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Tourismus und soziale Konflikte in Mittelamerika

Drei Fragen an Ernest Cañada, Alba Sud


In Mittelamerika hat sich der Tourismus rasch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt und trägt zu einem deutlichen Strukturwandel in der Region bei. Wir fragten Ernest Cañada nach den sozialen Konfliktfeldern, die sich aus diesen Veränderungen ergeben, sowie nach den Reaktionen aus der Zivilgesellschaft.

Die genannten und weitere Konflikte standen auf der Tagesordnung eines Seminars zu Tourismus und Entwicklung, das im Juli 2010 in der Dominikanischen Republik stattfand. Organisiert wurde die Konferenz von der katalanischen Organisation "Alba Sud - Investigation and Communication for Development" und der "Group to Research Sustainability and Territory (GIST)" an der Universität der Balearen. Ernest Cañada ist Koordinator von Alba Sud und Mitglied von GIST.

TW: Der Tourismus trägt zu tiefgreifenden Veränderungen in Mittelamerika bei. Wodurch charakterisieren sich die neuen sozialen und Umweltkonflikte in Mittelamerika?

Ernest Cañada: Die internationale Wirtschaftskrise hat den Prozess der wirtschaftlichen Akkumulation und des strukturellen Wandels gebremst, doch die grundlegenden Tendenzen bleiben bestehen. Die Küsten Mittelamerikas, insbesondere die Pazifikküsten in Costa Rica, Panama und zunehmend auch in Nicaragua, gelten als bevorzugte Ziele, die neben den reicheren Schichten aus den Ländern der Region auch Ruheständler aus den USA und Kanada anziehen. Dies führte dazu, dass neue Formen eines "Zweitwohnsitz"-Tourismus entstanden, die große internationale Hotelanlagen mit Ferienwohnsitzen, Yachthäfen, Einkaufszentren und anderen Dienstleistungsangeboten verbinden.

Die Konzentration von Tourismus und Ferienwohnsitzen in bestimmen Regionen hat gravierende Auswirkungen. Diese räumliche "Touristifizierung" geschah auf der Grundlage eines Prozesses der "Akkumulation durch Enteignung". Das bedeutete die Aneignung von Grund und Boden, der noch im Besitz von Kleinbauern und für die Gemeinschaft von Bedeutung war. Tourismus- und Ferienwohnanlagen mit ihrem intensiven Wasserverbrauch konkurrieren mit dem Wasserbedarf der Bevölkerung zur täglichen Nutzung. Wir beobachten auch einen beginnenden Prozess der "Elitisierung" von Grund und Boden. Die räumlichen Veränderungen folgen dem Interesse des Kapitals und bedienen die internationale Nachfrage der reicheren Gesellschafts-schichten. Sie basieren nicht auf den Bedürfnissen der einheimischen Bevölkerung. Nicht zuletzt wäre diese Transformation ohne die beeindruckende Mobilisierung von Arbeitskräften nicht möglich gewesen. Dass dabei auf Arbeitsmigranten zurückgegriffen wurde, bedeutete in der Regel prekäre Arbeitsbedingungen, soziale Ausgrenzung und schwache Schutzmechanismen.

TW: Welche sind für Sie die wesentlichen Konfliktfelder?

Ernest Cañada: Der Prozess der touristischen Erschließung und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen hat verschiedene Reaktionen und Konfliktformen hervorgebracht. Fünf wesentliche Konfliktbereiche lassen sich ausmachen.

Erstens leisten einige ländliche Gemeinschaften Widerstand gegen die Enteignung - insbesondere wenn es um Ressourcen wie Land und Wasser geht -, und gegen die Zerstörung ihrer Gebiete und deren neue touristische Funktionalitäten.

Ein weiterer Konflikt entsteht dann, wenn touristische Aktivitäten insbesondere auf die Umwelt deutliche zerstörerische Auswirkungen haben. Dies provoziert Reaktionen verschiedener Gruppen, wie zum Beispiel von Organisationen vor Ort, Umwelt-schützern und einigen kommunalen Behörden, die versuchen, dem Schaden durch die touristische Urbanisierung Einhalt zu gebieten.

