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Streitgespräch: All-inclusive als Armutsbekämpfung?


All-inclusive ist nicht nur eine bequeme Art, Urlaub zu machen, oft ist es auch eine günstige Variante. Ein Individualtrip mit vergleichbarem Angebot käme teurer. Der All-inclusive-Urlaub ist die industrielle Ferienvariante, serienmäßig hergestellt, genormt und absehbar. All-inclusive liegt bei Jugendlichen und Familien genauso im Trend wie bei Paaren mit großem Freizeitkonsum. All-inclusive bedeutet Vollpension und landestypische Getränke, Sportarten wie Volleyball, Tischtennis und Surfen, Animation, Abendshows und Kinderbetreuung.

Eine neue Studie, die sieben All-inclusive-Anlagen in Nicaragua, auf Jamaika und der Dominikanischen Republik untersuchte, wurde neulich von Klaus Lengefeld und Susy Karammel aus dem Hause der GTZ vorgelegt. Die bundeseigene "Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit" führt im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) weltweit Entwicklungsprojekte durch.

Die Untersuchung bescheinigt dem allumfassenden All-inclusive-Angebot "Nachhaltigkeit" und somit entwicklungspolitische Substanz. Das Tourismus-Fachblatt "Travel One" plazierte ein Interview mit den Autoren sogleich unter die Rubrik "Produkt Entwicklungshilfe" (Ausgabe vom 9.3.2005, www.travel-one.net).

Obwohl bislang nur in Ansätzen bekannt, ist das Ergebnis der Studie sowohl innerhalb der GTZ als auch unter NGOs und Tourismusexperten umstritten. Zum Zeitpunkt des folgenden Streitgesprächs lag die Analyse noch nicht vor und war daher nicht überprüfbar. Sie soll aber in Kürze ins Netz gestellt werden: www.gtz.de/tourismus.

Die Diskutanten, beide Pädagogen, sind Heinz Fuchs, Leiter der Fachstelle TOURISM WATCH des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), und Klaus Lengefeld, ein ehemaliger Entwicklungshelfer, der heute für die GTZ in Zentralamerika und der Karibik tätig ist. "Nachhaltiger Tourismus ist mehr als die Schaffung von Arbeitsplätzen", sagt Heinz Fuchs. "Wenn Geld im Land bleibt, ist ein Kriterium von Nachhaltigkeit erfüllt", meint Klaus Lengefeld.

Interview: Edith Kresta und Günter Ermlich

All-inclusive-Anlagen haben keinen besonders guten Ruf. Warum? 
Klaus Lengefeld: Weil man vom ersten Eindruck her nicht im Land ist, sondern in einer geschlossenen Einheit und vom Land nichts sieht, außer den Angestellten. Und weil es in Richtung Verschwendung, Überfluss, Luxus geht. Es ist nicht offensichtlich, ob und wie All-inclusive dem Land nutzt.
Heinz Fuchs: All-inclusive ist der Versuch von touristischen Betreibern, sich die touristische Dienstleistungskette weitreichend einzugliedern. All-inclusive-Anlagen schließen die Reisenden ab. Sie sind für einen Tourismus, der auch Kenntnisse über das Land vermittelt, ungeeignet.

Herr Lengefeld, Sie sind verantwortlich für eine auch in der GTZ umstrittene Studie. Was sind deren Ergebnisse?
Lengefeld: Wir haben sieben All-inclusive-Anlagen mit 2.550 Zimmern in drei Ländern untersucht: in Nicaragua, in der Dominikanischen Republik und auf Jamaika. Wir haben Mitarbeiter, das Management und die Umgebung befragt. Unsere Frage: Nutzt All-inclusive der Armutsbekämpfung, dient es als Jobmotor? Wir haben gefragt, wo der schlechte Ruf von All-inclusive-Anlagen herkommt, und mussten feststellen, dass es keine Studie gibt, die die All-inclusive-Kritik belegt. Unsere Untersuchungen haben Argumente wie "Da wird nichts verdient, da bleibt nichts im Land" entkräftet. Wo sind die Studien der NGOs?
Fuchs: Also ich bin skeptisch bei Studien, bei denen der Auftraggeber, der Finanzier und der Durchführende identisch sind. Ich halte es für problematisch, dass die GTZ-Studie nur häppchenweise präsentiert wird, weil sie sich damit der Kritik entzieht. Für eine Entwicklungsorganisation ist eine solche Studie sehr bedenklich. Es gibt Gegenwind im Hause der GTZ, wo eine gewisse Fragwürdigkeit bei der Vorgehensweise unterstellt wird. Und gerade die GTZ kommt ja in anderen Untersuchungen zu anderen Ergebnissen, etwa bei den Öko-Lodges in Südafrika.

