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Maoisten in Nepal

Wie sicher sind Reisen im Himalaya-Königreich?


In keinem anderen Ferienziel der Welt kommen Touristen so hautnah mit militanten Rebellen in Berührung wie in Nepal. Wie gefährlich sind die Maoisten, die das heutige China verabscheuen, für Bergwanderer? Diese Fragen stellen sich viele potentielle Nepal-Besucher. Die Antwort vorweg: Man kann immer noch gut in das Himalaya-Königreich, das zu den ärmsten Ländern der Erde gehört, reisen. Es ist dringend auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen.

Die politische Lage ist allerdings desolat. Das National-Parlament und sämtliche Regional- und Dorfverwaltungen wurden 2002 aus machtpolitischen Gründen vom damaligen Premierminister Deuba aufgelöst. Der König setzte ihn - in einer umstrittenen Aktion - wegen dessen "Unfähigkeit" ab, um ihn im Juni 2004 erneut in das Amt zu hieven! Im Juli ernannte Deuba seine neue Regierung. Solange aus Sicherheitsgründen keine allgemeinen Neuwahlen stattfinden können, hat der König laut Verfassung die letzte Macht. Die entlassenen, untereinander zerstrittenen Parteien kämpfen für ihre Rückkehr, zeitweise auch auf der Straße. Eine Perspektive auf Frieden zeichnet sich nicht ab. Die Maoisten versuchen, die Gunst der Instabilität für sich zu nutzen. Deuba, auch Verteidigungsminister, und König Gyanendra, Oberbefehlshaber der Armee, lehnen sie ab. Zu allem Überfluss ließ sich Gyanendra im Januar 2004 von indischen Hindu-Faschisten zum"Kaiser aller Hindus" ernennen. 

Und trotzdem: Touristen bekommen recht wenig davon mit. Trekker müssen den Rebellen eine "Revolutionsgebühr" von rund zwölf Euro zahlen und bleiben ansonsten weitgehend unbehelligt. Auf jeden Fall sollten sie die politische Situation ständig im Auge behalten und in Kathmandu die englischsprachige Presse verfolgen. Der Tourismus-Industrie sei geraten, nichts zu beschönigen, sondern offen mit der Situation umzugehen. Es hat sich gezeigt, dass Besucher genau wissen wollen, woran sie sind. 

Nepal ist kein Paradies, aber paradiesisch schön und insgesamt immer noch sicherer als die meisten anderen Urlaubsziele auf dieser Welt. In manchen Teilen Deutschlands ist die Gefahr, von Rechtsradikalen angegriffen zu werden, für asiatische Besucher oftmals größer.

Der "Volkskrieg"

Seit Februar 1996 verunsichern nepalische Rebellen der "Nepal Communist Party (Maoist)" das kleine Königreich. Sie nennen ihre Ideologie, die aus Marxismus, Leninismus und Maoismus besteht, nach ihrem Anführer "Prachanda-Weg" und glauben an den bewaffneten Aufstand. Der "Volkskrieg" kostete bereits über 10.000 Menschenleben. Die Maoisten, auf Nepali "Maobaadi" genannt, kämpfen für soziale Gerechtigkeit, die Gleichberechtigung der unterdrückten Volksgruppen, die Abschaffung der Monarchie und für die Diktatur des Proletariats. Die Mehrheit der Bevölkerung kann die Forderungen nach Gleichheit und Gerechtigkeit unterschreiben, eine Minderheit könnte auch ohne den König leben, aber eine kommunistische Republik möchte so gut wie niemand.

Die Masse des sehr religiösen Volkes, bitterarm und ohne Schulbildung, versteht ohnehin nicht, was die Maobaadi wirklich anstreben. Insbesondere die Landbevölkerung, rund 85 Prozent der Einwohner, hat keine Zeit für Politik. Sie muss jeden Tag hart für das reine Überleben kämpfen. Das betrifft in erster Linie die Frauen, die den Hauptanteil der Arbeit auf dem Feld und im Haus leisten. Dazu kommt heute in weiten Teilen des ländlichen Nepals die Angst:

  • Vor dem Psychoterror der Maoisten, die mit Entführung,Zwangsrekrutierung und Ermordung der männlichen Familienmitglieder drohen sowie kostenlose Verpflegung und Unterbringung erpressen.
  • Vor den tatsächlichen Gewalttaten der Maoisten, die jeden brutal ermorden, der nicht in ihre Vorstellungswelt passt. Oft werden dabei Familien und Dorfbevölkerung gezwungen, dem einzelnen Abhacken der Gliedmaßen und des Kopfes zuzuschauen.
  • Vor Polizei und Militär, die nicht weniger zimperlich vorgehen, Menschen zuhauf verschwinden lassen und jeden Verdächtigen als "Maobaadi" erschießen.

Auf dem Land und in den Städten verscherzten sich die Maoisten klammheimliche Sympathien durch eine ausufernde, mafiose Schutzgelderpressung. Das betrifft auch Hotels. Aber darüber spricht man aus Angst nicht. Zielscheibe sind vorzugsweise Luxusanlagen, an denen ganz bestimmte reiche Kasten und Klassen sowie die königliche Familie beteiligt sind. Dazu gehörendie Hotels "Annapurna", "Soaltee Crowne Plaza"und "Sherpa" in Kathmandu, "Fishtail" in Pokhara sowie "Tiger Tops"-Hotels. Wer nicht zahlt, geht das Risiko ein, sein Haus zerstört oder abgefackelt zu finden. Die Maobadi verschonen jedoch auch die kleinen Trekking-Lodges nicht. "Im Annapurna-Gebiet kassieren sie die ohnehin geringen Übernachtungsgebühren. Das ist sehr unfair", bedauert ein örtlicher Trekkingveranstalter. Die Einnahmen aus der Verpflegung "dürfen" die Betreiber behalten.

Touristen waren bisher kaum gefährdet

Im Allgemeinen droht Touristen und Bergwanderern keine Gefahr durch die "Maos". Das haben die Anführer, akademische Städter und überwiegend Angehörige der höchsten Hindu-Kasten, mehrfach öffentlich versichert. In Trekkinggebieten verlangen sie jedoch eine "Kriegssteuer". Meistens beträgt sie pro Person 1.000 Rupies (rund 12 Euros), manchmal 3.000 Rs. Im Nordwesten auf dem Weg zum Mount Kailash (in Tibet) kassieren die "local commanders" 100 US-Dollar (neuerdings auch 120 Euro), die sogar schon in Travellerschecks bezahlt werden konnten. Die"Revolutionsspende" wird höflich, aber bestimmt kassiert, entweder am Wegesrand oder bei der Übernachtung in Lodges und Zelten. Normalerweise sind die Rebellen dabei unbewaffnet, ohne Kampfanzug und von Touristen nicht zu erkennen. Verlangen sie mehr als 1.000 Rupies und erscheinen umgänglich, lohnt sich ein freundlicher (!) Versuch, zu feilschen. Gelegentlich trifft man jedoch auch auf aggressive Burschen. In solchen Fällen kam es bei Zahlungsverweigerungen vereinzelt zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, bei denen Touristen und Touristinnen auch verletzt wurden.

Politische Diskussionen scheitern meistens an der Sprache und sind nicht empfehlenswert, da die Maoisten keine Kritik dulden. Die Männer, Frauen und Kindersoldaten (!)  werden immer außerhalb ihrer Heimatregion eingesetzt. Ihr größter Zorn richtet sich aus vielerlei Gründen gegen die USA. Zur eigenen Sicherheit schadet es daher nicht zu betonen, man sei kein Amerikaner. US-Touristen selbst geben aus diesem Grund zunehmend eine andere Nationalität an.

Ob man die erzwungene Unterstützung zahlen will oder - auch aus ethischen Gründen - nicht, muss jeder für sich entscheiden. Verzichtet man deshalb auf einen Trek, leiden darunter die ortsansässigen Träger, Lodges und Teashops. Viele mussten bereits ihre Existenz aufgeben. Die - weit entfernten -Tourismusverbände und Journalisten in Kathmandu sprechen gerne von "Überfällen" und "Raub", richten mit dieser Dramatisierung jedoch nur noch größeren Schaden an.

Um als seriös zu gelten, quittieren die Maoisten die Zwangsgebühr. In der Regel haben sie einen Block mit Vordrucken dabei, vgl. TW 30, "Maoistische Spendenquittung". Organisierte Trekker bekommen nicht immer etwas davon mit, weil sich der einheimische Guide möglichst diskret darum kümmert. Individualtrekker sollten darauf achten, dass Summe und Namen eingetragen werden, um bei weiteren Kontrollen nicht erneut blechen zu müssen. Etwas bedenklich stimmt, dass die Quittungen unter Touristen zunehmend wie Trophäen gehandelt werden. Einer neuer Kick?

Im Herbst 2003, nach dem Ende eines monatelangen Waffenstillstandes, kam es allerdings auch zu einigen sehr unerfreulichen Vorfällen. Im Kanchenjunga-Massiv im äußersten Osten Nepals wurden gleich mehrere Bergsteigergruppen tatsächlich ernsthaft bedroht, überfallen und ausgeraubt. Neben Bargeld wurden Kameras, Ferngläser, Taschenlampen und Zelte gestohlen. (Ähnliche Überfälle hatte es bereits zuvor in diesem Gebiet und auf dem Weg zum Achttausender Makalu gegeben.) Die Maoisten lehnten jede Verantwortung dafür ab. Entweder haben sie ihre Fußsoldaten dort nicht im Griff oder es handelte sich umTrittbrettfahrer ("Kaobaadi").

