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Reisen in schwierigen Zeiten

Plädoyer für ein differenzierendes Weltverständnis


Über den global vernetzten Tourismus ist innerhalb von zwei Jahren eine Folge von Ereignissen hereingebrochen, die deutliche Auswirkungen zeigen. Eine der wichtigsten und arbeitsplatzintensivsten Branchen dieser Welt sieht sich mit einer Kombination aus Geschehnissen, Entwicklungen und Tendenzen konfrontiert - "11. September", Attentate, Krieg, Entführungen, SARS, Arbeitsplatzängste und konjunkturelle Ungewissheiten -, die für diesen Wirtschaftszweig eine nie da gewesene Herausforderung darstellen.

Ablesbar ist das an sich gegenseitig verstärkenden Meldungen, die über das zögernde Buchungsverhalten verunsicherter Urlauber berichten, über das Schließen von Reisebüros, über massive Sparprogramme und Entlassungen bei Reiseveranstaltern, Fluglinien oder Agenturen. Damit nicht genug: In dieser kurzen Zeitspanne ist es auch zu einer unterschwelligen pauschalen Stigmatisierung von Reiseländern und ganzen Regionen gekommen, weil sie beispielsweise als "unsicher" eingestuft werden, da "islamisch geprägt".

Ein ernüchterndes Resultat. Auch für die Bevölkerung in den davon betroffenen Ländern. Zunehmend an den Untaten extremistischer oder fundamentalistischer Gruppen gemessen zu werden, verletzt viele Bewohner und schürt Verbitterung. Sahen sie sich doch viele Jahre von Besuchern umgeben, die das Privileg der Gastfreundschaft wie selbstverständlich genießen konnten und keinerlei Gedanken an den Alltag derjenigen verschwenden mussten, die ihnen den Luxus der Sorglosigkeit ermöglichten. Hinzu kommt: Während die krisenbedingten Probleme der hiesigen Tourismusbranche ausgiebig diskutiert werden, sind die wirtschaftlich nicht minder betroffenen und teilweise arbeitslosen Einheimischen der Urlaubsländer (Reiseleiter, Hotelangestellte, Agenturmitarbeiter) kaum ein Thema.

Das Geschäft mit den "schönsten Wochen des Jahres" konnte sich lange Zeit in einem neutral scheinenden, angeblich "politikfreien" Raum entwickeln. Doch in Wahrheit war der Tourismus schon immer mitten drin im Weltgeschehen - auch wenn das gerne verdrängt wurde. Als Bestandteil der zunehmenden Globalisierung zählen viele Tourismusformen zum Phänomen "McWorld", dem Synonym für einen sich ausbreitenden westlichen Lebensstil, und haben sich so vielerorts zur Einbahnstraße entwickelt. Trotzdem: Der Tourismus war nur selten ein Ziel menschenverachtender Angriffe. Jetzt droht ihm, stellvertretender Schauplatz von Auseinandersetzungen zu werden, die ihre Ursache ganz wo anders haben. Die Verunsicherung mancher Urlauber ist greifbar, zum Teil wegen eingeschränktem Urteilsvermögen und fehlender persönlicher Erfahrung mit der Fremde. Beides zu stärken wird eine zunehmend wichtige Aufgabe der Reiseindustrie sein. In ihrem eigenen Interesse.

"Nicht nur als Angehörige einer exportabhängigen Nation, sondern auch als Urlauber werden wir lernen müssen, uns mit der Realität dieser Welt und der Länder, die wir bereisen wollen, auseinander zu setzen, sich ihr zu stellen", meint die Geschäftsführerin des Studienkreises für Tourismus und Entwicklung, Dietlind von Laßberg. Fragen nach dem "Wohin, warum oder warum lieber nicht?" könnten beim Thema Sicherheit nicht nur mit Hinweisen auf verstärkte Cockpit-Türen im Flugzeug oder aufwendige Aus- und Einreisekontrollen beantwortet werden. Um subjektiv empfundene Unsicherheitsgefühle zu relativieren, seien Dumpingpreise ein ebenso untaugliches Mittel wie der Urlaub im "Hochsicherheits-Club". Die Branche sei vielmehr gefordert, so von Laßberg, "die Urlauber in ihrer Entscheidungsfindung mit Hintergrundinformationen zu unterstützen." Statt nur über Sonnenscheindauer, Wassertemperatur und Hotelausstattung zu informieren, gelte es zukünftig, die Urteilskraft der Menschen über die Alltagsgegebenheiten und -besonderheiten der Urlaubsländer zu stärken.

Ratschläge für Tourismus in Libyen:

"Ich sage denen, wenn ihr Touristen haben wollt, müsst ihr nett sein.

Deutsche müssen im Bikini rumlaufen dürfen! Man muss anständig einen saufen gehen können! Und Eure Infrastruktur muss am Rand westlicher Maßstäbe sein".

