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Südwestindien: Hausboot-Plage im Paradies

Wasserverschmutzung bedroht die berühmten Backwaters in Kerala


Für die Touristen gelten sie als Traumziel - die von Kokospalmen gesäumten Seen, Lagunen, Flüsse und Kanäle der "Backwaters" von Kerala. Rund 1,8 Millionen Menschen leben hier am Wasser, vom Wasser und auf dem Wasser. Die Backwater-Region ist berühmt für ihre Reisfelder, die bis zu 2,2 Meter unter dem Meeresspiegel liegen. Eingerahmt von Bergen und Meer erstreckt sich das "Venedig des Ostens" südlich von Kochi (ehemals Cochin) rund 100 Kilometer bis hinunter nach Kollam (Quilon).

Ein Wasserparadies? Weit gefehlt. An den Ufern baden zwar die Kinder, fangen die Männer Fische oder sammeln Muscheln, waschen die Frauen Wäsche und Kochgeschirr. Doch die Familien leiden unter Trinkwassermangel. "Auf der anderen Seite des Flusses gibt es seit kurzem eine Wasserleitung. Aber das Wasser kommt erst ab 17.00 Uhr, und morgens um 9.00 Uhr wird es wieder abgestellt", erzählt Krishnankutty, ein Einwohner aus Kainakary unweit von Alappuzha (Alleppey). "Früher war das Wasser im See so sauber, dass wir es als Trinkwasser verwenden konnten", sagt Lillykutty, eine Hausfrau aus der selben Gegend. Heute sei das nicht mehr möglich. Inzwischen müsse sie weite Wege mit dem Boot zurücklegen, um Trinkwasser zu beschaffen. Das kostet Geld, Zeit und bedeutet eine zusätzliche Arbeitsbelastung für Lillykutty und viele andere Frauen in Kuttanad, einer wichtigen Reisanbauregion zwischen Alappuzha und Kollam.

Die meisten Familien aber sind zum Kochen und Waschen weiter auf das Wasser aus dem See, Fluss oder Kanal angewiesen - Wasser, das mit Chemikalien, Pestiziden und Kunstdünger aus der Landwirtschaft sowie Krankheitserregern verseucht ist. Die Statistiken des Medizinischen Instituts in Alappuzha zeigen eine Zunahme von Krankheiten, die durch verseuchtes Wasser übertragen werden, darunter Typhus, Bilharziose und Gelbsucht.

Nach Schätzungen des "Centre for Water Resources Development and Management (CWRDM)" in Kozhikode (Calicut) decken über 80 Prozent der Bevölkerung von Kuttanad ihren täglichen Wasserbedarf aus den Backwaters. Sie gehören zu den "Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser", deren Anteil an der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2015 halbiert werden soll. Bislang deutet nichts darauf hin, dass dieses UN-Millenniumsziel zur Armutsbekämpfung in Kuttanad erreicht werden könnte. Der Tourismus trägt dazu nicht bei - obwohl die Welttourismusorganisation (WTO) in ihre Definition eines nachhaltigen Tourismus die Minderung der Armut durch die Reiseindustrie aufgenommen hat. Was die Wasserprobleme in Kuttanad angeht, bewirkt Tourismus derzeit genau das Gegenteil und ist damit alles andere als nachhaltig.

Für in- und ausländische Reisende im südindischen Bundesstaat Kerala sind die Backwaters ein "Muss". Ein Aufenthalt auf einem der Hausboote zählt zu den Hauptattraktionen. Sie sorgen dafür, dass inzwischen zehn Prozent aller ausländischen Indien-Besucher auch oder gerade deshalb nach Kerala kommen. 24 Prozent (2003-2004) mehr internationale Touristen sprechen eine deutliche Sprache. Die wachsende indische Mittel- und Oberschicht hat Kerala ebenfalls als beliebtes Erholungsziel entdeckt. So wundert es nicht, dass die Tourismus-Anbieter vor Ort versuchen, mit der steigenden Nachfrage Schritt zu halten - oder ihr zuvor zu kommen.

Mit zunehmenden Hausbooten steigt aber auch die Verschmutzung der Backwaters. Momentan wird die Zahl der Hausboote allein in und um Alappuzha auf rund 400 geschätzt. Öl- und Kerosinreste, Abwässer und Küchenabfälle der Boote gelangen auf direktem Wege ins Wasser. "Die Hausboote sind zu einer großen Plage geworden", sagt R. Visakhan, Vorsitzender der Lokalverwaltung von Kainakary. "Sie leiten Fäkalien in den See, und der Grund des Sees ist voll mit Plastiktüten und Flaschen."

"Es sind die Außenbordmotore der Boote, die die größte Verschmutzung verursachen", meint Pavithran, ein alter Fährmann, der mit einem kleinen Ruderboot Leute über den Fluss setzt - häufig behindert von Haus- und Touristenbooten. An den Stellen, an denen die meisten Hausboote ankern, überzieht ein dicker Film von Petrochemikalien die Wasseroberfläche und gefährdet das Ökosystem. Vor allem Lebewesen am Anfang der Nahrungskette und Jungtiere seien betroffen, beschreibt Russell Long vom US-amerikanischen "Bluewater Network" die Auswirkungen. Die Gifte reichern sich in der Natur an. Eine besondere Gefahr stelle das Kerosin dar. Forschungsergebnisse zeigen, dass bereits eine geringe Kohlenwasserstoff-Belastung zu Genschäden, Wachstumsstörungen und Fischsterben führt. Der Ölfilm verstopft die Kiemen der Fische. In Kuttanad konzentrieren sich Fischschwärme bereits in den Bereichen des Vembanad-Sees, in denen der Chemikalien-Film noch am dünnsten ist. Wenn nicht bald Maßnahmen gegen die Wasserverschmutzung ergriffen werden, wird die biologische Vielfalt weiter dramatisch abnehmen. Die in der Region vorkommenden Vogelarten sind bereits von einst 189 auf 66 (2003) zurückgegangen.

Zusammen mit der Tierwelt leidet auch die Bevölkerung. "Die Lebensgrundlagen der Menschen, vor allem Landwirtschaft und Fischerei, hängen von der Qualität des Wassers ab", sagt Visakhan. Der Fischfang ist eine der Haupteinkommensquellen. Über 10.000 Menschen in der Region leben davon. Doch damit könnte es schon bald vorbei sein. "Fische und Muscheln sind inzwischen nicht mehr genießbar. Sie enthalten zu viel Kerosin", klagt Pavithran, und damit steht er nicht allein.

"Vor kurzem noch gab es deswegen nicht selten Ehestreitigkeiten", berichtet der Fischer K. Raju. "Die Männer machten ihre Frauen für den Kerosingeschmack im Essen verantwortlich. Die Frauen könnten ja beim Kochen unachtsam gewesen sein. Aber jetzt wissen wir, dass es der Fisch selbst ist, der nach Kerosin schmeckt." Entsprechend weniger lässt sich davon verkaufen, so Rajus schmerzliche Erfahrung. Zudem habe der Fischbestand abgenommen. Einen Bankkredit, den er aufnahm, um ein kleines Fischerboot und ein Netz zu kaufen, kann er nun nicht zurückzuzahlen, weil er nur wenig fangen und davon kaum noch etwas verkaufen kann. Mit den Hausbootbetreibern komme es immer wieder zu Konflikten, ergänzt sein Fischer-Kollege Sibichan. "Die Hausboote ankern nachts auf dem See. Sie zerstören unsere Netze. Die Hausboote bedrohen unsere Lebensgrundlage".

Madusoodanan, Vorsitzender einer Produktionsgemeinschaft von Reisbauern in Valiyakary, zwei Kilometer von Alappuzha, beklagt, dass die Petrochemikalien über die Bewässerungssysteme sogar auf die Reisfelder gelangen und den Reisanbau beeinträchtigen. Die Bitten der Reisbauern, etwas gegen die Wasserverschmutzung zu unternehmen und Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, seien von den Behörden bislang ignoriert worden.

Der Lokalpolitiker Visakhan hofft, dass die Regierung künftig die Tragfähigkeit der heftig beworbenen Region berücksichtigt, die Grenzen der Belastung erkennt und Vorschriften erlässt, um die Anzahl der Hausboote zu limitieren. Nach seiner Bilanz sieht es für den Tourismus nicht gut aus: "Wir brauchen uns nur die Statistiken genau zu betrachten - die Deviseneinnahmen, die Zahl der Menschen hier, die im Tourismus arbeiten, und die Subventionen der Regierung. Dann sehen wir, dass dieser Tourismus nicht profitabel ist und er den Menschen langfristig nicht hilft."

(7.226 Anschläge, 87 Zeilen, Juli 2005)

 

"Mathma arbeitet als Reisbauer nordöstlich von Kuttanad. Ihm ist von Coca-Cola buchstäblich das Wasser abgegraben worden. 60 Brunnen wurden auf dem Gelände einer 1999 errichteten Getränkefabrik gebohrt. Seitdem sind die Grundwasserspiegel in einem Umkreis von fünf Kilometern drastisch gesunken, die Reispflanzen vertrocknet, berichtete Mathma. Zudem sei das Wasser durch andere Firmen stark mit Cadmium und Blei belastet. Seit April 2002 wehren sich die Bewohner des Dorfes Plachimada gegen die "Hindustan Coca Cola Beverages". Ziel sei die Schließung der Fabrik, ein Strafverfahren gegen das Unternehmen sowie eine Wiedergutmachung für die Geschädigten. Trotz der Unterstützung von Seiten der Lokalverwaltung ist dies bislang allerdings erfolglos".

Aus SympathieMagazin "Globalisierung verstehen" (2004)

P.S. Kürzlich gab ein Gericht den Abfüllern des Zuckerwassers Recht.

-tü-