Ebenfalls traumatisiert wurde eine deutsche Touristengruppe innerhalb des Chitwan Nationalparks im tiefgelegenen Süden. Sie mußte einen Angriff von rund 50 vermummten Maoisten auf ihre Hotelanlage (Gaida Wildlife Camp) und das Abfackeln einiger Bungalows miterleben. Zuvor waren die Urlauber rüde mit Waffengewalt aus ihren Zimmern getrieben worden, wobei einige von ihnen Kameras, Pässe und Kleidung verloren.

Mitte Mai 2004 überfielen Maoisten in Pokhara die"Fishtail Lodge", an der die Königsfamilie beteiligt ist. Sie trieben die rund 150 Gäste aus dem Luxushotel und beschädigten das Gebäude durch eine Bombe. Verletzt wurde niemand. Am 2. Juli 2004 erschossen sie den Bürgermeister, der nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollte. Pokhara ist der zweitbeliebteste Ferienort und liegt in der Mitte des Landesunterhalb des Annapurna-Massivs.

Am 16. August warf ein Radfahrer vier kleine Sprengsätze über die Mauer des Luxushotels "Soaltee Crowne Plaza" in Kathmandu. Sie landeten bei unbenutztenTennisplätzen. Niemand wurde verletzt. Das Soaltee (früher Teil der indischen Oberoi-Kette, heute des Interconti-Imperiums) liegt am Rand von Kathmandu. Die Royals sind daran beteiligt. Das Hotel schloss vorübergehend. Eine Woche später detonierte ein kleiner Sprengsatz vor dem Hotel Mallain Kathmandu - wie beim Soaltee zur Warnung. Dieses Mal gingen ein paar Scheiben zu Bruch. Es gab keine Verletzten.

Generell brauchen sich Besucher in Nepal nicht zu fürchten, wobei sich Bergtouristen als besonders unerschrocken erweisen. In Kathmandu bekommen sie vom Terror in den entlegenen Landesteilen nicht mehr mit als in Deutschland oder im Internet. In Südafrika beispielsweise geschehen im Schnitt 20.000 Morde proJahr und bei uns lauern auf der Autobahn weitaus mehr Gefahren als in Nepal (für Besucher).

In der Hauptstadt gibt es andere Probleme: Häufige und gelegentlich gewalttätige Demonstrationen, denen man unbedingt aus dem Weg gehen sollte, und "Bandhs". Dann ist alles auf Anordnung der Maoisten oder auch anderer Parteien (aus Angst) geschlossen, manchmal tagelang. Immer im Auge behalten sollte man den Februar, den Gründungsmonat der Maobaadi.

Trekking

Nepal ist in 75 Distrikte eingeteilt. Mindestens 40 davon haben die Maoisten ganz oder teilweise "befreit". Die meisten ihrer Hochburgen liegen im vom Tourismus unberührten Westen, einige im Osten. Aber sie sind auch in der Mitte des Landes, in der die wichtigsten Trekkingregionen liegen, aktiv. Am sichersten ist bislang (östlich von Kathmandu) das Everestgebiet Khumbu zwischen der Anflugpiste in Lukla und dem höchsten Berg der Welt. Der Grund: Dort ist die Armee noch stationiert und es gibt keine Fluchtwege. Maobaadi sind allerdings im unteren Teil in Solu(des Distrikts Solu-Khumbu) aktiv. Sehr viele Maoisten trifft, wer (von Jiri) ganz zu Fuß auf der klassischen Route zum Everest läuft. Trekker schwärmen von der Strecke, aber die Gefahr, in ein Kreuzfeuer zu geraten, ist nicht auszuschließen. Das gilt für alle Regionen, in denen es noch Sicherheitskräfte gibt. Haben sie jedoch ein Gebiet aufgegeben, entfällt dieses Risiko! Das betrifft beispielsweise die Trekkingwege der Rolwaling-Gauri Shankar-Regionzwischen dem Highway nach Tibet und dem Mount Everest-Gebiet(nördlicher Dolakha-Distrikt) oder Dolpo im Westen.