(Der umstrittene Lobbyist Moritz Hunzinger in einem Interview des Berliner Tagesspiegel, 31.7.2002)

Nach Meinung von Studienkreisvorstand Armin Vielhaber würde ein "Weiter-machen-wie-bisher" die Gefahr in sich tragen, die Atmosphäre des Misstrauens zu verstärken - verbunden mit einer wachsenden gegenseitigen kulturellen Unkenntnis und eines möglichen Rückzugs in Urlaubsländer der vermeintlich "sicheren" westlichen Welt. Der Preis wäre die Festschreibung bestehender Unwissenheit über das Leben in anderen Ländern und anderen Kulturen. "Sich von der Vielfalt der Kulturen zu verabschieden ist kein Ausweg, sondern ein Irrweg", meint Vielhaber. Damit würde man sich um die Chance bringen, "ein differenzierendes Weltverständnis zu erwerben, um mitreden zu können, begründet auf persönlicher Erfahrung und durch beim Reisen entstehende Kompetenz." Ermutigend sei, dass Landeskenner oder Mehrfachbesucher eines Landes (auch islamisch geprägter Ziele) in kritischen Situationen auf ihr Urteilsvermögen zurückgreifen und in der Regel aufmerksam, aber souverän reagieren.

"Aus Menschen in Bewegung müssen Menschen der Begegnung werden"

Eine der wichtigsten Aufgaben der Tourismusbranche sei es, so Armin Vielhaber, "künftig konkrete Beiträge zu leisten, um eben dieses Urteilsvermögen der Reisenden vor und während der Reise nachhaltig zu stärken. Damit könnte die Veranstalterreise gleichzeitig Profil gewinnen, mehr zu sein, als nur ein perfekt organisierter Ferientrip. Dann böte sich die Chance, im Urlaub auch mal in der interessanten Mitte, in der Wirklichkeit eines Reiselandes anzukommen. Diese näher kennen zu lernen, lohne sich allemal, so der Studienkreisvorstand. Ohne ein Gefühl für die "Normalität der Mitte" eines Landes, ohne entsprechendes Vorwissen und ohne Erfahrungen bleiben für den Urlauber in Zeiten der Verunsicherung realistische Einschätzungen schwierig. Gerade jetzt wäre eine überzeugende Image-, Sympathie- und Vertrauenswerbung für jene gebeutelten Zielgebiete nötig, mit und in denen man jahrelang gutes Geld verdient hat. "Aus Menschen in Bewegung müssen Menschen der Begegnung werden", fordert Vielhaber. Die Menschen in den Reiseländern seien es wert, besser verstanden zu werden, in ihrem Denken, in ihren Wünschen und Hoffnungen, in ihrem sozialen und religiösen Alltag. "Die Realität dieser Länder ist weitaus komplexer als sie sich in der tagesaktuellen Wahrnehmung widerspiegelt."

Im Studio Kuwait des US-Fernsehsenders CBS: "Vor drei Minuten hörte ich ein Geräusch. Ich dachte, es sei Bombenalarm und wollte schon meine Gasmaske aufsetzen, die immer in meiner Nähe ist (hält sie vor die Kamera)! Aber dann hieß es, das sei Musik von der Moschee für das Mittagsgebet".

(Eine chinesisch-amerikanische Korrespondentin in "The early show" während des Irak-Krieges. Gezeigt im Medienmagazin "Zapp", NDR, 23.3.2003)

Kritische Sympathie, weniger Vorurteile und weniger Klischees seien die Eintrittskarten für ein besseres Weltverständnis mit einer am Ende gewachsenen Urteilskraft. Allerdings setze dies bei allen Beteiligten voraus, die in der Vergangenheit praktizierte Reisekultur neu auszurichten und anzuerkennen, dass

  • Tourismus mehr ist als eine wirtschaftliche Transaktion,
  • Tourismus nirgendwo auf dieser Welt in "Paradiese" führt,
  • es absolute Sicherheit nicht gibt, weder auf Reisen noch zu Hause.

(7.374 Anschläge, 103 Zeilen, Juni 2003, Quelle: Studienkreis für Tourismus und Entwicklung, Ammerland)

Anm. d. Red.: Rassismus extremistischer Islamisten: "Jeder, der sich nicht dem Islam anschließt, ist ein Feind. Ungläubige sind keine Menschen. Sie sind schlimmer als Tiere." Juden werden als "Armee der Affen" bezeichnet. Aus "Undercover bei Al Qaida. Ein Reporter in der Pariser Terrorszene" von Mohamed Sifaoui, WDR, Die Story, 16.6.2003. Dieser sehr couragierte Film eines algerischen Journalisten, der bewusst als Moslem extremistische Muslime anklagt, zeigt die Korruption, Indoktrination und sektenartigen Strukturen islamistischer Terror-Netzwerke. Sifaoui möchte mit seinem verdeckt gedrehten Film dazu beitragen, den Islam differenziert zu sehen, nicht gleich jeden Muslim als Extremisten zu verdächtigen und von Verallgemeinerungen abzusehen. Extremistische Fundamentalisten sind schließlich in fast allen Glaubensgemeinschaften zu finden. Auf Wiederholungen achten! (Dritte Programme, 3sat, Phoenix, arte) -tü-