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Neue Piefke-Saga

Deutsche SaisonarbeiterInnen nehmen Tirolern Arbeitsplätze weg


Als "unnötig wie ein Kropf" bezeichnete der österreichische Gewerkschaftler Norbert Klotz einen populistischen Streit, der im Juli und August für eine heftige Debatte in Österreich sorgte. Losgetreten hatte ihn der Tiroler Arbeiterkammerpräsident Fritz Dinkhauser. Im Hinblick auf den Ansturm deutscher Studenten auf österreichische Universitäten und auf deutsche Saisonkräfte in der Tourismuswirtschaft klagte er über einen gewaltigen Verdrängungswettbewerb: "Wir haben gedacht, der Feind kommt aus dem Osten. Doch in Wahrheit kommt er auch von Westen und aus dem Norden".

Es regnete Proteste und Rücktrittsforderungen auch auf seine Behauptung, die Deutschen würden den Tirolern vor allem im Tourismus den Job wegnehmen und auf seine Forderung, Zuschüsse für Betriebe zu kürzen, die Deutsche einstellen. Die Deutschen seien ihm zwar lieb, sagte er, aber lieber sähe er sie vor statt hinter der Bar. Als Gäste sollten sie kommen und seien als solche bestens zu betreuen. Norbert Klotz erinnerte daran, dass gerade die "Deutschen seit Jahrzehnten das Geld hereinbringen und viele Familien davon leben".

Ausgerechnet der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) trat in einem Interview in der F.A.Z. am 16. August nach. Es gebe zwar mehr Österreicher, die in Deutschland arbeiteten als umgekehrt. Aber das verschärfte Problem auf dem österreichischen Arbeitsmarkt hinge "auch ein wenig mit Hartz IV zusammen. Es ist jetzt plötzlich sehr viel attraktiver geworden, bei uns Arbeitslosenunterstützung zu bekommen". Die oppositionelle SPÖ stellte klar, dass natürlich niemand in Österreich ohne Vorleistungen Arbeitslosengeld bekäme. Schüssels "absurde, geschmacklose und realitätsferne" Äußerung sollte nur davon ablenken, dass unter seiner Verantwortung die Arbeitslosigkeit seit 2000 um 43 Prozent gestiegen sei. In Österreich gibt es derzeit offiziell 211.000 Arbeitslose sowie rd. 40.000, die in Kursen "versteckt" würden. (Gesamteinwohnerzahl: 8 Millionen).

In Österreich arbeiten derzeit 45.000 Deutsche, in Topjobs, auf dem Bau oder als angeworbene - meist ostdeutsche - "Saisoniers". Allein in den ersten drei Monaten diesen Jahres wurden dazu von den österreichischen Arbeitsämtern 10.000 Arbeitsbewilligungen ausgestellt, 2.300 seien an Polen, Tschechen, Ungarn und Saisonkräfte aus anderen neuen EU-Staaten gegangen. "Die Deutschen sind einfach willig und billig", sagte Dinkhauser vor dem Krach. Sie jobben vor allem in Tourismusgebieten in Tirol, Kärnten, Salzburg und Oberösterreich.

Einige Piefkes frotzelten, offensichtlich sei manchen "Ösis" eine - nur in Österreich erschienene - Ausgabe des "stern" zu Kopf gestiegen, die die Alpenrepublik über den grünen Klee lobte: "Warum Österreich Spitze ist". Wo blieb da der berühmte österreichische Charme, den Wien gerne als "UNESCO-Weltkulturerbe" unter den nicht-materiellen Kulturgütern geschützt sähe?

Eva Menasse, eine bekannte österreichische, in Berlin lebende Schriftstellerin, hatte bereits vor dem Sturm der Entrüstung zu vermitteln versucht. Sie käme nicht dahinter, warum sich ihre Landsleute Deutschen gegenüber manchmal rassistisch verhielten, wozu sie auch den häufig abwertenden Ausdruck "Piefke" zählte. Es sei immer noch schwer für Deutsche, in Österreich zu leben.

Nach Ansicht der Autorin dieses Beitrages jedoch ist dieses Phänomen weltweit in allen kleinen Ländern zu beobachten, die mit mächtigen bis dominierenden Nachbarn leben müssen. Das erklärt auch Menasses Beobachtung, dass "Österreicher eine große Zeit ihres Lebens damit verbringen, anderen zu erklären, dass sie keine Deutschen sind". Den Deutschen sei daher erneut ins Stammbuch geschrieben, nicht großspurig, besserwisserisch, laut und fordernd aufzutreten.

Piefke

Und was den "Piefke" betrifft: Auf Berlinisch (nicht Berlinerisch) ist das einfach ein uralter Begriff für einen kleenen uffjeweckten Jungen. Auch wenn Wissenschaftler irgendwelche Preussen und Generäle dieses Namens bemühen (vgl. Google und Wikipedia). Der Ausdruck werde in Touristengebieten wie Tirol mehr benutzt als beispielsweise in Wien, sagt der Ötztaler Volkskundler Hans Haid. Er gelte nicht für Rheinländer und alle Süddeutschen, nur für "Preussen" (auch wenn es die seit 1947 öffiziell nicht mehr gibt).

Die "Piefke-Saga" ist übrigens ein legendärer Fernseh-Dreiteiler über deutsche Touristen in Tirol aus dem Jahr 1991. Auftraggeber des Wiener Autors Felix Mitterer war der NDR, der für die Satire den Grimmepreis in Silber einheimste. Gelegentlich wird der Film in den Dritten Programmen wiederholt.

(4.536 Anschläge, 61 Zeilen, September 2005)