Uneingeschränkt beliebt sind auch weiterhin die Trekkingregionen Langtang (nördlich von Kathmandu) und Annapurna (westlich der Hauptstadt). Im Annapurna-Gebiet sind die"Maos" fast ausschließlich im unteren Teil zufinden, d.h. bis Ghandrung (Ghandruk) und Chhomrong auf dem Weg zum"Annapurna Sanctuary" und bis Ghorepani auf dem Weg nach Jomsom. Meiden sollte man vielleicht im Osten das Gebiet um den Achttausender Kanchenjunga, über den die Grenze zu Sikkim(Indien) verläuft.

Da es in Nepal nur wenige Straßen gibt und im Gebirge fast gar keine, müssen Touristen den größten Teil des Landes zu Fuß erkunden. Der Weg ist das Ziel. Grundsätzlich sollte man um jeden Soldaten einen Bogen machen und sich niemals vom Militär begleiten lassen! Man bringt sich nur in die Gefahr eines Angriffs. Die Sicherheitskräfte nehmen bewusst keine Gefangenen. Sie erschießen jede/n Nepali, der/die ihnen verdächtig erscheint. Jede/r zählt als"Maoist".

Zwischen den Fronten

Nachts kommen die Maoisten in die Dörfer und erpressen die Bewohner. Sie verlangen Geld, Nahrungsmittel und Unterkunft und nehmen "passende" Menschen zwangsweise am nächsten Morgen mit oder töten die, die sich wehren. Am Tag kommt die Armee, bezichtigt die Dörfler der Unterstützung und bringt viele ebenso willkürlich um. Treffen Soldaten auf Bauern oder Bäuerinnen bei der Feldarbeit oder beim Holzsammeln im Wald und rennen diese aus Angst weg, werden auch sie häufig erschossen, als "Maoisten". "Wegrennen" bedeutet unter den Sicherheitskräften angeblich das Eingeständnis, "Maoist" zu sein. Wer ruhig weiterarbeitet, hat größere Chancen zu überleben. So sieht der Alltag in weiten Gebieten auf dem Land, vor allem im Mittelgebirge, aus. Dessen müssen sichTouristen ständig bewusst sein.

NEPAL - Weiterführende Informationen

Erfahrungsberichte von Trekkern (mit Maoisten): www.nepal-dia.de,www.trekinfo.com, www.trekhimalayas.com; von Bergsteigern: www.everestnews.com

Stan Armington: Trekking in the Nepal Himalaya, Lonely Planet,480 S. Nepal-Karte mit eingezeichneten Distrikten (!): Nepal 1:500.000 von ArneRohweder, Reise Know-How Verlag, Bielefeld 2003.

Aktuelle Nepal-Nachrichten: www.nepalnews.com, www.nepalitimes.com

Tageszeitungen: Kathmandu Post, Himalayan Times.

Wochenzeitungen: Nepali Times, The Nation, Spotlight.Monatlich: Himal

Reiseinfos: www.welcomenepal.com, www.keepnepal.org(Trekking/Umwelt).

Einreisebestimmungen: www.immi.gov.np

Sicherheitshinweise der Außenministerien:

Deutschland: www.auswaertiges-amt.de (Länder,Sicherheitshinweise)

Telefon-Ansage: 030/5000-44446-084 (Nepal direkt),(Notfall-)Tel. 030/5000-44444 oder 5000-2000 (Sprachcomputer), Fax030/5000-51000. Trekker können und sollten sich bei der Deutschen Botschaft inKathmandu unter Angabe der Route - auch online - registrieren lassen:

www.deutschebotschaft-kathmandu.org.np/de/home/kontakt_touristen.html

Schweiz: www.eda.admin.ch/Reisehinweise, telefonischeBestellung: 031/3238484

Österreich: www.bmaa.gv.at, www.aussenministerium.at/Service,

(Notfall-)Telefon: 05011504411

Nepal - Hintergrund:

SympathieMagazine Nepal verstehen (2003), Buddhismus verstehen(2000), Redaktion: Ludmilla Tüting, Studienkreis für Tourismus und Entwicklung(Hg.), Ammerland, 60 S., www.sympathiemagazin.de. Thomas Benedikter: Krieg imHimalaya - Hintergründe des Maoistenaufstandes in Nepal. Eine politischeLandeskunde, LIT Verlag, Münster 2003, 260 S., www.lit-verlag.de

Menschenrechte/Politik:

www.amnesty.org/library/index/, www.crisisweb.org(International Crisis Group/ICG)
www. nhrc-nepal.org (Nepal Human RightsCommission)
www.insec.org.np (Informal Sector ServiceCentre human rights group)
http://nepalresearch.com (ausgezeichnete private Homepage)
www.cpnm.org; www.insof.org; www.maoism.org(Maoisten-Seiten)
www.rna.mil.np (Nepalische Armee), www.nepalhmg.gov.np(Regierung)

(15.237 Anschläge, 198 Zeilen, Oktober 2004)