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Südindien: Rajan, der Rikshaw-Fahrer


Es kann so manchen Grund geben, warum eine Auto-Rikshaw in Indien auch mal nicht fährt. Einer der drei Reifen ist platt, zum Beispiel. Oder sie hat die nächste Tankstelle nicht erreicht, weil das Benzin ausging. Oder der Fahrer will nach langem Arbeitstag nach Hause und wartet auf einen Fahrgast, der den gleichen Weg hat. Manchmal heißt es auch einfach nur "Streik!” - was im kommunistisch geprägten Kerala mit starken Gewerkschaften und einer ausgeprägten Streikkultur nichts besonderes ist.

Heute hat der "Streik” der Rikshaw-Fahrer an der Bootsanlegestelle von Kollam einen anderen Grund. Zwei Rikshaw-Fahrer sind in der vergangenen Nacht bei einem Unfall ums Leben gekommen. Bis zum Nachmittag stehen deshalb alle Rikshaws still. Dann geht das Leben weiter.

Einen Monat später. Wieder bewegt sich an der Bootsanlegestelle von Kollam rikshaw-mäßig nur wenig. Doch diesmal hat es damit eine positive Bewandtnis. In der Hauptstadt Thiruvananthapuram sollen an diesem Abend die "Kerala State Tourism Awards" verliehen werden – Auszeichnungen für besonders positive Beispiele im Tourismus, vom besten 5-Sterne-Hotel über den Reiseveranstalter, der die meisten Devisen ins Land bringt, bis hin zum "Amusement Park", dessen Müllverbrennungsanlage als besonders "eco-friendly" angesehen wird. Im Rahmen einer Kampagne für mehr Tourismus-Bewußtsein in Kerala gab es in diesem Jahr erstmals auch einen Preis für Keralas touristenfreundlichsten Rikshaw-Fahrer - verliehen von Chief Minister A.K. Antony persönlich.

Dass es diesen Preis überhaupt gibt, wussten vorher nicht viele rund um die Bootsanlegestelle von Kollam. Dass er erfunden werden müsste, um Sudheeran (hier bekannt unter seinem Spitznamen Rajan) damit auszuzeichnen, darüber kann kein Zweifel bestehen. Und so kommt es, dass an diesem Abend zehn Rikshaws stillstehen, weil ihre Fahrer mit einem Kleinbus zum prominenten Anlass in die Hauptstadt fuhren. Sie sind nicht die einzigen, die bei der hochoffiziellen Preisverleihung im Kanakakunnu Palace dazu beitragen, dass Rajan genauso viel, wenn nicht mehr Applaus bekommt als das Ayurveda-Hotel "Somatheeram", das einige seiner Gäste zum Klatschen mitgebracht hat.

Ein Hotel mag einem anderen in nur wenig nachstehen. Nach Rajan aber kommt lange, lange niemand, wenn es darum geht, Touristen nicht nur von "A" nach "B" zu kutschieren, sondern dies noch mit Tipps zu allen Tempelfesten der Umgebung ("99 elephants there!") zu verbinden. Inbegriffen sind auch touristische und weniger touristische Informationen über Kollam, das sicher kein Tourismus-Ort ist. Wenn es mal einer werden sollte, hätte Rajan wahrscheinlich mehr Anteil daran als der "Tourism Promotion Council". Und sein Preis für eine Rikshaw-Rundfahrt zum Hafen, durch die Fischersiedlung ("many problems here") und entlang der schicken Häuser früherer Angestellter der britischen Kolonialverwaltung ist nicht einmal überzogen – was wohl das ungewöhnlichste für einen indischen Riksha-Fahrer ist, besonders, wenn er mit Touristen zu tun hat.

Von "a nice gentleman" bis "a nice and funny guy" reichen die Kommentare der Touristen aus aller Welt, die in sein Notizbuch geschrieben haben, und die sich in englisch, französisch, deutsch, spanisch, japanisch oder koreanisch für einen "elephantösen" Ausflug oder für eine Fahrt durch die "pittoresken Dörfer" der Backwaters von Kollam bedanken. "Mehr Touristenführer als Rikshaw-Fahrer" beschrieb ihn eine Touristin, und da es von ersteren nur wenige, von letzteren in Kollam aber über 1.400 geben soll, ist ihm die Kundschaft sicher. Doch reich wurde er damit dennoch nicht. Nicht ohne Grund hat sein Haus bis heute keinen Stromanschluss, während die Nachbarn ringsherum abends nicht im Dunkeln sitzen müssen. So wird auch sein Traum von einer eigenen Rikshaw noch eine Weile ein Traum bleiben. Doch das Baby-Poster an der Rückwand seines gemieteten "Autos" zeigt seine sichtbar eigene Philosophie: "A smile increases your face value!"

(3.951 Anschläge, 51 Zeilen, Dezember 2003)