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Südindien: Zugebaut und vollgemüllt

Das Strandparadies Kovalam sucht Wege aus der Krise


Abgeschrieben, so kann man Kovalam heute nennen, und so nennen es viele, die den Rückgang der Touristenzahlen über die letzten Jahre beobachtet haben. Neben Goa einst einer der beliebtesten Strände in Südindien, steht Kovalam heute auf der schwarzen Liste einschlägiger Indien-Reiseführer - und damit auch vieler Touristen. Nachdem das einstige Hippie-Paradies im Bundesstaat Kerala Mitte der 1990er Jahre die ersten Charter-Touristen empfing, hat sich der Charakter des Ortes stark gewandelt.

Zugebaut und vollgemüllt - das ist Kovalam heute, und hat doch für Besucher, die spanische Verhältnisse gewöhnt sein mögen, immer noch einen natürlichen Charme. Zu einem der größten Fallstricke für den Tourismus in Kovalam ist die ungelöste Abfallproblematik geworden. Auf rund drei Quadratkilometern entlang der touristisch genutzten Strände verschandeln fast 150 "Müllkippen" die Landschaft - Müllhaufen aus Plastikflaschen, Plastiktüten, Verpackungsmaterial, Glas, Papier, Batterien und Küchenabfällen.

Daß dieser Abfall in Zukunft nicht bis zum Himmel stinkt, dafür sorgten 1999 Thanal (Conservation Action & Information Network, Thiruvananthapuram), Equations (Bangalore) und Greenpeace India. Mit nur einer einzigen Pressemitteilung gelang es ihnen, die Bevölkerung über die Risiken einer geplanten Müllverbrennungsanlage in der Nähe von Kovalam zu informieren und gegen das Vorhaben aufzubringen. Mit Erfolg - die Anlage wird nicht gebaut. Und das, obwohl Grundstück und Geld für den Bau schon bereitstanden. "Doch nun sind wir in der Pflicht", erklärten die Aktivisten von Thanal. "Wir können die Menschen in Kovalam mit dem Müllproblem nicht allein lassen".

Um erst einmal das Ausmaß des Problems abzuschätzen, beobachteten und kartierten die Umweltschützer über Monate den Müll in und um Kovalam, woher er kommt und wohin er geht bzw. zu oft nachtschlafender Zeit gebracht wird. Die Müllforscher befragten und erfaßten über 30 Prozent aller Hotels und Restaurants, mit ziemlich ähnlichen Ergebnissen. "In meinem Restaurant fallen täglich 10 bis 20 kg Küchenabfälle an", sagte Ambi, Manager des Coral Reef Cafés. "Abends, wenn ich nach Hause fahre, nehme ich den Müll mit und werfe ihn irgendwo weg." Irgendwo, das heißt meist nicht in Kovalam selbst, sondern in einer der benachbarten Gemeinden, am Straßenrand. So ist es gängige Praxis in Kovalam, wodurch das Problem quasi "exportiert" wird, wenn auch nur ein paar Dörfer weiter - wo es alles andere als willkommen ist.

Doch auch positive Beispiele gibt es. So hat Sudheesh Kumar, Manager des Sea Face Hotel, eine Biogasanlage installiert. "Damit verwerte ich nicht nur den organischen Abfall, sondern beliefere auch die Gaskocher in meiner Hotelküche. Jeden Tag spare ich damit 120 Rupien (ca. 6 DM). In etwa vier Jahren hat sich die Anlage bezahlt gemacht."

Damit diesem Beispiel bald weitere folgen, organisierten Thanal und Greenpeace zusammen mit der Regierung des Bundesstaates Kerala und der Kerala Hotel and Restaurant Association von 19. bis 20. November 2001 einen internationalen Erfahrungsaustausch. Daß das Müllproblem nur gelöst werden kann, wenn alle mitmachen, haben die Organisatoren schon früh erkannt. Deshalb sind an der Lösungsfindung nicht nur Hoteliers und Restaurantbesitzer beteiligt, sondern auch die lokale Verwaltung, die Touristeninformation, Frauengruppen aus Kovalam und Experten zum Thema Müll aus Indien und aus dem Ausland. Wichtigster Gast des Treffens war der New Yorker Chemiker Paul Connett, der die Probleme der Müllverbrennung aufzeigte sowie Wege zu einer "Zero Waste"-Situation ("Null-Müll") durch "Reduce - Reuse - Recycle" (Müllvermeidung, Wiederverwendung, Wertstoffrecycling).

Daß Recycling aber immer nur die schlechteste Alternative ist, machte Bharati Chaturvedi von Chintan (Environmental Research and Action Group) aus New Delhi deutlich. Denn jedes Recyling sei immer ein "Downcycling", bei dem das Material an Qualität verliere. Einheimische Künstler zeigten, daß aus natürlichen "strategischen" Materialen wie Kokosschalen und Bambus Gebrauchsgegenstände hergestellt werden können, die die Umwelt nur wenig belasten und zudem noch künstlerischen Wert haben. Eine Straßenkindergruppe aus New Delhi produzierte die ersten "Zero Waste Kovalam"-Jutetaschen, die symbolträchtig einmal die Plastiktüten ersetzen könnten.

Nicht so einfach wird es mit den Plastikflaschen. Bis zu drei Flaschen Wasser - Mineralwasser oder behandeltes Trinkwasser - konsumiert ein Tourist am Tag, ermittelten die Müllforscher von Thanal und Greenpeace. In Kovalam werden in der Hauptsaison täglich rund 4.340 Plastikflaschen Wasser verkauft. Viele weitere werden von außerhalb mitgebracht, so daß das Abfallaufkommen bei über 6.000 Flaschen pro Tag liegt. Die Nachfrage der Touristen nach sicherem Trinkwasser anderweitig zu decken - und das angesichts ohnehin schon gravierender Wasserprobleme in Kovalam - wird die größte Herausforderung auf dem Weg zu einer "Null-Müll-Situation" sein.

(5.074 Anschläge, 66 Zeilen, Dezember 2001)