Der Druck aus der Tourismuswirtschaft zur Lockerung gesetzlicher Bestimmungen und der nationalen Politik in Bezug auf Steuern und Abgaben, den Zugang zur Küste, etc. stellt ein drittes Konfliktszenario dar. 1996 unterzeichneten die Regierungen der Region die "Erklärung von Montelimar", in der der Tourismus als regionale Wirtschaftsstrategie identifiziert wurde. Seitdem wurden in allen Ländern Mittelamerikas Maßnahmen umgesetzt, die je nach Situation mehr oder weniger große Konflikte ausgelöst haben.

Der vierte Konfliktbereich hat mit der Mannigfaltigkeit des im Tourismus investierten Kapitals und den verschiedenen dahinter stehenden Interessen und internen Widersprüchen zu tun. Die Ausweitung der Aktivitäten im Immobiliensektor, die bei Tourismus- und Ferienanlagen durch regionales und internationales Großkapital gestützt wird, hat zur schrittweisen Verdrängung oder Unterordnung kleiner und mittelständischer Unternehmen geführt.

Schließlich haben die Reaktionen auf die zunehmend prekären Arbeitsbedingungen sowohl in der Baubranche als auch im Bereich der touristischen Dienstleistungen eine weitere Konfliktfront eröffnet.

TW: Wie reagiert die Zivilgesellschaft in Mittelamerika auf diese Heraus-forderungen?

Ernest Cañada: Insgesamt waren die tourismusbedingten Konflikte in Mittelamerika bislang lokal sehr begrenzt. Sie wurden von den Gruppen ausgetragen, die von den Auswirkungen der jeweiligen Situation direkt betroffen waren, oder sie waren reaktiv und in der globalen Dynamik gefangen. In einigen Regionen, wie zum Beispiel Guanacaste in Costa Rica, wo der Zweitwohnsitz-Tourismus bereits stark verbreitet ist, gab es Widerstand gegen bestimmte Projekte. Doch im Allgemeinen gibt es kein gemeinsames Verständnis bezüglich der Tragweite der Transformationen, die dieser Prozess der "Touristifizierung" mit sich bringt.

Die Bewegung für eine "andere Welt", die in anderen Bereichen, zum Beispiel in Bezug auf den Bergbau, so aktiv ist, hat den Tourismus bisher kaum als Bedrohung erkannt. Die Tourismuswirtschaft hat es bislang sowohl vor Ort als auch auf internationaler Ebene geschafft, ein positives Bild von sich zu zeichnen und zu kommunizieren, dass sie gesellschaftlichen Nutzen bringt. Strategien gesellschaftlicher Unternehmens-verantwortung (Corporate Social Responsibility - CSR) und die Vereinnahmung kommunaler Behörden und Experten, einheimischer Unternehmer, Genossenschaften, etc. haben dazu beigetragen, den Widerstand der einheimischen Bevölkerung zu schwächen. Es ist besorgniserregend, dass ein so fundamentaler Prozess gesell-schaftlichen Wandels, der die Interessen der Bevölkerungsmehrheit verletzt, so wenig Reaktionen und so wenig gesellschaftliche Konfrontationen hervorruft. Die Situation gerade in Bezug auf die Arbeitsbedingungen ist sehr ernst, und der Einfluss der Gewerkschaften sowohl in der Hotellerie als auch in anderen Dienstleistungsbereichen und im Bausektor schwach.

Weitere Informationen: www.albasud.org

"Tourism in Central America, social conflict in a new setting". By Ernest Cañada. Alba Sud, 2010. Download: www.albasud.org/publ/docs/32.en.pdf

"Turismo Placebo. Nueva colonización turística: del Mediterráneo a Mesoamérica y El Caribe. Lógicas espaciales del capital turístico". Von Macià Blàzquez und Ernest Cañada (Hg.), Alba Sud/GIST (erscheint demnächst).

(6.991 Anschläge, 97 Zeilen, Dezember 2010)