus hat das Wachstum des Tourismussektors wesentlich dazu beigetragen, dass die vorher hauptsächlich auf Agrarexporte orientierte Wirtschaft jetzt breiter aufgestellt ist.

Krise des vorherrschenden Tourismus-Modells

Trotzdem verliert das Tourismus-Modell der letzten Jahre an Kraft; in der ersten Hälfte der ersten Dekade des neuen Jahrtausends zeigt es deutliche Signale der Erschöpfung. Auf der einen Seite war ein Rückgang der Wachstumsdynamik auszumachen, der etwa an der Zahl neu hinzugekommener Zimmer, den Devisen-einnahmen und der Anzahl neu geschaffener Arbeitsplätze deutlich wird. Auf der anderen Seite verweist der nationale Bericht über die menschliche Entwicklung von 2005 jedoch auf einen anderen Indikator, der wahrscheinlich weitaus größere Aussagekraft hat: Obwohl das nominale Einkommen pro Tag und Tourist gestiegen ist, hat sich das reale Einkommen verringert. So zeigt dann auch der nationale Bericht über die menschliche Entwicklung 2008, dass die Zahl der direkt und indirekt durch den Tourismus geschaffenen Arbeitsplätze abgenommen hat. Die Beschäftigungstendenz im Hotelsektor ist rückläufig und seit 2000 blieben die Anzahl der Arbeitplätze und der Besucher sowie die Höhe der Einnahmen hinter den Prognosen zurück.

Doch nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht macht sich bemerkbar, dass das Tourismus-Modell, das seit Ende der achtziger Jahre umgesetzt wird, nicht länger tragbar ist. Auch die durch den Tourismus hervorgerufenen Umweltschäden sind immens. Neben der Versalzung des Grundwassers wird auf Schäden an den Korallenriffen und Mangroven sowie auf den enormen Wasserverbrauch verwiesen.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene sind in den letzten zehn Jahren unerwünschte Begleiterscheinungen des Tourismus deutlich zu Tage getreten. Hierzu gehören insbesondere die Zunahme unkontrollierter Migration, soziale Spannungen und ein Anwachsen der Kriminalität. Weitere negative Entwicklungen kommen hinzu, wie zum Beispiel der ungesteuerte Ausbau des Hotelsektors jenseits machbarer Gesamt-konzepte von Städten und Gemeinden und hinter dem Rücken der Bevölkerung.

Regionale Konzentration

Besonders auffällig an der Entwicklung des Tourismus in der Dominikanischen Republik ist seine räumliche Konzentration. Fast 70 Prozent der Hotelbauten und der Hotelzimmer befinden sich in nur zwei von 32 dominikanischen Provinzen: in La Altagracia und Puerto Plata. Die verfügbaren Daten zeichnen leider kein positives Bild der Entwicklung in diesen Provinzen: Die Menschen dort haben weder eine bessere Lebensqualität und ein höheres Einkommen noch stehen ihnen mehr Chancen offen. Das Einkommensniveau in Puerto Plata entspricht dem Landesdurchschnitt, während es in La Altagracia um 17 Prozent höher ist.

Doch selbst wenn das Einkommensniveau in La Altagracia relativ hoch ist, konzentriert sich dort, im Gegensatz zu anderen Provinzen, ein Großteil der Einkommen auf wenige Beschäftigungszweige. Dies lässt den Schluss zu, dass das höhere Einkommens-niveau zum Teil durch höhere Einkommen besser verdienender Bevölkerungsschichten zustande kommt. Es kann vermutet werden, dass die Einkommen der ärmsten Schichten nicht signifikant höher sind als im Rest des Landes. In Puerto Plata geht das relativ niedrige Einkommensniveau mit einer Einkommenskonzentration einher, die noch unter dem Niveau in La Altagracia und unter dem Landesdurchschnitt liegt.

Mehr Armut in Tourismusregionen

Der Anteil der Menschen, die in Armut leben, ist sowohl in Puerto Plata als auch in La Altagracia höher als im Rest des Landes. Im Jahr 2002 lebte mehr als die Hälfte der Bevölkerung in La Altagracia in Armut, in Puerto Plata waren es 44,7 Prozent der Einwohner. Im Landesdurchschnitt lag die Armutsrate bei 42 Prozent. Auch im Bereich Bildung schnitten die touristischen Provinzen bei allen untersuchten Faktoren, mit Ausnahme der Analphabetenquote bei Erwachsenen, im Vergleich zum Rest des Landes schlechter ab. Der Anteil der Bevölkerung ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu aufbereitetem Wasser ist in La Altagracia mit 36,4 Prozent wesentlich höher als der Landesdurchschnitt von 13,5 Prozent. In Puerto Plata liegt der Anteil mit 15,5 Prozent ebenfalls - wenn auch nur leicht - über dem Landesdurchschnitt.

Aus den nationalen Berichten über die menschliche Entwicklung aus den Jahren 2005 und 2008 geht hervor, dass der Tourismus in der Dominikanischen Republik zu sozialer und ökonomischer Ausgrenzung geführt hat und die Bevölkerung kaum vom Wachstum dieses Sektors profitieren konnte. Eine Dimension der sozialen Ausgrenzung, die in den Berichten hervorgehoben wird, ist die De-facto- und die De-jure-Privatisierung von Stränden. Das heißt, dass die Behörden es dulden (teils aber auch aktiv unterstützen), dass der Zugang zu den Stränden ausschließlich ausländischen Touristen gestattet ist.

Bedingungen für einen nachhaltigeren Tourismus

In den Berichten wird ausdrücklich festgestellt, dass es nicht ausreicht, lediglich für einen Anstieg von Deviseneinnahmen und Touristenzahlen, für höhere Einkommen oder mehr verfügbare Zimmer zu sorgen. Dies verhindert nicht notwendigerweise, dass es zu einer Verarmung der Bevölkerung, zur Zerstörung der Umwelt und zum Verlust von Werten kommt und dass sich Einkommensverteilung oder Lebensbedingungen weiter verschlechtern.

In den Berichten wird betont, dass es auf dem internationalen Markt durchaus Spiel-raum für Veränderungen des Tourismus-Modells gibt: Zunehmend werden Angebote nachgefragt, denen ein respektvoller Umgang mit Menschen, Kultur und Umwelt zu-grunde liegt. Darum wird angeraten, dass die Dominikanische Republik ihr Angebot an diese neuen Trends anpasst. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Entwicklung des Tourismus sich nicht auf Kosten der menschlichen Entwicklung vollzieht.

Schließlich machen die Berichte deutlich, dass Tourismus nur dann Entwicklungs-chancen eröffnet, wenn die Bevölkerung direkt davon profitiert, wenn die eigene Kultur dadurch gefördert wird, wenn Produktionsketten im Land selbst entstehen, wenn Mehrwert erzeugt wird, wenn respektvoll mit der Umwelt umgegangen wird und wenn die Gemeinden in die Entwicklung des Tourismus einbezogen werden. Dazu sind große Anstrengungen sowohl zivilgesellschaftlicher als auch öffentlicher Institutionen notwendig. Dabei ist vor allem, aber nicht nur der Staat gefordert. Ohne Berücksichtigung all dieser Aspekte wäre eine ausschließende, feindselige und noch stärker fragmentierte Gesellschaft mit deutlich höherer Konfliktanfälligkeit die Folge.

Pavel Isa Contreras ist wirtschaftlicher Berater im Büro für menschliche Entwicklung (OHD) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) in der Dominikanischen Republik. Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag des Autors für ein Seminar zu Tourismus und Entwicklung, das im Juli 2010 in der Dominikanischen Republik stattfand.

Übersetzung aus dem Spanischen: Bettina Hoyer, lingua•trans•fair

Weitere Informationen zum Konzept menschlicher Entwicklung: Bericht über die menschliche Entwicklung 2010. Der wahre Wohlstand der Nationen: Wege zur menschlichen Entwicklung. Hg. Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Dt. Ausgabe: Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), Berlin, 2010. www.dgvn.de (Publikationen)

(8.352 Anschläge, 111 Zeilen, Dezember 2010)