Die GTZ hat sich die Förderung eines nachhaltigen Tourismus auf die Fahnen geschrieben. Was ist am All-inclusive-Konzept nachhaltig?
Lengefeld: Unser Ansatz ist, die Tourismuswirtschaft nicht mit Maximalforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu konfrontieren, sondern dort abzuholen, wo sie steht. All-inclusive zählt zu den weniger nachhaltigen Tourismusformen. Aber wenn wir es schaffen, dass durch diese Art von Tourismus mehr Geld im Land bleibt und davon viele arme Familien profitieren, dann ist ein wichtiges Kriterium von Nachhaltigkeit erfüllt.
Fuchs: Tourismus unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist mehr als Produktentwicklung und Schaffung von Arbeitsplätzen. Vielmehr geht es darum, den Tourismus als Teil einer angepassten regionalen, ökonomischen und sozialen Infrastruktur zu nutzen, ihn so als Jobmotor einzusetzen. Wenn es nicht nur um die Technisierung und ökonomische Optimierung eines touristischen Produkts geht, sondern wenn Tourismus im Sinne von regionaler Entwicklung und Partizipation aufgebaut werden soll, dann sind All-inclusive-Reisen ein unangemessenes Instrument, um es überhaupt in die Nachhaltigkeitsdebatte einzuführen. Es ist fremdbestimmt, und es fehlt ihm in der Regel jedwede partizipatorische Entwicklungskultur. All-inclusive als Jobmotor allein ist nicht nachhaltig.

Ist Ihr Entwicklungsansatz nicht eine ökonomistische Reduktion des Begriffs Nachhaltigkeit, Herr Lengefeld?
Lengefeld: Entwicklungsländer haben einen Bedarf an Deviseneinnahmen, sie haben einen Bedarf, Geld im Land an Arme zu verteilen, und einen Bedarf an Arbeitsplätzen. Was haben sie für Möglichkeiten, um diese Ziele zu erreichen? Da muss man den Tourismus vergleichen mit dem Kaffeeanbau, dem Bergbau oder der Holzwirtschaft. Man muss vergleichen, wie stark der Eingriff in die Kultur und Natur durch diese Formen der Wirtschaftsentwicklung ist und was damit gewonnen wird. Was die Flächenproduktivität von All-inclusive-Anlagen anbetrifft: Wir haben 500.000 Dollar Lohnsumme pro Hektar beispielsweise bei den "Sandels Resorts" in Jamaika. Keine andere Branche kann auf einer so kleinen Fläche so viel benefit generieren. Die Frage ist doch, welches Produkt kann die Dritte Welt verkaufen, um bei möglichst kontrollierbaren ökonomischen Wirkungen einen möglichst hohen ökonomischen Beitrag zur Entwicklung zu leisten. Da ist der All-inclusive-Tourismus eine interessante Option.
Fuchs: Also ich habe gar keine Einwände, dass All-inclusive-Anlagen existieren. Aber bei Armutsbekämpfung geht es um mehr als nur darum, Arbeitsplätze zu schaffen und die monetären Einnahmemöglichkeiten zu erhöhen. Von daher halte ich die Ergebnisse der Studie, abgesehen davon, dass sie mir immer noch nicht vorliegt, für fragwürdig, da bestimmte Aspekte der Armutsbekämpfung nicht berücksichtigt wurden. Das ist eine sehr technische Herangehensweise und entwicklungspolitisch fragwürdig. Armut ist doch nicht nur Geldarmut. Armut heißt auch, keinen Zugang zur Bildung zu haben und an gesellschaftlichen Fortgangsprozessen nicht beteiligt zu sein. Der entscheidende Punkt für Entwicklung ist, eine partizipatorische Struktur aufzubauen, die die Regionalentwicklung im Blick hat.

Tourismus als Industriezweig, der Arbeitsplätze bringt: Ist das nicht ein zu bescheidener Ansatz für eine entwicklungspolitische Organisation wie die GTZ?
Lengefeld: Natürlich geht es um wesentlich mehr als um Arbeitsplätze. Es geht um die Chancen der lokalen Bevölkerung, vom großen Tourismus zu profitieren. Wo Heinz Fuchs völlig Recht hat, und da sind wir jetzt dabei, ist, dass die Frage von Nachhaltigkeit sich viel früher stellt, nämlich in der Planung und der Mitwirkung der Bevölkerung. Deshalb haben wir den Firmen, mit denen wir bei unserer Studie zusammenarbeiten, den Vorschlag eines sustainable investments gemacht: Wie kann man Ansprüche und Bedürfnisse der Gemeinden von Anfang an einbeziehen.

