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Overtourism in Welterbestätten

Interview mit Dr. Mechtild Rössler, Direktorin des UNESCO Welterbezentrums


Die Idee der Welterbeliste ist, dass die internationale Gemeinschaft besonders bedeutsame Orte gemeinsam schützt und für künftige Generationen bewahrt. Doch der Status einer Welterbestätte bedeutet neben Schutz auch Prestige und häufig viele Besucher. Einige Stätten sind mittlerweile wegen Overtourism in die Schlagzeilen geraten, wie die Lagunenstadt Venedig, der heilige Inka-Berg Machu Picchu in Peru oder die Tempelanlagein Angkor Wat in Kambodscha. Ute Dilg hat Dr. Mechtild Rössler, die Direktorin des UNESCO-Welterbezentrums gefragt, wie die UNESCO auf den zunehmenden Andrang in Welterbestätten reagiert.

Was sind die Gründe für den zunehmenden Overtourism in Welterbestätten?

Viele Welterbestätten werden schon lange intensiv touristisch genutzt. Allerdings sind in den vergangenen Jahren die Besucherzahlen stark angestiegen und haben an einigen Orten ein kritisches Maß erreicht – etwa in den baltischen Städten oder an Orten im Mittelmeerraum. Das liegt vor allem am zunehmenden Kreuzfahrttourismus auf immer größeren Schiffen und an den Billigfliegern. Dazu kommt, dass viele Länder von Konflikten und Terroranschläge betroffen sind. Touristen weichen deshalb oft kurzfristig auf andere Orte aus. Auch dies führt zu erhöhten Besucherzahlen an einzelnen Welterbestätten, besonders in Europa. Außerdem beobachten wir, dass immer mehr Menschen besonders bekannte Orte wie der Machu Picchu in Peru, Angkor Wat in Kamboscha oder das Taj Mahal in Indien besuchen.

Was empfehlen Sie, um den Overtourism in den Griff zu bekommen?

Das Besuchermanagement muss an vielen Welterbestätten verbessert und die Zusammenarbeit und Kommunikation vor Ort gestärkt werden. Da ist auch die Politik gefragt. Wir unterstützen die Sitemanager im Rahmen unseres Tourismusprogramms (Sustainable Tourism Program) unter anderem beim Besuchermanagement sowie generell beim Management der Welterbestätten. Wir unterstützen sie beim Aufbau von Wissen und Kapazitäten. Wichtig ist, dass dabei auch andere Akteure mit einbezogen werden. Etwa Reiseveranstalter oder Tourismusbehörden. Häufig ist es nämlich so, dass die unterschiedlichen Akteure vor Ort nicht miteinander reden und deshalb schlecht auf größere Touristengruppen vorbereitet sind. Die UNESCO arbeitet zudem mit der Welttourismusorganisation (UNWTO) zusammen. 2017 haben wir gemeinsam Empfehlungen ausgearbeitet, wie man Kulturtourismus anders gestalten kann. Die Regierungen sollten sich nicht nur auf ihre Welterbestätten konzentrieren, sondern Besucher auch zu anderen Sehenswürdigkeiten locken sowie lokale Traditionen stärken.

Wie stellt die UNESCO sicher, dass die lokale Bevölkerung bei der Antragsstellung beteiligt wird und später dann auch vom Tourismus profitiert?

Die UNESCO Operational Guidelines der Welterbekonvention sehen vor, dass alle örtlichen Akteure bei der Antragsstellung für den Welterbestatus mit einbezogen werden müssen. Das Welterbezentrum und seine beratenden Organisationen* unterstützen in diesem Prozess. Wenn es dann zur Evaluierung der Bewerbungsdossiers kommt, schauen diese genau auf die Situation vor Ort. Zudem arbeiten wir vor allem in Entwicklungsländern eng mit dem Site-Management und mit den Menschen vor Ort zusammen. Ich habe das zum Beispiel im Maloti Drakensberg Park in Südafrika und Lesotho erlebt. Dort wirken die Einheimischen im Besucherzentrum mit, erklären ihre Geschichte, bieten Wanderungen an und kochen für die Touristen. Auf diese Weise hat die Bevölkerung vor Ort einen Verdienst und kann ihre Kultur erklären. Das macht die Einheimischen stolz und bietet Besuchern eine bereichernde Erfahrung.

Und doch kommt es in Welterbestätten immer wieder vor, dass einheimische Geschäfte durch Souvenirläden verdrängt werden, dass sich Kultur verändert, um den Touristen zu gefallen. Schadet der Welterbestatus in so einem Fall nicht mehr als er nutzt?

Ich kann das aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Viele gut besuchte Stätten waren schon bekannt, bevor sie Welterbe wurden. Zum Beispiel Pisa in Italien, das Taj Mahal in Indien oder Angkor Wat in Kambodscha. Oft hat nicht der Welterbestatus sondern eine verfehlte nationale Politik sowie mangelndes Besuchermanagement dazu geführt, dass bestimmte Stätten überrannt werden. Die Welterbestätte von Angkor Wat zum Beispiel ist 200 Quadratkilometer groß, aber alle Welt sieht sich nur einen einzigen Tempel an. Daran sieht man, dass eine Diversifizierung des Angebots für eine Lösung wichtig ist. Sie täte auch den Touristen gut, weil sie andere Erfahrungen machen würden und stärker mit der lokalen Bevölkerung interagieren könnten.

Wenn eine Welterbestätte durch überbordenden Tourismus gefährdet ist, welche Schritte leitet die UNESCO ein?

Das ist ganz unterschiedlich und hängt von der Art der Probleme ab. Wir beraten die Sitemanager vor Ort oder führen Gespräche mit den zuständigen staatlichen Stellen. Bei gravierenden Problemen berichten wir an das Welterbekomitee. Wenn eine Welterbestätte tatsächlich gefährdet ist, kann sie auf die Gefahrenliste gesetzt werden. Das wollen die Staaten und Regierungen, die es beträfe, natürlich vermeiden. 2016 haben wir das zum Beispiel im Fall von Venedig diskutiert. Die Stadt hat eine Liste von Maßnahmen bekommen, die sie zum Schutz der Lagune umsetzen und darüber Rechenschaft ablegen muss. Die UNESCO hat also aufgrund verschiedener rechtlicher Instrumente durchaus Einfluss auf diese Entwicklung.

Reicht es aus, Touristenströme besser zu verteilen? Oder ist es nicht vielmehr nötig, über eine Verringerung der Besuchszahlen zu reden, um die Stätten tatsächlich zu schützen?

Das kann in einzelnen Fällen durchaus sinnvoll sein. Im kroatischen Dubrovnik etwa darf nur eine bestimmte Zahl von Touristen pro Stunde die Altstadt betreten. Früher konnten die Menschen kaum mehr durch die Straßen laufen, wenn mehrere Kreuzfahrtschiffe gleichzeitig anlegten. Die Behörden arbeiten eng mit den Kreuzfahrtunternehmen zusammen, damit das nicht mehr passiert. Außerdem werden die Besucherzahlen elektronisch überprüft, was gut funktioniert. Wichtig ist auch in diesem Fall der Dialog zwischen den Tourismusunternehmen, den Welterbestätten und den Staaten.

* IUCN (International Union for the Conservation of Nature), ICOMOS (International Council on Monuments and Sites), ICCROM (International Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property)