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Was ist Ökotourismus?

Kommerzieller Missbrauch oder Genuss der Natur?


Jeder Begriff hat seine Geschichte, und die ist häufig voller Missverständnisse. Vor allem dann, wenn weltweit daran herumgestrickt wird und ganz nach Belieben definiert werden darf - bis es dem Zeitgeist passt oder dem Markt.

Genau das ist binnen 20 Jahren mit dem "Ökotourismus" geschehen, für den die Vereinten Nationen 2002 ein "Internationales Jahr" ausgerufen haben. Kaum jemand scheint heute noch vor Augen zu haben, was ursprünglich mit diesem Begriff gemeint war. Wenn schon die "Tourismuswachstumsmaschine" weltweit nicht aufzuhalten wäre, so die Überlegung der international vernetzten Szene der Tourismuskritiker in den 80er Jahren, dann müsste man fortan dafür werben, ein so weitreichendes gesellschaftspolitisches Massenphänomen wie den Tourismus wenigstens verträglicher zu machen: umweltfreundlicher, sozial ausgeglichen, kulturell rücksichtsvoll und ökonomisch fair.

Während man sich über solche Auffassungen im mitteleuropäischen und im (touristisch relevanten) südostasiatischen Kulturraum annähernd einig war, hat man sich zuerst im englischen und später auch im spanischen Sprachraum in eine ganz andere Richtung bewegt. Von wissenschaftlich orientierten Ausnahmen abgesehen, hat man dort recht früh damit begonnen, unter "Ökotourimus" nahezu all jene touristischen Aktivitäten zusammenzufassen, die irgendwie in der Natur stattfinden. Ohne dass damit zwangsläufig auch ein glaubwürdig umweltpolitisches Anliegen hätte verbunden sein müssen.

Am Ende hatte sich die englisch-amerikanische Version international durchgesetzt. Erlaubt sie doch weiterhin, immer neue und touristisch bislang unberührte Gebiete zu erschließen. Sie lässt zu, was machbar ist oder in ein attraktives touristisches Produkt umgesetzt werden kann.

Der ernsthafte Versuch, ein Gorilla-Schutzprojekt in Uganda durch Tourismus zu finanzieren, wird da mit privaten "Game-Reserve"-Angeboten vermischt. Wal-Tourismus gerät zum "Rettungsanker für die Meeressäuger", und wer verhindern will, dass sich "gefräßige Möwen und Pelikane" auf den schlüpfenden Schildkröten-Nachwuchs der vom Aussterben bedrohten Green Sea Turtles stürzen, könnte dies durch seine (schützende) Anwesenheit auf Tobago verhindern, so wird suggeriert.

Diese um sich greifende Verballhornung des Themas zu Lasten wirklich nachhaltig konzipierter Tourismusprojekte, kommt nicht von ungefähr. Es ist exakt in jener Lücke angesiedelt, die sich aus der differenzierenden Betrachtungsweise der Wissenschaftler ergibt, und dem, was die Tourismusindustrie als "Produkt" daraus macht. Im Zweifel entscheiden sich Urlauber nun einmal eher für ein "gutes Gewissen", das man der Einfachheit halber buchen und seltener für eines, das man sich durch individuelle Verhaltensänderungen verschaffen kann.

Schnell nahm sich auch die in Madrid ansässige Welttourismus-Organisation (WTO) der Sache an. Obwohl es international also keine gemeinsam getragene Definition des Begriffs "Ökotourismus" gibt, weiß die WTO offenbar, was Sache ist. Nach ihrer Interpretation handelt es sich um eine Tourismusform, "in der das Hauptmotiv der Touristen in der Beobachtung und im Genuss der Natur besteht". In solchen Aktivitäten läge jedenfalls ein seit zwei Dekaden rasch expandierendes Marktsegment, für das weiteres zukünftiges Wachstum zu erwarten sei.

Solche Aussagen sind auf die häufig noch mit üppiger Natur und reichem Tierleben ausgestatteten Entwicklungsländer gemünzt. Darum häufen sich in den Ländern des Südens die meist gleichen oder ähnlichen ökotouristisch etikettierten Angebote. Dabei sind die wesentlichen Kernfragen bis heute offen. Unverändert müsste dringend geklärt werden: Handelt es sich hier um einen Nischentourismus, der vielleicht nicht mehr als fünf Prozent des Weltmarktes ausmacht, oder soll das "Jahr des Ökotourismus" zu einem umweltfreundlicheren Massentourismus führen?

Da sich die WTO, zusammen mit der UNEP, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen, in einer "führenden Rolle zur Vorbereitung und Koordination des Ökotourismus-Jahres" sieht, ist man sich auch sicher, dass dieses internationale Großereignis eine "Maximierung des ökonomischen, umweltpolitischen und sozialen Nutzens" bringen werde. Wie das genau geschehen soll, ist nicht erkennbar, aber es liest sich wunderbar.

Dominanz der Welttourismus-Organisation

Mit ihrer kaum verhohlenen Dominanz hat die WTO inzwischen nahezu alle maßgeblichen NGOs aus Nord und Süd gegen sich aufgebracht. Insbesondere die im "Third World Network" zusammen arbeitenden Organisationen aus Asien, Afrika, Nord- und Südamerika sowie Europa (www.twnside.org.sg) plädieren seit knapp zwei Jahren für eine "fundamentale Neubewertung des Ökotourismus", oder wenigstens für ein "Internationales Jahr zur Überprüfung des Ökotourismus". Ihrer Meinung nach besteht mit dem ausgerufenen "Jahr des Ökotourismus" die Gefahr, dass nun endgültig die "Büchse der Pandora" geöffnet wird. Ihre Befürchtungen: Massen-Naturtourismus in bislang verschonten Regionen, Schwächung von Ökosystemen, weiterer Verlust von biologischer und kultureller Vielfalt.

Das "Third World Network" bemängelt unter anderem, dass das Jahr des Ökotourismus durch die (Reise)Industrie dominiert und von Konsumenten-Interessen aus den reichen Ländern geprägt würde, während die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und deren Vorstellungen in Bezug auf eine umweltschonende Kommunal- oder Regionalentwicklung überwiegend ignoriert würden. In einem vom November 2000 datierten Brief an UNEP-Chef Klaus Töpfer beklagt das Third-World-Netzwerk, dass sich die Tendenz abzeichne, all jene von der Mitwirkung am Ökotourismus-Jahr auszuschließen, die unangenehme fundamentale Fragen zur Rolle der Ökotourismus-Industrie und den Interessen ihrer Protagonisten stellen.

In der Tat kommt eine vom Ammerlander Studienkreis für Tourismus und Entwicklung (www.studienkreis.org) herausgegebene Studie über den "Ökotourismus in der Praxis" zu dem Ergebnis, dass Ökotourismus am kommerziellen Missbrauch des Begriffs durch touristische Anbieter scheitern könnte. Allerdings könnten die naturschutzpolitischen Ziele des Ökotourismus in den Entwicklungsländern durchaus erfolgreich verwirklicht werden – falls ein kooperatives Management die Förderung lokaler Beteiligung ernst nehme und sich für die Schaffung von Einkommen für die einheimische Bevölkerung einsetze .

Eine Position übrigens, die in der Entwicklungszusammenarbeit seit längerem auch durch die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) vertreten wird (www.giz.de/Themen). Allein, die GTZ feierte ihren Auftritt auf dem "Reisepavillon" in Hannover als gemeinsames "Forum International" ausgerechnet mit der vielfach kritisierten WTO (s. folgenden Beitrag).

(6.780 Anschläge, 87 Zeilen, März 2002, Frankfurter Rundschau, 12.01.2002)