Bis 2020 soll die Luftfahrt kohlendioxidneutrales Wachstum erreichen und bis 2050 die Halbierung des Netto-CO2-Ausstoßes (bezogen auf den Stand von 2005) – so die von der Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) und der Internationalen Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) definierten Klimaschutzziele. Um das zu schaffen, hofft die Luftfahrtwirtschaft auch auf alternative Flugtreibstoffe. Der Beitrag von Agrotreibstoffen zum Klimaschutz und der damit erwartete Nutzen sind jedoch weiterhin hoch umstritten. Hinzu kommen bislang ungelöste technische Fragen sowie ökologisch und entwicklungspolitisch problematische Folgen und die oft noch geringe Ausbeute.
Der Großteil aller derzeit genutzten alternativen Treibstoffe stammt von Feldfrüchten. Dabei sind für den Flugverkehr vorrangig Ölpflanzen, insbesondere Ölpalme, Jatropha und Camelina (eine Rapsart) von Bedeutung. Eine weitere Alternative sind Kraftstoffe aus Reststoffen wie Stroh, Holz oder Klärschlamm. Auch aus Anbaubiomasse, zum Beispiel Gräsern oder schnellwachsenden Holzarten, lassen sich Treibstoffe herstellen. Hoffnungsvoll blickt die Luftfahrt jüngst auch auf die Kerosinproduktion aus Mikroalgen.
Klimawirkung und Ökobilanz
Bei der Verbrennung von Agrokerosin wird die gleiche Menge an CO2 freigesetzt wie bei fossilem Kerosin. Der ausschlaggebende positive Unterschied besteht darin, dass die Energiepflanzen während ihrer Wachstumsphase der Atmosphäre CO2 entziehen.Jedoch ist die CO2-Bilanz keineswegs neutral. Denn über den gesamten Lebensweg betrachtet wird CO2 emittiert, beispielsweise beim Anbau, der Verarbeitung und dem Transport.
Ganz erheblich negative Auswirkungen werden auch durch die indirekte Landnutzungsänderung verursacht, zum Beispiel bei der Umwandlung von Urwäldern und anderen schützenswerten Ökosystemen in landwirtschaftliche Nutzfläche, weil bisherige Ackerflächen für den Energiepflanzenanbau genutzt werden.
Menschenrechtliche und soziale Auswirkung
Zahlreiche Fallstudien aus Asien, Afrika und Lateinamerika belegen, dass es beim Anbau von Pflanzen für die Herstellung von Agrotreibstoffen immer wieder zu Landnutzungskonflikten, zu Wassermangel und -verschmutzung, zum Verlust von biologischer Vielfalt und zu Konkurrenz mit dem Anbau von Nahrungsmitteln kommt.
Die Vertreibung lokaler, zum Teil indigener Bevölkerungsgruppen von ihrem Land und daraus resultierende menschenrechtlich und sozial nicht vertretbare Folgeerscheinungen, wie Hunger und Armut, sind weitere negative Auswirkungen. Ungeklärte Landbesitzverhältnisse, schlechte Regierungsführung in vielen Anbauländern, aber auch die EU-Förderpolitik von Agrosprit heizen diese Konflikte an.
Ein weiterer wichtiger Aspekt sind die Arbeitsbedingungen der Menschen vor Ort, die teilweise weder internationalen Standards entsprechen noch einer lokalen Gesetzgebung unterliegen. Berichte von Betroffenen weisen beispielsweise auf gesundheitsschädigende Wirkungen beim Umgang mit Pestiziden und Düngemitteln hin. Durch die zunehmende Agrokraftstoffproduktion steigen in vielen Regionen die Nahrungsmittelpreise, was angesichts von 842 Millionen hungernden Menschen weltweit inakzeptabel ist. Bereits kleinere Versorgungsengpässe aufgrund steigender Preise können enorme Auswirkungen auf Menschen in Regionen mit angespannter Ernährungssituation haben. Bedarfsprognosen deuten auf einen drastischen Anstieg des künftigen Flächenbedarfs hin, durch den Konflikte um fruchtbare Böden geschürt werden.
Agrotreibstoffe und die europäische Gesetzgebung
Die Europäische Union will ihr Klimaschutzziel maßgeblich durch eine Steigerung der Bioenergieproduktion erreichen. Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) verpflichtet die Mitgliedsstaaten bei allen Verkehrsträgern bis 2020 auf einen Anteil von mindestens zehn Prozent. Die EU schreibt weiterhin vor, dass die von Agrosprit verursachten CO2-Emissionen 35 Prozent unter denen von fossilen Kraftstoffen liegen müssen. Ab 2017 müssen es 50 Prozent sein.
Die Richtlinie enthält auch Nachhaltigkeitsanforderungen für Agrokraftstoffe, die zur Einhaltung der EU-Ziele angerechnet werden. Es werden hierbei verbindliche Anforderungen (zum Beispiel Treibhausgasbilanz) und solche, bei denen lediglich Berichtspflichten bestehen, unterschieden. Anspruchsvollere Kriterien und Standards müssten menschenrechtliche, sozioökonomische und noch weitere ökologische Aspekte berücksichtigen und in Gesetze und Prozesse eingebettet sein. Laut Richtlinie ist dies aber bisher keine verbindliche Voraussetzung und nur über Berichtspflichten abgedeckt. Doch nur durch gesetzliche Festschreibung könnte sichergestellt werden, dass die Rohstoffe für alternative Treibstoffe konfliktfrei bereitgestellt werden können.
Der Flugverkehr ist von der konkreten Umsetzung der oben genannten Quotenziele bislang ausgenommen. Er kann aber, vorausgesetzt die verbindlichen Nachhaltigkeitskriterien sind erfüllt und über Zertifizierung nachgewiesen, auf die Ziele der Erneuerbare-Energien-Richtlinie angerechnet werden.
Verbesserungsansätze für die Erneuerbare-Energien-Richtlinie
Die beschriebenen Konfliktfelder belegen, dass Nachhaltigkeitszertifizierungen viele negative Auswirkungen nicht erfassen können. Aufgrund starker Einwände von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen legte die Europäische Kommission einen Novellierungsentwurf für die Richtlinie vor, mit dem der Kraftstoffanteil auf Basis von Nahrungsmittelpflanzen auf fünf Prozent vom Gesamtziel begrenzt werden soll. Auch einigte sich die EU, die indirekte Landnutzungsänderung ab 2020 verbindlich in die Treibhausgasbilanz einzubeziehen. Eine zehnprozentige Beimischungsquote alternativer Flugtreibstoffe bis 2025, wie sie beispielsweise von der "Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany" (aireg) gefordert wird, ist ökologisch und sozial äußerst bedenklich.
Annegret Zimmermann arbeitet bei Brot für die Welt zum Themenfeld Klimawandel, Katastrophenvorsorge und Tourismus.
Link zur Kurzfassung der Studie
(6.966 Zeichen, März 2014)