Die Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) soll vom Tourismus betroffenen Gemeinschaften eine Mitsprache in ihren Entscheidungsprozessen ermöglichen. Das fordert die britische Kampagnenorganisation Tourism Concern gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen (darunter auch EED Tourism Watch). Wir fragten Tricia Barnett, Direktorin von Tourism Concern, nach der Bedeutung einer solchen Beteiligung, nach Hindernissen, Fortschritten und besseren Modellen. Tricia Barnett ist seit 1991 bei Tourism Concern. Ab Herbst 2011 wird sie von der Geschäftsführung zurücktreten und andere Aufgaben übernehmen. Aus diesem Anlass baten wir Tricia auch um eine persönliche Bilanz.
TW: Warum ist eine Beteiligung der Zivilgesellschaft und insbesondere der vom Tourismus betroffenen Gemeinschaften in der UNWTO so wichtig und warum war sie bislang so schwierig?
Tricia Barnett: Die Aufgaben von Tourism Concern begründen sich durch die Tatsache, dass vom Tourismus betroffene Gemeinschaften im Zuge touristischer Entwicklung an den Rand gedrängt werden und dass eine solche Marginalisierung ungerecht und nicht nachhaltig ist. Eine solche Entwicklung führt zu Unterdrückung, da sich die Menschen machtlos fühlen. Natürlich ist der Tourismus nur einer von vielen Wirtschaftszweigen, die einfach so weitermachen, egal, welche Konsequenzen das für die Umwelt vor Ort und darüber hinaus hat. Doch der Tourismussektor ist insofern einmalig, als dass der Konsum genau dort stattfindet, wo das Produkt "produziert" wird. Somit sind sowohl die Konsumenten als auch diejenigen, die die Tourismusentwicklung vorantreiben, direkt dafür verantwortlich, das gesellschaftliche, kulturelle, natürliche und wirtschaftliche Umfeld wertzuschätzen und zu erhalten.
Die UNWTO ist eine Mitgliedsorganisation. Ihre Mitglieder sind nationale Tourismusministerien und Behörden. Die UNWTO redet zwar von Nachhaltigkeit, handelt jedoch nicht entsprechend. Beispielsweise versäumt sie es, von ihren Mitgliedern verbindlich zu fordern, inklusiver, transparenter und rechenschaftspflichtiger zu arbeiten. Die UNWTO ist eine sehr einflussreiche Organisation und trägt enorme Verantwortung. Sie muss helfen, den Tourismus in eine Zukunft zu steuern, in der sich der Nutzen aus dem Tourismus besser verteilt als heute. Wir glauben nicht, dass die UNWTO das schaffen kann, wenn sie die Zivilgesellschaft ignoriert. Sie muss vielmehr diejenigen mit ins Boot holen, die Kritik an der Art und Weise üben, wie touristische Entwicklungsprozesse üblicherweise gesteuert werden.
In der Vergangenheit war es für internationale Kampagnenorganisationen enorm schwierig, mit der UNWTO zu kommunizieren – wir waren nicht willkommen. Jetzt dürfte das anders sein und wir denken, dass die UNWTO-Spitze nun offen dafür ist, ihre Verantwortung als UN-Organisation in Bezug auf Rechenschaftspflicht, Inklusivität und Transparenz anzuerkennen. Das muss sie ohnehin tun. Der Generalsekretär hat uns zu verstehen gegeben, dass er unsere Kampagne für gerechtfertigt hält.
TW: Wie könnte und sollte die Zukunft aussehen? Gibt es gute Beteiligungsmodelle in anderen UN-Organisationen?
Tricia Barnett: Ich meine, dass es nicht nur die Beteiligung ist, an der sich etwas ändern muss. Insbesondere sollten den Menschen vor Ort die in Artikel 10 des "Globalen Ethikkodex für den Tourismus" der UNWTO genannten Mechanismen zur Verfügung stehen und real anwendbar sein. Dieser Artikel 10 ermöglicht es denjenigen, die mit den Entwicklungen unzufrieden sind, sich an das Weltkomitee für Tourismusethik der UNWTO zu wenden, um Streitigkeiten schlichten zu lassen. Wir verstehen den Artikel so, dass sich in solchen Fällen zivilgesellschaftliche Gruppen zusammen mit dem Tourismusentwickler, gegen den Beschwerden vorliegen, an die UNWTO wenden müssen. Das ist natürlich unrealistisch und ist auch noch nie vorgekommen. Dieser Ansatz muss eindeutig neu überdacht werden. Wir argumentieren, dass Artikel 10 für Opfer von Menschenrechtsverletzungen einen außergerichtlichen Mechanismus bieten könnte. Dies wird gestärkt durch den UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und multinationale Unternehmen, der Richtlinien zur Umsetzung eines "Protect", "Respect", "Remedy"-Systems zum Schutz und zur Achtung der Menschenrechte und für Wiedergutmachungsmechanismen im Falle von Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht hat.
Tourism Concern hat untersucht, wie andere UN-Organisationen in ihrer Arbeit einen partizipativen und inklusiven Ansatz realisieren, der auch die Zivilgesellschaft einbezieht. Die UNWTO sagt, sie habe nicht die Mittel, um zivilgesellschaftliche Organisationen finanziell zu unterstützen, damit sie sich an ihren Prozessen beteiligen können. Darüber lässt sich natürlich streiten. Wir haben jedoch verschiedene Vorgehensweisen identifiziert, die von anderen UN-Organisationen genutzt werden. Von besonderem Interesse ist der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Der ECOSOC dient als Diskussionsforum für internationale wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen, einschließlich der Menschenrechte und grundlegender Freiheiten, und er formuliert politische Handlungsempfehlungen für Mitgliedsstaaten und das UN-System. In Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen diskutiert der ECOSOC mit über 3.200 Nichtregierungsorganisationen zentrale Themen aus den Bereichen Umwelt und wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung, die auf der internationalen Tagesordnung stehen. Unser Bericht zur Kooperation zwischen der UNWTO und der Zivilgesellschaft kann der UNWTO auf dem Weg zu einem sinnvollen Engagement helfen.
Das ist alles möglich und kein Rad muss neu erfunden werden. Es ist eine Frage des Willens. Glücklicherweise ist die Kampagne nicht allein eine Kampagne von Tourism Concern. International besteht bei tourismuskritischen Organisationen Einigkeit, dass wir gemeinsam auf Veränderungen in der UNWTO drängen müssen.
TW: Wie sieht Deine persönliche Bilanz nach 20 Jahren Engagement für Tourism Concern aus? Was ist erreicht worden, was hat sich verbessert?
Tricia Barnett: Das ist eine große Frage! Ich bin stolz, dass Tourism Concern nach 21 Jahren immer noch Kampagnenarbeit leistet und weiterhin Gemeinschaften unterstützt, die sonst hier in Großbritannien keine Stimme hätten. Und wir haben Erfolge erzielt. Finanziell gesehen war es immer ein Kampf, denn das, wofür wir stehen, widerspricht der Auffassung, dass es ein Recht darauf gäbe, in Urlaub zu fahren, und dass damit keine Verantwortung anderen gegenüber verbunden wäre. Urlaub ist etwas Großartiges und könnte allen Beteiligten so viel mehr bringen. Tourismus ist ein entwicklungspolitisches Thema. Als ich mit dieser Arbeit anfing, bedeutete das noch nicht viel, doch ich denke, viele Menschen verstehen das inzwischen besser.
Ich bin auch stolz darauf, dass wir Einfluss auf Veränderungen im Tourismussektor hatten. Die britischen Reiseveranstalter haben noch einen langen Weg vor sich, aber sie verstehen jetzt, dass es eine Leiter zu erklimmen gibt, und ich denke sie haben die erste Stufe gefunden.
Weitere Informationen:
Tourismuskritische Organisationen rufen UNWTO auf, ihre Türen zu öffnen (http://tourism-watch.de/de/node/1692)
Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp
(7.155 Anschläge, 95 Zeilen, September 2011)