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Überlebenskünstler der Kalahari-Wüste

Botswana vertreibt "Buschleute" aus Wildpark


Dass sie ausgerechnet im UNO-Jahrzehnt der indigenen Völker ihren Todesstoß erleiden, dürfte ihnen gleichgültig sein. Denn die "Buschleute" wissen nichts von vergeblichen UNO-Jahrzehnten, und sie kennen auch nicht den wahren Grund ihrer gewaltsamen Vertreibung aus dem "Zentralen Kalahari-Wildpark". Nur den vorgetäuschten Grund kennen sie: Man wolle sie entwickeln. "Der Buschmann ist das unglückseligste Kind des Augenblicks.: Dieser Ausspruch des Anthropologen Gustav Fritsch vor 130 Jahren hat seine Gültigkeit behalten.

Die kleinwüchsigen Jäger und Sammler vom Volk der San, wie sich die "Buschleute" selber nennen, bilden gemeinsam mit den viehzüchtenden Khoinkhoin, den "Hottentotten", die Urbevölkerung des südlichen Afrika.

Ihre Verfolgung hat eine lange, grausame Tradition. Einwandernde Bantuvölker, später holländische und deutsche Kolonialherren mordeten, versklavten, verdrängten die verhassten "Buschmannhorden" in Regionen, in denen niemand sonst zu überleben verstand - in die sengend heiße Kalahari-Wüste.

Die Mehrzahl der heute in Botswana, Namibia und Angola lebenden San - ihre Zahl könnte noch bei 60.000 Menschen liegen - hat ihr unabhängiges Dasein inzwischen eingebüßt, denn selbst die kargen Rückzugsgebiete boten keinen Schutz auf Dauer. Als billige Farmarbeiter, als Fährtenleser in Armeen oder auch als Touristenschauobjekte versuchen die einst wehrhaften Ureinwohner die Moderne zu ertragen - entwurzelt, entrechtet, entmündigt, auf staatliche Almosen angewiesen, verspottet und alkoholkrank. Globalisiertes Indigenenschicksal.

Anders jene wenige tausend San, denen es gelang, die ursprüngliche Lebensweise ihrer Vorfahren zu verteidigen. Wie sie, sammelten sie Pflanzenknollen in der Savanne, erbeuteten das Wild mit Fallen oder mit Pfeil und Bogen. Wie sie, errichteten sie einfache Kuppelhüttten aus Zweigen und Gras, lebten und überlebten in kleinen Gemeinschaften, die das Jagdwild der Kalahari schonten.

Lager des Todes

Auch, um den Fortbestand dieser ältesten Kulturform der Menschheit zu sichern, schuf Botswana 1961 eines der größten Schutzgebiete Afrikas, das "Zentrale Kalahari-Wildreservat". Auf dem 52.000 Quadratkilometer umfassenden Areal liegen die angestammten Jagd- und Sammelgebiete der Gana- und Gwi-"Buschleute". Brunnenbau und Elektrizität sollten sie zu einer halbsesshaften Lebensform bringen. Dafür hatte die Reservatsverwaltung handfeste Gründe, und die waren alles andere als rein humanitär.

Der zunehmende Luxusjagdtourismus - vor allem aus Nordamerika, England und Deutschland - und frei umherschweifende Bogenschützen im Lendenschurz oder in zerlumpten T-Shirts, die mit der Jagd ihre Familien zu ernähren suchten - wie sollte das zusammengehen?

So war das vor anderthalb Jahrzehnten einsetzende Störfeuer gegen die "Buschleute. im dollarträchtigen Wildreservat nur folgerichtig. Botswanas Präsident Festus Mogae fand das passende Rassistenwort: "primitive Steinzeitkreaturen". Und Botswanas Naturschutz- und Jagdbehörden fanden die passenden Methoden, um den Ethnozid an den letzten traditionell lebenden Ureinwohnern ihres Landes zu vollenden.

Seit 1997 berichtet die in London ansässige, weltweit für die Rechte indigener Völker kämpfende Organisation "Survival International" über zwangsweise (oder mit staatlichen Versprechen geköderte) Abtransporte von San-Familien.

