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Spielball der Märkte

Macht und Ohnmacht der Fernreiseziele


Die "Entscheidungsträger und Meinungsmacher" waren sich einig: Bei den Hintergründen für die Terroranschläge in den USA spielen auch touristische Aspekte eine Rolle. Wer die Attentate unter dem Gesichtspunkt der extrem ungleichen Güterverteilung auf der Welt interpretiere, hieß es beim jüngsten "Ammerlander Gespräch", komme am Tourismus als Manifestation des Wohlstands in den häufig armen Zielländern nicht vorbei. - Um Macht und Ohnmacht von Ferndestinationen gegenüber der immer globaler operierenden Tourismusindustrie ging es beim diesjährigen Disput von Wissenschaftlern, Vertretern der Reisebranche und der Medien, die der Starnberger Studienkreis für Tourismus und Entwicklung ins bayerische Ammerland geladen hatte.

In welcher Weise partizipieren die Ferienregionen an der Wertschöpfung auf den internationalen Märkten? Haben sie bei der Gestaltung ihres Angebots noch Spielraum für selbstbestimmtes Handeln? Die Antworten der hochkarätig besetzten Runde waren überwiegend negativ. Von einem gnadenlosen Diktat ausländischer Reiseunternehmen berichtete ein Touristiker aus der Türkei. Mehr noch als die deutschen legten englische Veranstalter den Anbietern die Daumenschrauben an. Die Gewinnbeteiligung werde hemmungslos gedrückt, neue Projekte und Erschließungen erfolgten ohne Rücksicht auf die örtliche Infrastruktur oder Kultur. Die Manager der externen Firmen kämen immer weniger aus der Branche, ihnen seien die Zielländer mitunter völlig fremd.

"Der Tourismus ist eine stinknormale Industrie", befand ein ehemaliger Manager. Er funktioniere schlicht nach Marktgesetzen, Investitionen würden dort getätigt, wo die höchste Rendite zu erwarten sei. Im Krisenfall werfe man Ballast ab. Da fielen die kleineren Länder hinten runter.

Das bekommen die islamischen Staaten derzeit zu spüren. Bei Ägypten beklagten zwei Veranstalter Einbußen von rund 30 Prozent. Daß sich die Flaute nach den Anschlägen - außer bei der Fliegerei - dennoch kaum bemerkbar macht, führen die Branchenkenner auf die relativ geringe touristische Bedeutung des Kriegsziels und der Aufmarschländer zurück. Das für einige Teilnehmer auffällige Stillschweigen der Urlaubsproduzenten nach dem 11. September deuteten Kritiker als Ausdruck für deren wirtschaftliche Stabilität und das daraus resultierende Selbstbewußtsein. Umso mehr, wurde gerügt, habe man von diesem gewichtigen Wirtschaftszweig Stellungnahmen zur aktuellen Lage, beispielsweise zur (touristischen) Situation in islamischen Ländern erwartet. Hier habe man sich freilich in Schweigen gehüllt.

Die Feriendestinationen - Gestalter oder Spielball der Märkte? Nach überwiegender Einschätzung der Diskussionsrunde eindeutig Letzteres. Dem Druck potenter internationaler Reiseunternehmen und -konzerne hätten die Urlaubsländer - meist selbst in wirtschaftliche Konkurrenz und politische Querelen verstickt - wenig entgegenzusetzen.

Das "Ammerlander Gespräch" fand nunmehr zum achten Male statt. Besondere Bedeutung hat bei diesem Forum die offene Rede. Um sie zu fördern, werden - so ist vereinbart - bei der Berichterstattung keine Namen genannt.

(3.159 Anschläge, 44 Zeilen, Dezember 2001)