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Mischen wir uns ein!

Laudatio zur Verleihung der TO DO!-Preise für sozialverantwortlichen Tourismus auf der ITB 2011 im März in Berlin


Anfang März war in den Zeitungen das Foto einer jungen Demonstrantin in Tunesien zu sehen. Sie hält mit beiden Händen ein Plakat hoch, auf dem es sinngemäß heißt: "Wir haben genug, mischen wir uns ein!"

Wir sind gegenwärtig Zeugen einer außergewöhnlichen Entwicklung. In zahlreichen Ländern, namentlich in Teilen des arabischen Raumes, in Nordafrika, im Nahen und Mittleren Osten, gehen die Menschen auf die Straße und melden sich lauthals zu Wort: weil sie mitreden wollen, weil sie Ihre Zukunft mitgestalten und mitbestimmen wollen, weil sie überhaupt eine Zukunft haben wollen. Mit anderen Worten: Weil sie ihre Beteiligung einfordern - ihre Partizipation.

Dieses "...mischen wir uns ein" der jungen Frau in Tunesien heißt ja nichts anderes, als dass die Leute endlich gefragt werden möchten; dass breite Teile der Bevölkerung nicht länger gewillt sind, alles hinzunehmen. Dass nicht länger akzeptiert wird, wenn der Staat, das Regime, "die da oben" einfach ungefragt schalten und walten. Was die Sache ernst macht: Die Männer und Frauen, die ihre gesellschaftliche Partizipation in diesen Tagen einfordern, sind bereit, ihr Leben zu riskieren, in Tunesien, in Ägypten und dramatisch gerade in Libyen.

Für Menschenrechte und Bürgerbeteiligung

Wenn heute in diesen Ländern die Menschen um ihre politische Beteiligung, oft auch um elementare Menschenrechte kämpfen, um die Beteiligung an der Neuordnung ihrer Gesellschaft, ihrer Staatsstrukturen, um Partizipation im Großen also, so hat Partizipation doch immer auch eine andere Seite, eine kleinere, eine lokale. Wenn eine Ordnung einmal etabliert ist, bleibt Partizipation dennoch wichtig. Es reicht ja nicht, wenn wir einmal alle vier Jahre wählen können. Das zeigen die Bürgerproteste auch in diesem Land um Großprojekte wie zum Beispiel Stuttgart 21. Wenn Beteiligte sich zu Wort melden, kommt es nicht drauf an, ob es dabei um einen Stausee geht oder um Ölförderung, um Goldabbau, die Abholzung von Wäldern oder eine rigoros durchgesetzte touristische Erschließung. Entscheidend für die Frage der Partizipation ist, ob die betroffene Bevölkerung überhaupt einverstanden ist, und wenn ja, ob sie an den jeweiligen Prozessen beteiligt wird.

Warum aber sind wir nun so erstaunt über die derzeitigen Proteste und Aufstände jenseits des Mittelmeers? Haben wir in Europa oder den so genannten alten Demokratien etwa alleine das Recht gepachtet, protestierend auf die Straße zu gehen und Rechte einzufordern, die Beteiligung an der gesellschaftlichen Entwicklung - oder noch mal: Partizipation? Warum sind wir verblüfft, dass dies plötzlich anderswo auch so sein kann? Haben wir vielleicht viel zu lange nicht genau hingeschaut in diesen Ländern? Ich fürchte ja.

Ende der achtziger Jahre hat sich auf der ITB die "Jagrut Goenkaranchi Fauz" ("Armee der wachsamen Goaner") Gehör verschafft. Mit der Forderung, die Urlauber aus Deutschland mögen doch bitte zuhause bleiben, weil ihr verschwenderischer Lebensstil in den Luxushotels so viel Wasser verbrauchen würde, dass für die Einheimischen nicht genügend übrig bleibe. Es hat Jahre gedauert, bis die Tourismuswirtschaft solche Interessenskonflikte verstanden und ernst genommen hat. Doch in den meisten Fällen und viel zu lange sind solche Probleme eher unter Umweltgesichtspunkten betrachtet worden. Mit dem Phänomen, dass die Ausnutzung oder gar Übernutzung von Ressourcen in Urlaubsländern zu sozialen Spannungen führen kann, hat sich lange Zeit kaum jemand ernsthaft befasst. Mit wenigen Ausnahmen:

