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Tourismus zwischen Business und Begegnung

internationales Fachgespräch in Stuttgart


"Können sich Schweden wehren und die Mayas nicht?" Diese Frage und andere spannende Herausforderungen im "Tourismus zwischen Business und Begegnung" diskutierten Tourismusexpertinnen und -experten kürzlich in der Schwabenmetropole. Im Mittelpunkt stand das Reisen nach Lateinamerika, da die Veranstaltung Teil des Dialog- und Aktionsprogramms "TURISMOVISION" war.

Tourismus ist "people business", so die These von Heinz Fuchs, Leiter der EED-Arbeitsstelle TOURISM WATCH. Es gehe dabei stets um das "Planen und Handeln von und mit Menschen, darum, Menschen zu bewegen". Eine Besuchergruppe über sich ergehen zu lassen, sei eine Leistung, für die selten eine Gegenleistung erbracht werde. Was für die Schweden ebenso gilt wie für die Mayas. Oder nicht?

Rafael Mauri von der spanischen "Asociación para la Cooperación con el Sur" (ACSUD-Las Segovias) aus Valencia ergänzte die These von Fuchs: "Wenn es um indigene Bevölkerungsgruppen geht, braucht es einen besonderen Ansatz". Auch das "Forum Anders Reisen", ein Verband kleiner und mittelständischer Reiseveranstalter, macht einen deutlichen Unterschied. Der Verband, der sich der Umwelt- und Sozialverträglichkeit verschrieben hat, besteht seit sieben Jahren und hat inzwischen 90 Mitglieder. Im Juni sei bei allen Mitgliedern überprüft worden, ob sie die Verbandskriterien ausreichend erfüllen, berichtete Geschäftsführer Rolf Pfeifer. Das Kriterium, bei dem es um eine angemessene Bezahlung und geregelte Arbeitszeiten der im Tourismus Beschäftigten geht, sei allerdings bei einem Teil der Mitglieder "nicht relevant", und zwar bei denen nicht, deren Reisen nicht in Entwicklungsländer führten, sondern zum Beispiel nach Schweden.

Andreas Gross, Studienreiseleiter und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Lateinamerika, sprach sich dagegen für "selbstbewusste Begegnung" statt "kolonialem Mitleid" aus. Er warnte vor Idealisierung und Ideologisierung: "Indianer sind nicht gut per se, weil sie Opfer waren, sondern sie sind Menschen". Er forderte ein "gut formuliertes und bekennendes Handeln, das den Menschen zeigt, dass sie würdig sind". Dies gelte auch für die Bedürfnisse der "Bereisten" im Tourismus. Wer definiert diesen Bedarf? In Foren mit Indianern dürften diese zwar sagen, was sie wollen. Entschieden aber werde in den Reisekonzernen im Norden.

"Die Mitsprache der Gemeinden vor Ort ist eine Sache, wer die Entscheidungsmacht hat, eine ganz andere", betonte auch Rafael Mauri. Gianni Cappellotto von der italienischen "Laienbewegung Lateinamerika" ("Movimiento Laici America Latina" - MLAL) aus Verona machte deutlich, dass ähnliches auch für die Definitionsmacht der Tourismuskritiker gelte: "Wir denken oft darüber nach, was gerecht ist und was nicht, und dann gehen wir in den Süden und sagen, was gerecht ist. Wir müssen die Gemeinschaften im Süden von Anfang an in die Debatte einbeziehen."

Genau darum bemühe sich seit mehreren Jahren das Dialog- und Aktionsprogramm "TURISMOVISION", erläuterte Angela Giraldo von der Stuttgarter Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung (KATE). In diesem Programm setzen sich KATE und TOURISM WATCH zusammen mit Partnern in Spanien und Lateinamerika für einen nachhaltigen Tourismus und für "Begegnungen auf gleicher Augenhöhe" ein.

"Wenn wir uns im Tourismus engagieren, dann tun wir dies mit der Frage, wie er zum interkulturellen Dialog, zur Minimierung von Armut und zu sicheren, zukunftsfähigen Lebensverhältnissen beitragen kann", verdeutlichte Heinz Fuchs die Motivation der Organisatoren. Auch die Programm-Partner von ACSUD teilen diese Sichtweise. "Im Idealfall ist Tourismus ein Instrument für Entwicklung", meinte Rafael Mauri. "Doch Tourismus an sich ist nicht mit Entwicklung gleichzusetzen".

Wie viel Sozialverantwortung verträgt der Markt?

Ob Tourismus im Sinne einer breiten menschlichen Entwicklung wirksam werden kann, entscheiden letztlich auch die Reisenden, die durch ihre Nachfrage mitbestimmen, welche Angebote Erfolg hätten und welche nicht. Es gebe ein Nachfragesegment, daskeine"sozialkontaminierten" und "Billig-um-jeden-Preis-Angebote" will, so die Beobachtung von Fuchs. Die Mitglieder des "Forum Anders Reisen" hätten ebenfalls ein wachsendes Nachfragepotential für umwelt- und sozialverantwortliche Reiseangebote ausgemacht, bestätigte Pfeifer. Allerdings lasse sich Sozialverantwortlichkeit im Tourismus nur schwer vermarkten. "Das funktioniert nicht", so das Fazit aus der siebenjährigen Erfahrung des Verbands. Vielmehr bleibe es wichtig, weiterhin typische Reisemotive zu vermitteln. Dazu zählten vor allem Sicherheit, Sauberkeit, Abenteuer und Erholung. "Tourismus hat mit Freude, Neugier, Entspannung und Unterhaltung zu tun", ergänzte Gross.

Die immer wiederkehrende Frage nach dem Gütesiegel

Unter diesen Rahmenbedingungen müsse es darum gehen, Sozialverantwortlichkeit im Tourismus besser zu kommunizieren. Damit sie auch beim Buchen einer Reise für den Kunden zu einem Entscheidungskriterium wird, brauche es eine breite Kampagne, meinte Christine Plüss vom Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung in Basel. Immer wieder stehe dabei die Frage im Raum, ob sich sozialverantwortliche Reiseangebote, ähnlich wie Produkte aus dem "Fairen Handel", zertifizieren lassen. "Das Produkt Reisen ist zu komplex, um ein Label zu entwickeln", so die pessimistische Einschätzung von Pfeifer. Optimistischer zeigte sich Rafael Mauri: "Ich gehe davon aus, dass alles möglich ist. Die Frage ist, ob wir das wirklich wollen". In der Tat sei es ausgesprochen aufwendig, den Nachweis zu führen, "dass da, wo fair draufsteht, auch fair drin ist", gab Heinz Fuchs zu bedenken. Besser wäre es, einzelnen Initiativen zu vertrauen, wie beispielsweise bei Sozialstandards in Bezug auf Prostitution mit Kindern. Ansätze zur Zertifizierung touristischer Dienstleistungen in Südafrika (vgl. TourismWatch Nr. 30) zeigten, dass "Fairer Handel(n)" auch im Tourismus zum Prinzip werden könne. In Schweden sicher ebenso wie bei den Mayas.

(5.945 Anschläge, 72 Zeilen, September 2003)