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Rinder versus Goldesel

Kenias neue Verfassung soll Landrechtskonflikte lösen


Die Landrechtsfrage gestaltet sich in Kenia, wie in vielen afrikanischen Staaten, äußerst schwierig. Verbriefte Landrechte der lokalen Bevölkerung bestehen kaum. Dadurch entstehen erhebliche Spannungen und Konfliktpotenziale zwischen der indigenen Landbevölkerung und staatlichen Stellen, die meist dem "Goldesel" Tourismus Vorrang geben. Abhilfe soll die zum Ende des Jahres in Kraft tretende neue Verfassung schaffen, mit der die bisher unfaire Landvergabe neu geregelt werden soll.

Der Wildbestand Kenias gehört zu den artenreichsten in Afrika. Damit hat sich das Land zu einem der Hauptzentren des afrikanischen Safaritourismus entwickelt. Doch bei den Großschutzgebieten im Landesinneren ist nicht immer klar, wem das Land eigentlich gehört, das als Nationalpark bzw. Wildreservat ausgewiesen wurde. Damit verknüpft sind essentielle Fragen nach Zugangs- und Nutzungsrechten.

Oftmals wurden und werden noch heute bei der Ausweisung von Schutzgebieten die dort ansässigen Gemeinschaften vertrieben. Sie werden von offizieller Seite gezwungen, ihr seit Generationen bewohntes Land – das häufig zuvor einfach als brachliegend deklariert wurde – ohne jegliche Entschädigungszahlung, etwaige Gewinnbeteiligung an späteren Parkeinnahmen oder alternative Einkommens-möglichkeiten zu verlassen und in weit weniger geeignete Gebiete umzusiedeln. Diese Verletzungen ihrer Menschenrechte stellen ein enormes Problem für die nomadischen Gruppen dar, da sie auf große Flächen für ihre Viehherden angewiesen sind. Teilweise wurde versucht, die Nomaden zu einer sesshaften Lebensweise zu bewegen, damit sie mit ihrem Vieh auf der Wanderung zu den ursprünglichen Weidegründen nicht länger in den vom Staat kontrollierten Parks umherziehen.

Vertreibung der Samburu im Laikipia Distrikt

Ein aktueller Fall in Kenia zeigt die Brisanz, die noch immer dahinter steckt: Die nomadischen Samburu im Laikipia Distrikt, der seit Jahrhunderten zu ihrem traditionellen Siedlungsgebiet gehört, wurden Ende 2011 von dort vertrieben. Zwei Umweltschutzorganisationen – die US-Organisation "The Nature Conservency" (TNC) und die "African Wildlife Foundation" (AWF) – kauften gemeinsam etwa 70 km2 Land, um darauf zukünftig ein Naturschutzgebiet auszuweisen. Kurz nach dem Verkauf begann die kenianische Polizei mit einer Serie brutaler Vertreibungen und dem Töten von Vieh.

2.000 Samburu-Familien leben seither in provisorischen Hütten am Rand des betroffenen Gebietes, 1.000 weitere wurden gezwungen, das Gebiet komplett zu verlassen. Die beiden Käufer TNC und AWF haben das Land kurz darauf der kenianischen Regierung geschenkt, obwohl die Samburu zur selben Zeit gegen ihre Vertreibung vor Gericht klagten. Seitens der Regierung wird der Naturschutz in Laikipia als perfektes Mittel gesehen, den Tourismus in dieser Region anzukurbeln, da "die Wildtiere als wirtschaftlicher Goldesel" dienen, wie sich der kenianische Minister für Wald und Wildtiere im Parlament ausdrückte.

Der Deutsche Reiseverband (DRV) hat Kenias Regierung aufgefordert, eine Lösung für die Samburu zu finden, da die gewaltsame Vertreibung dem Tourismus schaden könnte. Die Tourismusentwicklung auf Kosten der Menschenrechte und der lokalen Gemeinden werde von der deutschen Reisebranche nicht unterstützt, schrieb DRV-Chef Jürgen Büchy eindringlich an den kenianischen Präsidenten Kibaki.

Neue Verfassung als Hoffnungsträger

Das als Naturschutz deklarierte Vorgehen wird deutlich über die Rechte der Indigenen gestellt, um mithilfe des Tourismus Profite zu erzielen. Mit der Ausweisung von Schutzgebieten verknüpfen sich zahlreiche Einschränkungen, wie der versperrte Zugang zu permanenten Wasserstellen infolge der Einzäunung der Parkanlagen. Benachteiligte Gruppen wie die Nomaden werden durch ihre Vertreibung und ohne alternative Einkommensquellen noch weiter an den Rand der kenianischen Gesellschaft gedrängt. Dies führt unweigerlich zu erheblichen Konflikten und kann im schlimmsten Fall den völligen Kollaps der traditionellen Lebens- und Wirtschaftsweise bedeuten.

Hoffnung, dass sich die Missstände beseitigen lassen und dass die Landverteilung und -nutzung in Zukunft transparent und gesetzeskonform gestaltet wird, bietet die neue kenianische Verfassung. Sie wurde am 4. August 2010 per Volksabstimmung angenommen und soll mit den Präsidentschaftswahlen Ende 2012 inKraft treten.

Drei zentrale Aspekte sollen sich dadurch ändern: Die Machtfülle des Präsidenten soll beschränkt werden, durch eine Dezentralisierung mit einer deutlichen Verschiebung der Kompetenzen sollen die Provinzen gestärkt werden und die unfaire Landverteilung soll durch eine Kommission, die die Landvergabe neu regelt, korrigiert werden.

Die Regelung der Landfrage war einer der Punkte, über die im Vorfeld am heftigsten gestritten wurde. Sie wird auch für den kenianischen Tourismus von großer Bedeutung sein. In Zukunft soll das Verfahren des Landerwerbs keine Art Glücksspiel mehr darstellen und gestohlenes bzw. unrechtmäßig angeeignetes Land müsste dann laut neuer Verfassung an die ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben werden.

Für indigene Gemeinschaften könnten sich mit der Landreform die Rückgabe ihrer Gebiete oder zumindest Kompensationszahlungen verbinden. Die Hoffnung ist groß, aber auch die Zweifel sind noch längst nicht vom Tisch. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich angebliche Reformbemühungen im Nichts auflösen würden. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten wurden mehrere Versuche einer umfassenden Landreform unternommen. Keine einzige davon wurde zu Ende gebracht. Sollte die Landreform diesmal gelingen, wäre es die erste große politische Reform Kenias seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1963.

Patrick Schellong studiert Ethnologie und hat sich im Rahmen einer Studienarbeit für EED Tourism Watch mit Armutsbekämpfung durch Tourismus in Kenia auseinander gesetzt.

(5.750 Zeichen, 78 Zeilen, März 2012)