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Medienschelte: Bagdad nicht mit Hilfe von Schweizer Landkarten bombardiert

Unverantwortlicher Bericht in Berliner Tageszeitung kann Menschen gefährden


Von Ludmilla Tüting

Seltsames wurde am 7. September im Berliner "Tagesspiegel" gefragt: "Haben die Engländer den Irak mit Rohweders Karten bombardiert?" Gemeint sind die Landkarten des Schweizer Kartographen und erklärten Kriegsgegners Arne Rohweder. In dem ganzseitigen Beitrag "Gezeichnete Welten" hatte die renommierte Tageszeitung den Kartenkünstler, der zu den besten seiner Zunft gehört, vorgestellt. Dabei wollte die Verfasserin, Kerstin Kohlenberg, die schwierigen Recherchen in Gebieten abseits der Touristenströme hervorheben. Bedauerlicherweise ließ sie sich von Sensationsheischerei leiten.

Schnell wird klar, dass es sich bei dem "Karten-Bombardement" nur um einen sprachlichen Lapsus handelt und sie Rohweder vielmehr durch suggestive Fragen eine indirekte Unterstützung des Krieges vorwirft: "Hatte die britische Armee im Krieg etwa seine Karte benutzt?" schreibt die Autorin. Es sei doch merkwürdig, dass die Armee einen Monat vor Kriegsbeginn, völlig überraschend, viele dieser Karten gekauft habe. Rohweder habe "seine Chance erkannt", als er George W. Bush erstmals von der Achse des Bösen reden hörte. Durchgehend suggeriert wird ebenfalls, Rohweders Bagdad-Karte sei die einzige auf dem Markt - mit Saddams Bunkern und militärischen Einrichtungen in lila, Moscheen in schwarz und sechs Nachtclubs "ganz in der Nähe der Deutschen Botschaft" in rosa.

Auf Nachfrage erklärt Rohweder, dass er "natürlich" jede öffentlich zugängliche Information einarbeite. Die Journalistin habe aber offensichtlich seine feine Ironie nicht verstanden, die sie im Tagesspiegel wiedergibt: "Wenn man sieht, was für Beweise die Engländer und Amerikaner für Saddams Kriegsabsichten geliefert haben, alte Luftfotos und handgezeichnete Skizzen, wenn das alles ist, was ein Geheimdienst hat, dann kann ich mir zum Schluss auch noch vorstellen, dass die Briten unsere Karte benutzt haben".

Nach den unzutreffenden Darstellungen im Tagesspiegel fühlt sich der Kartograph nicht mehr recht wohl in seiner Haut. Er ist erbost, dass die Autorin seine kleinen Kinder ebenso erwähnte wie die in Bagdad lebende, irakische Frau seines namentlich genannten Mitarbeiters. Ein Gefährdungspotential sei jetzt nicht von der Hand zu weisen. "Mit Hilfe meiner Karten können aber keine Länder oder Städte bombardiert werden! Der Maßstab der Irak-Karte ist zu ungenau und der Stadtplan enthält keine GPS-Koordinaten oder geheime militärische Informationen", versichert er. "Dazu taugen meine Karten nicht! Die britische Armee interessierte sich nie für mich und kaufte nie direkt von mir Karten oder Daten. Vielleicht verteilten sie die Karten zur Grob-Orientierung an ihre Soldaten. Vielleicht waren sie nützlich, weil ich Kulturdenkmäler drin habe..."

Arne Rohweder, der unter "Gecko Maps" firmiert, konnte sich bisher mit seinen besonders informativen Stadtplänen, Land- und handgezeichneten Panorama-Karten von Europa und Asien einen guten Ruf erwerben. Als Kartograph interessiert ihn "die Momentaufnahme, ein geographisches, inhaltlich erläutertes Abbild der Erde". Im "Tagesspiegel" blieb dagegen gänzlich unerwähnt, dass seine "ganz normale" Irak-Karte und der Bagdad-Stadtplan wertvolle Details für Besucher enthalten. Sie sind daher besonders bei Mitarbeitern der Hilfswerke begehrt. Gänzlich haltlos sei auch die aufgeworfene Vermutung, die Vereinten Nationen druckten die Karten illegal nach.

Der "Tagesspiegel" lockte bereits auf seiner Titelseite unter dem Stichwort "Geheime Orte" mit der Karte: "Der erste Stadtplan des neuen Bagdad". Rohweders Mitarbeiter Martin, der nach dem Krieg erneut vor Ort recherchierte, war jedoch erstaunt über die geringen Zerstörungen. Er erlebte die irakische Hauptstadt fast so, wie er sie vor den Angriffen kannte. Ein "neues" und "altes" Bagdad gebe es nicht. Viel tiefgreifender seien die Zerstörungen, die man nicht sehe.

Bei dem Bericht der Berliner Journalistin handele es sich "um ein buntes Gemisch von Tatsachen, Meinungen, Sensationsgier und seltsamen Vermutungen. Die dümmlichste ist, dass die sog. Koalition unsere Karte als Grundlage für ihren Angriff benutzt haben könnte. Satellitendaten, auf denen sie auch basiert, stehen diesen Leuten in weitaus besserer Qualität zur Verfügung. Die Vermutung ist ein Witz".

Der "Tagesspiegel" ist für eine seriöse Berichterstattung bekannt. Kein Wunder, dass auch diesem Beitrag geglaubt wird. Die ersten britischen Korrespondenten meldeten bereits Interview-Wünsche bei Arne Rohweder an...

P.S. Nach Redaktionsschluss bot der "Tagesspiegel" Rohweder Möglichkeiten zur Richtigstellung an.

(4.538 Anschläge, 54 Zeilen, September 2003)