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Verheerende Fehlbeurteilung durch UN-Sonderberichterstatter

Rechte der Ureinwohner vom Tisch gefegt


Derzeit gilt bei den Vereinten Nationen die Definition "indigenes Volk" (Ureinwohner) für Nachfahren der jeweils ersten Siedler einer Region, die später von anderen Völkern unterworfen, kolonialisert, teilweise von ihren ursprünglichen Siedlungsräumen vertrieben und insgesamt an den Rand der Gesellschaft verdrängt wurden. Ihr Sozialgefüge, ihre Kultur und ihre traditionelle Wirtschaftsweise unterscheidet sich von der nationalen Gesellschaft. Wichtigstes Moment ist die Selbsteinschätzung bzw. die Selbstidentifaktion der Betroffenen.

Seit ihrer Gründung vor 17 Jahren ist die "United Nations Working Group on Indigenous Populations (UNWGIP)", die UN-Arbeitsgruppe "Indigene Völker", zu einem der wichtigsten Gremien der Rechte der Ureinwohner geworden. Eine ihrer wesentlichen Aufgaben besteht darin, internationale Standards zu entwickeln und bestehende zu verbessern. 1991 gab die Arbeitsgruppe bei UN-Sonderberichtserstatter Miguel Martinez eine Studie über "Verträge, Übereinkommen und andere konstruktive Abmachungen zwischen Staaten und indigenen Bevölkerungen" in Auftrag, die er bei der Jahreskonferenz 1999 in Genf vorlegte (E/CN.4/Sub.2/1999/20). Das Ergebnis der Studie droht den großen Erfolg der UNWGIP mit einem Federstrich zunichte zu machen.

Martinez überträgt seine - an sich hervorragenden - Analysen von Vertragswerken etwa in Nordamerika oder von Souveränitätsansprüchen der Maoris in Neuseeland oder Aborigines in Australien unmittelbar auf Asien und Afrika, ohne die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens anhand empirischer Daten zu überprüfen. Zudem führt er eine zuvor unübliche Trennung der Ureinwohner in "indigene Völker" (Amerika, Australien) und "Minderheiten" (Asien, Afrika) ein. Dies kommt jedoch einer Vernichtung jener "Minderheiten" auf schleichendem Wege gleich. Denn alle bislang geltenden Normen des internationalen Ureinwohnerrechts sind an den Begriff "indigen" gebunden. Die Ureinwohner Asiens und Afrikas könnten nicht länger an UN-Konferenzen zu den Rechten indigener Völker teilnehmen. Auch das bei den Vereinten Nationen derzeit diskutierte "Permanente Forum für indigene Völker" stünde ihnen nicht offen. Der Großteil der Ureinwohner, die heute noch zu den indigenen Völkern zählen, wäre von grundlegenden menschenrechtlichen Mindeststandards auf internationaler Ebene ausgeschlossen.

Für Martinez ist die "externe", von einer fremden Macht erfolgte Kolonisierung ein wesentliches Kriterium. Seiner Meinung nach kann das Konzept der Indigenität dort nicht angewandt werden, wo alle Menschen als Nachfahren der einst kolonisierten Gesellschaft gelten und dem heutigen politischen und rechtlichen System weitgehend folgen. Für die Staaten Asiens und Afrikas schlägt er daher vor, die Völker und Volksgruppen, die sich durch ihre Sprache, Kultur, Religion usw. von der nationalen Gesellschaft unterscheiden, mit dem Begriff "Minderheiten" zu belegen. Die San in Afrika, die Ainu in Japan oder die Adivasi in Indien würden dadurch ausgeklammert. Für mögliche Konsequenzen seiner Ausführungen sei er jedoch nicht verantwortlich.

Völlig außer Acht läßt Martinez das bei den Vereinten Nationen gültige Prinzip der Selbstidentifizierung einer Bevölkerungsgruppe. Interne Kolonisation scheint für ihn nicht zu existieren, obwohl zahlreiche Ureinwohner um den Zugang zu ihrem angestammten Land kämpfen. Er beschränkt ihren Anspruch auf den Bereich der Kultur.

In grotesker Umkehrung der realen Machtverhältnisse unterstellte Martinez während der Konferenz in Genf den indigenen Vertretern, durch ihre Behauptung der eigenen Identität die nationalstaatlichen Regierungen auszugrenzen.

Die Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), die Indian Confederation of Indigenous and Tribal Peoples (ICITP) und die Adivasi-Koordination Deutschland wiesen die Schlußfolgerungen von Martinez vor der UN-Menschenrechtskommission als ungenügend zurück. Gefordert wurde u.a., den Martinez-Bericht nicht als abschließend zu akzeptieren, sondern weitere Studien insbesondere zur Situation der indigenen Völker in Asien und Afrika durchzuführen und vor allem die in Genf vorgetragenen Argumente ihrer Vertreter zu berücksichtigen.

(3731 Zeichen / 56 Zeilen, März 2000)

Weitere Informationen: www.gfbv.de/uno/genf/unoinh.htm