Mitte der neunziger Jahre hat sich rund um den Studienkreis für Tourismus und Entwicklung eine Gruppe von Menschen versammelt, für die es höchste Zeit war, sich mit den sozialen und ethischen Fragen im Tourismus auseinander zu setzen. Es waren Entwicklungsfachleute, Forscherinnen, Pfarrer, Journalistinnen, Beamte aus Ministerien und auch - ja, das darf gesagt werden - zukunftsorientierte Vertreter der Reisebranche.

Die diesjährigen TO DO!-Gewinner: Neuanfang nach Krisensituationen

Der Studienkreis für Tourismus und Entwicklung, der bis heute und seit vielen Jahren den TO DO!-Wettbewerb ausrichtet, hat schon 1995 die klare Feststellung getroffen: "Die Zukunft des Tourismus wird nicht zuletzt davon abhängen, ob er sich für die Bevölkerung in den Zielgebieten in einer sozialverantwortlichen Form entwickelt." So lautete damals der Kernsatz, aus dem sich der TO DO!-Wettbewerb entwickelt hat. Es war der Ruf nach einer zukunftsfähigen, das heißt nachhaltigen und partizipativ angelegten Tourismusentwicklung. Und heute ist das Begriffspaar "social responsibility" in aller Munde. Auf der ITB gab es zum dritten Mal den CSR-Day - den Corporate Social Responsibility Day - und weltweit setzen sich mehr und mehr Organisationen für sozialverantwortliches Handeln im Tourismus ein.

Heute, 16 TO DO!-Wettbewerbsrunden später, zeigt sich, dass es richtig war, sich von Anfang an für eine sozialverantwortliche Tourismusentwicklung einzusetzen. Zu Beginn konnte man noch sagen: "There is still a lot to do" - so kam der Wettbewerb zu seinem Namen. Heute wissen wir: A lot has been done. Davon zeugen alle bisher ausgezeichneten TO DO!-Gewinner, aber auch die diesjährigen TO DO!-Gewinner aus Guatemala, Tadschikistan und Thailand. Interessant ist, dass alle drei diesjährigen Preisträger aus einer Krisensituation heraus zum Neuanfang gezwungen waren - aber diesen Neuanfang eben nicht mit den alten Mitteln und im alten Stil begonnen haben. Sie haben von Anfang an etwas praktiziert, was noch lange nicht überall selbstverständlich ist. Sie haben die Menschen mit einbezogen und nicht über die Köpfe derjenigen hinweg entschieden, die es am meisten betrifft: die lokale Bevölkerung. Sie haben die Partizipation der Betroffenen, die uns so wichtig ist, zum wesentlichen Teil ihres Projektes gemacht. Und damit sind sie für uns Beispiele und Vorbilder für eine Entwicklung, die wir mit unserem Wettbewerb fördern möchten. Sie lassen uns an die Zukunft glauben, auch an die Zukunft des Tourismus. Und sie bestärken uns in der Überzeugung, dass Veränderungen unter Einbezug der Betroffenen möglich sind, für eine bessere Welt im Kleinen und im Großen.

Hans Ulrich Schudel ist Vizepräsident der Schweizerischen Stiftung für Solidarität im Tourismus (SST). Diese Laudatio in längerer Fassung hielt er anlässlich der Preisverleihung zum TO DO! 2010 - Wettbewerb Sozialverantwortlicher Tourismus am 11.3.2011 in Berlin. Geehrt wurden damit die diesjährigen TO DO!-Preisträger "Centro Histórico y Educativo Riij Ib'ooy aus Guatemala, "Community-Based Tourism in the Zerafshan Valley" aus Tadschikistan und "Andaman Discoveries" aus Thailand.

Weitere Informationen: www.to-do-contest.org

(6.827 Anschläge, 91 Zeilen, Juni 2011)