Aber die Industrie macht doch keine interessenfreie Entwicklungspolitik.
Fuchs: Teilweise enthält die Studie Binsenwahrheiten. Dass in der Großindustrie bessere Arbeitsbedingungen bestehen als im Handwerksbetrieb, ist doch bekannt, und dass man in der Industrie mehr verdient als im privaten Familienbetrieb, ist weder neu noch spektakulär. Trotzdem gilt es, über die rein monetäre Situation hinaus die Frage zu beantworten, was es für die politische und gesellschaftliche Beteiligung bedeutet, wenn für sehr viele Menschen in einer Region keinerlei Entscheidungsstrukturen im ökonomischen und politischen Bereich vorhanden sind. Ich halte das Leben in einer Gesellschaft, die auch so etwas wie Unabhängigkeit und ownership fördert, für einen entscheidenden Punkt. Und das fehlt natürlich bei All-inclusive-Anlagen. Die Dynamik, die ein regionales Unternehmertum für die Entwicklung einer Region hat, beispielsweise Förderprogramme für Frauen, halte ich unter Entwicklungsgesichtspunkten für viel effektiver als den Bau einer Großanlage mit zentraler Leitung und optimalen Managementstrukturen.

In Gambia beispielsweise protestierten lokale Kleinunternehmer gegen die Umwandlung von Hotels in All-inclusive-Anlagen.
Lengefeld: Es ist falsch anzunehmen, das eine Großanlage keine wirtschaftlichen Kleinstrukturen ermöglicht. Sandals Resorts auf Jamaika fördert die einheimische Möbelindustrie und Landwirtschaft. Kleine Busunternehmen haben ein Millionengeschäft mit den Ressorts. Es ist richtig, es gibt auch Firmen, die versuchen, alles zu kontrollieren, aber das ist kein Muss. Die Großressorts und All-inclusive-Anlagen haben ein großes Potenzial, Wertschöpfungsketten zu generieren. Die Tatsache, dass in die Hotels viele Leute mit viel Geld kommen, birgt eine Menge Verdienstmöglichkeiten für die kleine Wirtschaft. Meine Frage an Heinz Fuchs: Wie soll sich ein Land nur mit kleinen Wirtschaftseinheiten entwickeln?
Fuchs: Ich stelle mir ein Konzept vor, das eine gesellschaftlich tragfähige Mischung aus großen, kleinen und mittleren selbstständigen Unternehmen vorsieht, weil ich glaube, dass dies für die Mitbestimmung und das politische Klima in einer Region wichtig ist. Ich halte es für eine zentrale Perspektive der Armutsbekämpfung, die Selbstständigkeit der Menschen zu fördern und nicht auf ein ökonomisch geschlossenes Konzept zu setzen. Ansonsten haben wir die Gefahr, Arme und Benachteiligte durch eine "Aldisierung" mit All-inclusive-Anlagen zu versorgen.
Lengefeld: Das Aushandeln der Bedingungen für die Einbeziehung der lokalen Wirtschaft, da gebe ich Ihnen Recht, ist entscheidend. Aber in diesem Punkt haben ausländische Veranstalter ohnehin die Macht: Wenn ein deutscher Veranstalter in der DomRep sagt, ihr bekommt jetzt nur noch 30 Dollar pro Zimmer, dann ist dies das Aldi-Prinzip. Andererseits tut Aldi viel für Sozialhilfeempfänger: Viele können bei uns nur noch überleben, weil es Aldi gibt. Im ökonomischen Prozess gibt es immer winner und loser. Letztlich geht es doch um die Frage einer gerechten Verteilung. Und da hat der Tourismus Vorteile, denn man kann einen Angestellten einer All-inclusive-Anlage nicht extrem ausbeuten, weil man Servicequalität nur mit einem gewissen Standard bekommt.
Fuchs: Es gibt meines Erachtens einen problematischen Zusammenhang zwischen einem Programm der Welttourismusorganisation, das Tourismus als Instrument der Armutsbekämpfung sieht, der so genannten ST-EP-Initiative (Sustainable Tourism - Eliminating Poverty, d. Red.) und dem Promoten dieser GTZ-All-inclusive-Studie. Aus dem, was bisher von den Autoren der Studie zu hören ist, könnte unkritisch gefolgert werden: Wir brauchen überall auf der Welt mehr All-inclusive-Anlagen, um die Armut erfolgreich zu bekämpfen. Doch damit leistet man lediglich einer weiteren Liberalisierung im Tourismus Vorschub. Genau das passiert mit der ST-EP-Initiative: In Regionen, wo es bisher keinen Tourismus gab, zum Beispiel Äthiopien, werden die Bedingungen für private Investitionen geschaffen. Und was macht die GTZ mit ihrer Studie? Sie trägt mit ihrem begrenzten Analysespektrum dazu bei, dass die Bedingungen für ausländische Investoren verbessert werden, damit dann All-inclusive-Anlagen bei geringem Widerstandspotenzial der Bevölkerung errichtet werden können. Das halte ich entwicklungspolitisch für ausgesprochen unsensibel.

(12.152 Anschläge, 157 Zeilen, Juli 2005)

Wir danken der taz für die Nachdruckgenehmigung