(27.01.2005) "Reisen Sie in die betroffenen Gebiete, damit helfen Sie den Menschen am meisten" - so klingt es allenthalben und die Urlaubsreise wird zum Instrument der Katastrophen- und Entwicklungshilfe. Doch ist die dahinter stehende These, Tourismus an sich schaffe Einkommensmöglichkeiten für viele und führe zur Verbesserung der Lebensbedingungen, fragwürdig und - von Ausnahmen abgesehen - unhaltbar.
Besonnen und professionell hat die Reisebranche auf die Flutwelle in Südostasien und im Indischen Ozean reagiert. Das weitreichende Engagement in der Katastrophen- und Nothilfe verdient Anerkennung. Mit dem Verein "DRV Hilfe ohne Grenzen e.V." unterhält der Deutsche Reisebüro und Reiseveranstalterverband, kurz DRV, eine eigene Hilfsorganisation. Nach Informationen des Verbandes sind alle großen Reiseveranstalter und Airlines Deutschlands wie LTU, Rewe Touristik, TUI, Thomas Cook, Airtours, FTI Touristik etc. angeschlossen. Einen eigenen Weg beschreitet die TUI, Europas größter Reisekonzern. "Ein nachhaltiges Hilfsprogramm für die Krisenregionen Südasiens wurde verabschiedet" und für den Wiederaufbau eines Dorfes im Süden Sri Lankas werden 1,25 Mio. Euro bereitgestellt. Das Projekt wird in Kooperation mit einer bekannten Hilfsorganisation realisiert. Dabei sollen viele der 18 Millionen TUI Gäste und der 65.000 Mitarbeiter das Projekt unterstützen. Das Unternehmen kündigt an, Mitarbeitern und Kunden über die Hilfsorganisation auch Patenschaften für Kinder in Sri Lanka vermitteln zu wollen. Auf einer entsprechend eingerichteten Internetseite sollen sich Paten und Förderer künftig regelmäßig über den Stand des Dorfprojektes informieren können. Mit tatkräftiger Hilfe der Branche, ihren Mitarbeitenden und der Reisenden wird umfassend versucht "sinnvolle und nachhaltige" Hilfe zu leisten. Dies ist die eine Seite, doch bleibt die Erfahrung der Katastrophe offensichtlich ohne weiteren Einfluss auf die zukünftige Gestaltung des touristischen Kerngeschäfts. Die Zielgebiete fordern, sie jetzt nicht als Urlaubsregion zu meiden und nach der Naturkatastrophe jetzt nicht eine wirtschaftliche folgen zu lassen. Mit Sonderpreisen und Schnäppchen will die Reisebranche verlorenes Terrain zurückgewinnen und Hotels und andere Dienstleister in den Zielgebieten werden ihre ohnehin knappen Margen mit spitzem Bleistift nachkalkulieren - so ihnen überhaupt eine Wahl bleibt.
"Reisen Sie in die betroffenen Gebiete, damit helfen Sie den Menschen am meisten" - so klingt es allenthalben. Doch ist die dahinter stehende These, Tourismus an sich schaffe Einkommensmöglichkeiten für viele und führe zur Verbesserung der Lebensbedingungen, fragwürdig und - von Ausnahmen abgesehen - unhaltbar. Lang ist die Liste der Beispiele, wo Tourismus auch zur Verarmung von Menschen und zu ihrer Marginalisierung geführt hat: Bauern haben ihr Land, Fischer den Zugang zum Strand verloren, Familien verarmten, weil ihre Einkommen mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten in Tourismusgebieten nicht Schritt halten konnten, Frauen und Kinder wurden in die Prostitution gedrängt. Neben einer gigantischen Shrimps-Industrie hat auch der Tourismus zur Vernachlässigung des Küstenschutzes, zur Zerstörung von Korallenriffen und Mangrovenwälder und damit möglicherweise zu den verheerenden Auswirkungen der Flutwelle beigetragen.
Schneller als angekündigt und erwartet kommt das Geschäft wieder in Gang. Ab Februar, wenn alle Reiseziele wieder angesteuert werden, scheint das Weitermachen wie bisher endgültig eingeleitet, zumal - wie sich nach Erdbeben und Terroranschlägen in der Vergangenheit schon zeigte, Reisende sehr schnell vergessen, besonders wenn das Thema aus den Schlagzeilen der Tagesaktualität verschwindet. Um so wichtiger sind jetzt die langfristigen Perspektiven einer touristischen Neuorientierung. Die Einbeziehung sozialer und ökologischer Prinzipen sind mehr denn je in der touristischen Entwicklung gefordert. Partner des EED, wie die Ecumenical Coalition on Tourism (ECOT), befürchten die unkontrollierte Erschließung neuer Tourismusressorts, speziell in Sri Lanka oder den Andamanen und Nicobaren. Andere warnen vor hektischem Aktivismus mit dem Ziel, schnelle Erfolge zu präsentieren und betonen die Wichtigkeit partizipativer Prozesse beim Wiederaufbau. Sie verweisen auf die erfolgreiche Praxis nach dem Hurrikan Mitch in Honduras, wo die Nothilfe mit einer klaren Entwicklungsperspektive erfolgte, Ausbildung und Arbeitsplätze geschaffen und langfristig soziale und ökologische Gefährdungspotenziale reduziert wurden. Besonders im Aufbau der Infrastruktur liegen viele Risiken für die Armen. Wem nützen Straßen und Versorgungssysteme und wie kommen Menschen aus dem informellen Sektor des Tourismus an wirksame Hilfe und Zukunftsperspektiven? Sorgfältige Planung und Transparenz sind gefordert, damit sich der Wiederaufbau nicht gegen die Interessen der Armen richtet und Bedingungen ihrer Benachteiligung zementiert werden. Besonders sie brauchen Schutz und Empowerment, damit sie beim touristischen Wiederaufbau nicht das Nachsehen haben. Die Menschen und nicht die ökonomischen Wachstumsdaten müssen Ausgangspunkt touristischer Entwicklungen sein. Sie sind es, die in den Zielgebieten hinter der touristischen Fassade stehen, Dienstleistungen erbringen, Gastgeber und Gastgeberinnen sind oder ihre Chancen im informellen Sektor suchen. Der EED und seine Partner warnen vor diesem Hintergrund vor einem überhasteten Wiederaufbau des Tourismus. Sie fordern die stärkere Beachtung sozialer und ökologischer Kriterien, die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an Planungsprozessen, Qualifizierungsangebote für Benachteiligte in den Zielgebieten und den Aufbau sozialer Sicherungssysteme im Tourismus. Diese Herausforderung für Tourismusmacher, Reiseunternehmen, Welttourismusorganisation, Tourismusverbände und Politik sollte als Chance genutzt und darf nicht durch ein vorschnelles Weitermachen wie bisher vertan werden.
Heinz Fuchs EED TOURISM WATCH - 27.01.2005