Außerhalb des Kalahari-Wildparks entstanden für 2.500 "Buschleute. dreiundsechzig Umsiedlerdörfer, in denen heute die Langeweile um sich frisst, Armut, Alkoholismus, Krankheiten und Verzweiflung. Sie seien "Lager des Todes., klagte ein Insasse von New-Xade.

San, die zurückflohen oder ihre Heimat und die Gräber ihrer Vorfahren nicht verlassen wollten, begegneten der schlimmsten Staatswillkür. Bulldozer zermalmten ihre Reisighütten. Wildparkaufseher schlugen und folterten im August des Jahres 2000 zahlreiche "Buschleute. aus dem Dorf Molapo wegen "illegaler Jagd"; dreizehn San wurden im Februar 2002 gerichtlich angeklagt.

Dem Verdursten preisgegeben

Der Hintergrund: Die Wildparkverwaltung verlangt seit einigen Jahren auch von den San, Jagdlizenzen zu beantragen, als wären sie Touristen. Sie gibt jedem San-Jäger nur wenige Antilopen pro Jahr frei. Jagdlizenzen für eine 30.000jährige Jägerkultur, die nie den Wildbestand gefährdet hat!

Als neue Schikane verweigert die Behörde jegliche Genehmigung. Die im Reservat ausharrenden San - im Februar 2002 noch 450 Menschen - waren dem Verhungern preisgegeben. Und dem Verdursten, denn Behördenmitarbeiter demontierten im gleichen Monat die Wasserpumpe - offiziell aus "Kostengründen.. Welche Farce, denn die EU hatte großzügige Hilfe angeboten: 14 Millionen Euro für die San im Kalahari-Wildpark.

Das Elend der "Buschleute" - inzwischen hat es die letzten erfasst. Niemand vermochte es abzuwenden; nicht die weltweite Kampagne von Survival International, nicht die europaweiten Mahnwachen vor Botswanas Botschaften; nicht das Solidaritätskonzert in Paris, nicht der Appell der kanadischen Innuit an Botswanas Präsidenten.

Wären die San seltene Tiere, so behütete sie das Reservat. Seltene Menschen jedoch gehören "entwickelt..

"Wenn sie uns wirklich modernisieren wollen, weshalb bringen sie ihre Schulen nicht in unsere Dörfer? Warum vertreiben sie uns?" fragte ein San einen Reporter der BBC. Der internationale Radiosender hatte den wahren Grund der finalen "Buschmann"-Tragödie enthüllt. Es sind die Diamanten, die unter ihrem Land lagern. Die Tragödie der San: Sie wären nicht die ersten "Steinzeitkreaturen" unseres Globus, die im funkelnden Glanz der Edelsteine erlöschen würden.

Nachtrag

Survival International berichtete über Protestaktionen zugunsten der vertriebenen San, die große Beachtung in der Presse fanden. Die "Indigenous People Working Group. Belgiens verteilte in Brüssel Flugblätter gegen ein als privat deklariertes Treffen von Regierungsvertretern Botswanas, Namibias und Südafrikas mit Vertretern der EU und des Welt-Diamantenrates. Regelmäßige Aktionen für die San finden in Kanada, Frankreich, Spanien, Italien und England statt.

Kontakt im Internet:www.survival-international.org

Der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) fördert die Menschenrechts- und Kulturarbeit der San seit Jahren und stellte ihre Kunst bei internationalen Veranstaltungen vor. In Zusammenarbeit mit der TUI entstand ein wertvoller Bildband mit ihren farbenprächtigen Ölbildern und ihrer ungewöhnlichen Formensprache. Der EED unterstützt darüber hinaus die San beim Aufbau eigenverantwortlich geführter touristischer Projekte.

"Bushman Art - Zeitgenössische Kunst aus dem südlichen Afrika", Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2002, 152 S., ca. 170 Abb., Text in Deutsch und Englisch. ISBN 3-89790-176-5.

(6.654 Anschläge, 96 Zeilen, Dezember 2002)