Blog

Tourismus als Armutsbekämpfung?

Bei den Tuareg am Niger


Ökotourismus, nachhaltige Entwicklung, Indigenen-Förderung... Solche Schlagworte bezaubern die Tourismusdiskussion bis in die Sahara, wo die Tuareg um die Krümel des internationalen Reisekuchens ringen.

Die teils noch nomadisierenden Sahara-Bewohner sind in Europa bekannt als die verschleierten "Wüstenritter", die mit ihren Kamelkarawanen durch diverse Abenteuerfilme und Kaffeewerbungen ziehen. Doch auch in der touristischen Realität werden die "Blauen Männer" vor allem als pittoreske Kulisse in der Dünenlandschaft wahrgenommen, wie eine Umfrage unter Touristen ergab. (Ihre Schleier sind häufig blau).

"Touristen sind wie trächtige Kamele, die man so oft wie möglich melken soll." Gemäß dieser jungen Tuareg-Weisheit rennen die Schmiede des Bergdorfes Timia im Norden der westafrikanischen Republik Niger beim ersten Laut eines Toyotas hinab zum Wasserfall, um ihr lokales Kunsthandwerk anzupreisen. Silberschmuck ist unter den "Kameramenschen" begehrt und bringt zudem bitter nötiges Geld ins Dorf. Denn ohne Kapital keine Kamele, und ohne Kamele keine Karawanen, keine Gartenarbeit, keine Hirse.

Wiederkehrende Dürreperioden bei wachsendem Bevölkerungsdruck zwang zur Suche nach neuen Einkommensmöglichkeiten. Bereits Anfang der 80er Jahre setzte der in Europa bekannte Tuareg Mano Dayak auf die touristische Vermarktung des Tuareg-Mythos und des "Dünenzaubers": Sahara-Tourismus als ökonomische und politische Emanzipation von Armut und politischer Abhängigkeit gegenüber der Zentralregierung. Das Konzept schien aufzugehen. Agadez mutierte jeden Winter zum Mekka der Wüstenpilger und Paris-Dakar-Rallye-Piloten.

Noch bevor sich besorgte Traditionalisten vor einer Zukunft der Tuareg als "kamelreitende Wüsten-Tiroler" fürchten konnten, versiegte der Strom der 3.000 Saisonbesucher im Winter 1991 schlagartig. Bewaffnete Rebellen hatten sich gegen die Zentralregierung in der Hauptstadt Niamey erhoben. Erst nach sechs Jahren Bürgerkrieg fanden sich die zerstrittenen Tuareg-Fronten mit einer instabilen demokratischen Regierung zu einem brüchigen Frieden zusammen, wodurch der Neubeginn des Tourismusexperiments möglich wurde - diesmal sogar mit Unterstützung der Regierung. Der Ex-Rebellenführer Rhissa Boula konnte sich als Tourismusminister etablieren und wirbt seither im Karawanier-Look auf den internationalen Tourismusmessen für das friedliche Wüsten-Image seines Landes. Gleichzeitig schossen in Agadez unzählige Agenturen wie Pilze aus dem Lehmboden. Wer ein Auto besaß, verstand sich bereits als professioneller Reiseunternehmer.

Die Landbevölkerung profitierte bislang kaum von dieser Entwicklung, denn die Agenturen hielten in Ansiedlungen wie im malerischen Bergdorf Timia gerade lang genug für ein paar Fotos am nahen Wasserfall. Der dort abgewickelte Schmuckhandel blieb damit die einzig wesentliche, touristische Profitquelle, was die Bevölkerung laut einer Umfrage auch einhellig kritisierte.

Weil ein Karawanier-Dorf typischerweise keinen Ort anbietet, der westlichen Besuchern ein "beschauliches Verweilen" ermöglichte, wurde im Februar 2000 das alte französische Fort hoch über dem Dorf mit lokalen Handwerksprodukten und Spezialitäten ausgestattet und in eine einfache Herberge umgestaltet. Noch in der auslaufenden Saison stieß diese neue Attraktion auf ein enormes Echo und findet sich mittlerweile sogar in den Katalogen mancher Reiseveranstalter. So unterstützt der österreichische Veranstalter "Kneissl Touristik" das Dorf gezielt durch längere Aufenthalte seiner fachlich betreuten Reisegruppen, jeweils in Abstimmung mit der Bevölkerung.

Mit dem - noch unbedeutenden - finanziellen Erfolg entstehen neue Probleme für diese noch unvollständig monetarisierte Gesellschaft. Erfahrungen mit unternehmerischem Denken fehlen gleichermaßen wie mit einer fairen Umverteilung der Gewinne aus dem "Dorfunternehmen". Zwar war das Experiment mit dem Wohlwollen der Dorfbevölkerung von einem kompetenten Mitbürger gestartet worden, doch blieben die Fragen einer sinnvollen Nutzung und Weiterentwicklung für ein Dorf, deren äußere Harmonie eine touristische Illusion ist, bislang offen. Anteil daran hat auch jener private französische Hilfsverein, der das Fort ursprünglich mit der vagen Idee renoviert hatte, dem Dorf "irgendwie zu helfen". Eine Verselbständigung dieser Hilfe war damit jedoch niemals beabsichtigt.

Damit behalten zwar Tourismuskritiker recht, wonach Community Tourism als ein Modernisierungsvehikel zu neuen Konflikten führe. Doch die Alternative zur Entstehung neuer Sorgen, komplexerer Beziehungen und damit zur Entwertung traditioneller Orientierungsmuster ist das Warten auf die nächste Dürre - oder eine neue Rebellion.

Harald A. Friedl dissertiert am Institut für Philosophie, Univ. Graz, über die "Nachhaltige Tourismusentwicklung als Mittel der Armutsbekämpfung bei den Tuareg in Agadez, Niger".

(4.738 Anschläge, 66 Zeilen, Oktober 2001)