„Kommt herein, das Haus ist Eures!” Viele Brasilianer verwenden immer noch diese alte Redewendung, damit sich ihre Gäste wie zuhause fühlen. Eine solche Gastfreundschaft findet man jedoch nicht in Rio de Janeiro oder São Paulo, sondern in den Herzen und Häusern der Menschen abseits des Trubels der Großstädte. Das sehr viel engere Verhältnis zwischen Besuchern und Einheimischen ermöglicht authentischere Erfahrungen. Doch Homestays sind nicht unproblematisch. Der Schutz der Privatsphäre der Gastgeberinnen und Gastgebern ist der Schlüssel zum Erfolg.
Gemeinschaften in verschiedenen Teilen Brasiliens haben angefangen Touristen bei sich aufzunehmen und damit ein Zusatzeinkommen zu erwirtschaften. Es gibt viele Wege, wie sie am Tourismus teilhaben können. Einige, insbesondere indigene Gemeinschaften und Quilombolas (die Nachfahren afrikanischer Sklaven), entscheiden sich Gästeunterkünfte gemeinsam zu managen, andere beherbergen Touristen bei sich zuhause.
Wohn- und Gästehaus trennen
Adriana Gomes Lima lebt in Pará im Norden Brasiliens in einer Insel-Gemeinschaft, die vom Nüsse sammeln lebt. Sie hat eine Führungsrolle in ihrer Gemeinschaft und in der lokalen Frauenbewegung MMIB (Movement of Women in Belem Islands). Sie empfängt selbst Touristen und macht sich Sorgen über die Folgen des Tourismus für die anderen Frauen in der Gemeinschaft, die Touristen bei sich zuhause aufnehmen. „Wir haben Gästeunterkünfte gebaut, die vom Haupthaus getrennt sind. So haben die Touristen Kontakt zu uns und können gleichzeitig unsere Privatsphäre respektieren.” Sie erklärt, dass die Gastgeberinnen in der Gruppe einige Regeln und Richtlinien aufgestellt hätten, um Sicherheit, Privatsphäre und Komfort für sich selbst und für ihre Gäste sicherzustellen. „Zum Beispiel bieten wir keine alkoholischen Getränke an. Die Gästeunterkünfte sind eine gute Lösung. Jeder hat seine eigenen Gewohnheiten am Morgen, mit dem Aufstehen und Frühstücken. So können die Gäste ihren Zeitplan selbst bestimmen.”
Solche Vorkehrungen helfen, Probleme zu vermeiden. Adriana versichert, dass sie mit den Touristen noch nie Probleme hatte: “Wir bieten ganz andere Erlebnisse. Unsere Gäste sind Naturliebhaber, interessieren sich für Wanderungen und Gespräche. Manchmal bleiben wir sogar gemeinsam die ganze Nacht auf, trinken in der Küche Kaffee und unterhalten uns".
Und sie stellt fest: „Gäste aufzunehmen ist für uns so normal geworden, dass es uns nichts ausmacht, wenn sie zu uns in die Küche kommen und mit uns frühstücken. Wir haben das Gefühl, sie gehören zur Familie. Viele kommen nicht als Touristen wieder, sondern als Freunde. Zwar sind sie nach wie vor zahlende Kunden, aber es ist ein anderes Verhältnis”.
Aufdringlichkeit akzeptieren?
Deuzani Gomes dos Santos lebt inMinas Gerais im Südosten Brasiliens. Sie stellt hübsche Tongefäße und Puppen her und teilt ihr Wissen und ihre Gedichte (Obwohl sie nur die Grundschule abgeschlossen hat, schreibt sich wunderbare Gedichte!) mit Touristen, die ihr Dorf besuchen. Wenn Gäste kommen, holt sie die schönere Bettwäsche heraus, wechselt die Tassen in der Küche aus und schafft eine perfekte Atmosphäre, um die Besucher willkommen zu heißen.
Wirkliche Probleme hatte sie mit ihren Gästen nie. Doch einige von ihnen fragen nach Dingen, die sie ihnen nicht bieten kann, zum Beispiel WiFi. „Es frustriert mich, wenn mein Haus ihre Erwartungen nicht erfüllt”. Sie gibt zu, dass einige Leute schon ein wenig aufdringlich sein können, zieht es aber vor, die Besucher nicht darauf anzusprechen. „Ich hatte nie den Mut zu sagen, wenn etwas nicht okay war. Manchmal verstehen die Gäste nicht, worum es uns geht, und sind vielleicht beleidigt. In Anbetracht ihrer kurzen Aufenthaltsdauer denke ich, es lohnt sich nicht.”
Trotzdem beteuert sie, dass sie sehr gerne Gäste hat, auch wenn das bedeutet, dass sie dann nicht so viel Kunsthandwerk herstellen kann wie in den Zeiten, in denen sie alleine ist. Doch das macht ihr nichts aus. Deuzani konzentriert sich gerne mit voller Energie auf ihre Gäste: „Ein Familiengästehaus heißt so, weil die Gäste für die Dauer ihres Aufenthalts Teil der Familie werden”.
Die richtige Art von Touristen
Irenice Maria Macedo de Freitas lebt in Ceará im Nordosten Brasiliens, im Hinterland von Kariri, wo ein Volksmuseum und eine Handelsschule die Kultur am Leben halten und ihre Einzigartigkeit bewahren. Seit 1999 empfängt sie Touristen in ihrem Haus. Die Gästeunterkunft ist im Hinterhof, aber sie bereitet die Mahlzeiten zu und die Gäste können sich im und um das Haus frei bewegen. Aufdringlich war noch niemand. „Gott sei Dank kommen unsere Gäste wegen des Projektes. Sie sind anders als Touristen, die kommen, um Party zu machen”, erklärt sie.
Das Projekt, die Stiftung Casa Grande, ist ein Museum für lokale Kultur und eine Schule für Jugendliche, die z.B. Fotografen, Schriftsteller oder Musiker werden wollen. Der Gründer des Projektes, Alemberg Quindins, sagt: „Sieht man gemeindebasierten Tourismus nur als einkommensschaffende Maßnahme, greift das zu kurz. Grundlagen sind die kulturelle Vielfalt und menschliche Werte.” Das sieht Irenice auch so. „Wenn jemand meine Meinung zur Unterbringung von Gästen wissen möchte, sage ich, dass ich die Welt bei mir zuhause empfange”, sagt sie stolz.
Die drei Frauen haben etwas gemeinsam: besonderes Talent als Gastgeberinnen, Neugier und Interesse an den Menschen und Freude daran, ihr Heim und ihren Lebensstil mit anderen zu teilen. Sie sind durchaus der Meinung, dass Geld und Privatsphäre wichtig sind, wenn sie aus ihrem Zuhause eine Gästeunterkunft machen. Doch sie glauben, dass es etwas Hingebungsvolles hat, Gastgeberin zu sein. Es ist mehr als nur sein Haus für Fremde zu öffnen. Vor allem öffnet man sich selbst.
Mariana Madureira ist Mitbegründerin von Raízes Sustainable Development, einem brasilianischen Sozialunternehmen für lokale Entwicklung und Frauenförderung, und Direktorin von Projeto Bagagem, einer Organisation, die gemeindebasierten Tourismus entwickelt und unterstützt.
Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp