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Mit Tourismus die Kontrolle über Land zurückgewinnen?

Erfahrungen und Perspektiven der San im südlichen Afrika


San Group Namibia

Die San sind der Inbegriff der Jagenden und Sammelnden, die über Tausende von Jahren das südliche Afrika bewohnten, von den Küsten bis in die trockenen Wüsten im Landesinneren. In Filmen und Printmedien kursieren Bilder von San-Völkern, die sie immer noch in traditioneller Lederkleidung darstellen. Sie werden so präsentiert, als lebten sie naturnah und unbelastet von den Komplexitäten der modernen Welt. Solche Darstellungen prägen die Vorstellungen vieler ausländischer Touristinnen und Touristen, die ins südliche Afrika reisen. Die von diesen Medien perpetuierten Vorurteile, nach denen die San “primitiv” sind und ihr Lebensstil sich seit Urzeiten nicht verändert hat, sind jedoch von der Realität weit entfernt. Die kulturellen Traditionen und das Wissen der San sind außerordentlich komplex, so zum Beispiel ihre genaue Kenntnis über das Land, wo sie Tiere aufspüren und auf die Suche nach Nahrung gehen, die in der Wildnis wächst. Nachdem die San jedoch das Land ihrer Vorfahren verloren haben, sind die meisten von ihnen nun sesshaft, dürfen nicht mehr jagen und tragen zeitgemäße Kleidung.

Der Verlust von Land

Angesichts der großen Anzahl verschiedener San-Gemeinschaften und ihrer unterschiedlichen historischen Erfahrungen ist es schwierig, akkurat zusammenzufassen, warum die meisten San den Zugang zu Land verloren haben. Die drei Hauptgründe sind jedoch die bleibenden Folgen der europäischen Kolonialisierung, die weiße Herrschaft und die Gründung moderner afrikanischer Staaten. In Namibia erhielten nach der Unabhängigkeit einige San-Völker erfolgreich die Kontrolle über begrenzte Gebiete ihres traditionell angestammten Landes. In Südafrika gelang dies durch Rechtsstreitigkeiten nach dem Ende der Apartheid. Doch die San haben in diesen Ländern noch immer Schwierigkeiten, Zugang zu Land zu erhalten und ihre Hoheit über das Land anerkannt zu bekommen, das ihnen traditionell gehört. Auch in Botsuana ist die Situation kompliziert. Dort räumen Behörden, die für das Land der Stammesgesellschaften zuständig sind, auf unfaire Weise zum Nachteil der San, den Anträgen anderer Bürgerinnen und Bürger Priorität ein. Auch wurden in Botsuana San-Völker umgesiedelt, um dem Abbau von Bodenschätzen und dem Tourismus Platz zu machen.

Ohne Land haben sich die San mit einer sesshaften Existenz abgefunden, was meist staatliche Almosen oder hin und wieder bezahlte Jobs bedeutet. Die meisten San sind also nicht nur politisch marginalisiert, sondern auch eine der am schlimmsten verarmten gesellschaftlichen Gruppen im südlichen Afrika. Viele San-Völker sind nicht in der Lage, ihrem traditionellen Lebensunterhalt nachzugehen, und leiden unter den Traumata historischer Diskriminierung. Somit fällt es ihnen schwer, Wissen und Praktiken ihrer Kultur, einschließlich ihrer Sprache, in wirksamer Weise weiterzugeben. Zum Beispiel haben die im Central District von Botsuana lebenden San den Großteil des Landes, das traditionell ihnen gehörte, an weiße Farmer verloren. Zwar engagieren sich viele der San sehr stark für ihr kulturelles Überleben. Doch da sie Tag für Tag mit einem Leben in Armut kämpfen, kostet sie ihr Aktivismus viel Kraft und Anstrengung. Bessere Nachrichten gibt es in den von den San selbst kontrollierten Reservaten in Namibia. Hier haben die Gemeinschaften durch partizipative Entscheidungsprozesse, Landmanagement und die Wahl traditioneller Autoritäten zumindest die Chance auf ihre eigene Souveränität.

Tourismus – ein zweischneidiges Schwert

Tourismus ist kein Allheilmittel, aber auch nicht einfach nur eine belanglose Erscheinung im heutigen Leben der San. Viele Tourismus-Aktivitäten in der Vergangenheit waren ausbeuterisch: ob durch Touristinnen und Touristen sowie durch Reiseveranstalter, die die San nicht fair entschädigten oder sie nicht vollständig über ihre Rechte aufklärten, oder durch Angehörige anderer Bevölkerungsgruppen, die den größten Teil der Gewinne aus dem Tourismus verwalteten und daraus Vorteile zogen. Job Morris (Naro), Gründer und Direktor des Jugendnetzwerks der San stellte fest: „Der Tourismus kann für uns eine Chance auf einen besseren Lebensstandard sein … doch wir finden keinen Gefallen daran, denn der Tourismus ist oft ein Geschäft der Eliten. Wo es Resorts, Lodges oder Büros gibt, die nicht den San gehören, werden Darstellungen unseres Volkes dazu benutzt, das Geschäft anzukurbeln”. Morris fragt sich, „ob wir [die San] Teil der so genannten ‘natürlichen Ressourcen’ sind, die von anderen einfach zu deren Vorteil genutzt werden können”. Vielversprechend ist jedoch die zunehmende Zahl von Tourismusprojekten in der Region, die den San gehören beziehungsweise von ihnen gemanagt werden. Zwar finden einzelne San unter Umständen Jobs im Tourismus und damit verbundenen Wirtschaftsbereichen, doch die Vorteile werden breiter gestreut, wenn Gemeinschaften die Kontrolle über ihre eigenen Tourismusprojekte haben, wie zum Beispiel über die Tierwelt, die Natur, die Leitung von Heritage-Touren, kulturelle Vorführungen und den Verkauf ihres Kunsthandwerks.

Die Kontrolle über die Erzählweise zurückgewinnen

Der Nutzen des Tourismus geht über finanzielle Anreize hinaus und befördert zum Beispiel Stolz auf die eigene Kultur, Bildung und Revitalisierung. Doch es ist von entscheidender Bedeutung, dass die San-Völker die Kontrolle über die touristische Vermarktung ihrer Kultur haben. Sie müssen in der Lage sein, selbst zu bestimmen, wie sie ihre Kultur darstellen wollen und man sollte nicht von ihnen erwarten, dass sie die Wünsche von Touristen und Touristinnen nach Exotik erfüllen. Ob die Beteiligung an der Tourismuswirtschaft den San helfen kann, einen besseren Zugang zu Land zu bekommen, ist nicht so einfach zu beantworten. Kileni A. Fernando (!Xung), Koordinator des namibischen Rates der San erkennt an, dass ein eigener wachsender Tourismusmarkt den San nicht nur hilft, die Armut zu lindern, sondern dass sich auch „Möglichkeiten schaffen lassen, den jungen San ihre Geschichte und Kultur zu vermitteln, sie besser in die Lage zu versetzen, sich für ihre Landrechte einzusetzen, und gleichzeitig Touristen und Touristinnen in die Camps, Kunsthandwerksgeschäfte, etc. zu locken”. Touristinnen und Touristen können die Souveränität der San stärken, indem sie sich für Aktivitäten und Unterkünfte Tourismusprojekte suchen, die den San gehören bzw. von ihnen gemanagt werden. Unter Umständen sind diese Projekte von den üblichen Touristenrouten weiter entfernt und werden vielleicht nicht so gut beworben wie Projekte, die nicht den San gehören. Doch wer sie findet, wird mit authentischen kulturellen Tourismuserlebnissen belohnt, in denen die San die Kontrolle darüber haben, was sie über sich erzählen und wie sie es erzählen.

Dr. Rachel F. Giraudo ist Dozentin für Ethnologie an der California State University in Northridge. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Indigenität und Identitätspolitik im südlichen Afrika; Kulturerbe, Tourismus und Entwicklung; und kollaborative, gemeindebasierte Ansätze in der ethnologischen Forschung.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp