Blog

Versuchung und Entbehrung

Auszug aus dem Sympathie-Magazin "Kuba verstehen"


Schwungvoll säbelt Bauer Reynaldo García mit der Machete die Schale vom Zuckerrohr. Dann kommt der grüne, bambusähnliche Stängel in die gusseiserne Handpresse, und zu dritt quetschen die kräftigen Bauern aus Viñales gut einen halben Liter einer dunkelbraunen Flüssigkeit heraus. Das rührt Reynaldo mit frisch gepresstem Grapefruitsaft an. "Fertig ist der 'guarapeo'", sagt der 60-jährige Bauer zufrieden und hält seinen Besuchern den kubanischen "Energydrink" hin. "Genau das Richtige bei der Hitze", freut sich der belgische Arzt Jacques. Die improvisierte Bauernbar in der Holzhütte von Reynaldo ist für den Belgier ein Erlebnis – und für Reynaldo ein willkommenes Zubrot.

Dass die Bevölkerung direkt vom Tourismus profitiert, ist neu. Angefangen hat die Regierung in den 90er Jahren mit dem Massentourismus an den karibischen Stränden. Es war eine Notlösung mitten in der schweren Wirtschaftskrise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Kuba brauchte dringend Devisen, und der Tourismus war schon vor der Revolution ein wirtschaftliches Zugpferd. Fidel Castro hielt ihn zwar für potenziell subversiv und korrumpierend und hätte die Urlauber am liebsten in der Strandhochburg Varadero eingeschlossen. Nichtsdestotrotz nutzte er gern die Einnahmen, um sein Regime zu stärken.

Sein Bruder Raúl, der seit 2006 das Sagen hat, ist noch pragmatischer. Unter ihm und der Führung der Militärs, die fast alle staatlichen Tourismusunternehmen leiten, erschließt die Regierung immer neue Gebiete und Sparten – von Radtouren über Tanz- und Sprachkurse bis hin zu Gesundheitstourismus reicht die Palette. Derzeit baut die Regierung sogar eine Kette teurer Boutique-Hotels und Golfplätze, um eine betuchtere Klientel anzulocken. Die Nachfrage ist groß: 2012 besuchte die Rekordanzahl von 2,8 Millionen Touristen Kuba und ließ über zwei Milliarden US-Dollar im Land. Tourismus ist der zweitgrößte Devisenbringer nach dem Export von Dienstleistungen kubanischer Ärzte, Techniker und Sportler.

Doch mit dem Tourismus kam auch die Zweiklassengesellschaft zurück. Kellner, Zimmermädchen, Taxifahrer und Reiseleiter verdienen dank der Trinkgelder ein Vielfaches von Ärzten und Ingenieuren, die mit umgerechnet 15 Euro Monatsgehalt auskommen müssen. Wer irgend kann, verdient sich ein Zubrot im Tourismus: Das Phänomen der vielen Straßenverkäufer, die von Touren bis zu Zigarren alles feilbieten, haben die Kubaner "jineteros" bzw. "jinetera" getauft. Das sind Männer und Frauen, die mit Touristen ausgehen, um so ihren persönlichen Traum vom sozialen Aufstieg zu verwirklichen. Die Palette reicht von professionellen Prostituierten über junge Frauen, die einen Mann fürs Leben suchen, bis hin zu Mädchen, die mithilfe der Touristen an schicke Klamotten, Devisen und in die angesagten Clubs kommen. Der Regierung ist dies ein Dorn im Auge, sie verbietet, dass kubanische Urlaubsbekanntschaften in Hotels und Privatunterkünften mit aufs Zimmer genommen werden.

Noch kommen die meisten Urlauber wegen der Strände nach Kuba; vor allem die Kanadier, die das größte Kontingent stellen. Europäer hingegen sind neugieriger und unternehmungslustiger, wie Reiseleiter Lázaro festgestellt hat. "Die Deutschen und Holländer waren die Ersten, die sich Autos mieteten und einfach losfuhren. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass die Straßen besser wurden und auch im Landesinneren touristische Infrastruktur entstanden ist."

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem neuen Sympathie-Magazin "Kuba verstehen", herausgegeben 2013 vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung. Redaktion: Sandra Weiss. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

Weitere Informationen: www.sympathiemagazin.de

(3.389 Zeichen, Dezember 2013)