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Mangroven statt Touristen und Garnelen

Die unnatürliche Naturkatastrophe


Über 300.000 Menschen starben am 26. Dezember des vergangenen Jahres durch die große Flutwelle in Süd- und Südost-Asien. Auch etwa 3.500 Touristen waren unter den Todesopfern, vor allem in Thailand. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Profiteure des Massentourismus, ihre hörigen Spitzenpolitiker und thailändische Bordellbesitzer für eine schnelle Wiederaufnahme des Tourismusgeschäfts plädieren und dazu aufrufen, jetzt erst recht nach Thailand zu reisen, um mit den Tourismuseinnahmen den Wiederaufbau mitzufinanzieren.

Doch viele betroffene Einheimische, Wissenschaftler und Umweltschützer sehen dies anders: Die vom Tsunami zerstörten Regionen brauchen kein rasches Wiederaufleben des Massentourismus, sondern neue Mangrovenwälder. "Urlaubsreisen in das Katastrophengebiet sind die beste Aufbauhilfe", diktierte der CDU-Haushalts-Experte Albrecht Feibel im Januar der Bildzeitung und setzte noch eins drauf, indem er eine Steuerbefreiung deutscher Südostasien-Urlauber vorschlug. Doch dieser Vorschlag ist genauso kurzsichtig und von Profitinteressen der Tourismusindustrie geleitet, wie die Meinung des Präsidenten des Deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verbandes (DRV). Würden die Reiseländer nach der verheerenden Flutkatastrophe jetzt auch noch von den Touristen geschnitten, so Klaus Laepple, wäre dies ein zweiter katastrophaler Schlag für die Bevölkerung.

Tatsächlich ist es aber genau anders herum. Viele der vom Tsunami betroffenen Fischerfamilien seien bereits Opfer einer katastrophalen Küstenentwicklung gewesen, lange bevor die Killerwelle zuschlug, so die Tourismusexpertin Anita Pleumarom vom Tourism Investigation & Monitoring Team (tim-team) in Bangkok. Natürlich stünden viele tausend Thailänder nun vor dem Risiko, ihre Jobs im Gastgewerbe dauerhaft zu verlieren, weshalb es wichtig sei, ihnen zu helfen, so Anita Pleumaron. "Aber es muss darauf hingewiesen werden, dass es noch viel mehr von der Flutkatastrophe betroffene Menschen gibt, die in der Fischerei und anderen Branchen gearbeitet haben." Und viele seien erst durch die Tourismusentwicklung verarmt und an den Rand geschoben worden. An "Traumstrände" geklotzte Touristenressorts mit Süßwasser-Pools und Luxushotels mit Tennis- und Golfplätzen kreierten zwar einige Billigjobs für Einheimische. Andere aber, die zuvor an diesen Stränden lebten und durch Fischfang oder nachhaltige Nutzung der Mangrovenwälder ein Auskommen fanden, verlören im Gegenzug mehr als nur einen Job. Sie verlören Haus und Hof, ihre Existenz und den Schutz vor den Naturgewalten.

Tourismus verschlimmerte die Auswirkungen des Tsunami

Es sei wachsender Konsens unter Wissenschaftlern, Umweltschützern und Asiens Fischergemeinden, so der Autor John Vidal in der britischen Tageszeitung The Guardian, dass die Auswirkungen des Tsunami durch Tourismus, Garnelenzuchtfarmen und andere industrielle Entwicklungen erheblich verschlimmert wurden. Denn sie haben die Mangrovenwälder, Küstendünen, Korallenriffe und Seegrasgebiete zerstört oder soweit degradiert, dass diese kaum noch Schutz vor der großen Flutwelle bieten konnten. Nicht anders sieht es Jeff McNeely, Südostasien-Experte und Wissenschaftler der Weltnaturschutzunion (IUCN). Die am schlimmsten verwüsteten Gebiete an Thailands Andaman-Küste, vor allem Phuket, Phang Nga und die Krabi-Provinz, hatten als Folge einer rücksichtslosen Küstenentwicklung keinen natürlichen Schutz mehr. Insgesamt wurden in den vergangenen dreißig Jahren rund 80 Prozent der Mangrovenwälder an Thailands Ostküste zerstört, so John Pernetta, Projektdirektor der Umweltbehörde der Vereinten Nationen (UNEP).

Mangroven sind Bäume mit Stelzwurzeln, die in der Gezeitenzone zwischen Meer und Land gedeihen. "Sie sind extrem wichtig, weil sie eine effektive Barriere gegen jede Art von Welle bilden", erklärt John Pernetta. "Mangroven nehmen den Wellen die Energie." Während der Wald selbst von der Welle zu "Kleinholz" werde, schütze er das Land und die Gebäude dahinter, wie beispielsweise in der Provinz Ranong. Dort noch vorhandene Mangrovengürtel schützten einige der Fischerdörfer wie Tha Klang vor der Kraft der Killerwelle. Zwar haben auch dort die Fischer ihre Boote verloren, aber keines ihrer Häuser. Dies bestätigt Maitree Duangsawasdi vom thailändischen Ministerium für Meeres- und Küstenressourcen. "Die Mangroven in Ranong und Phang Nga retteten Hunderten von Menschen das Leben." Die Erfahrungen decken sich mit denen in den anderen betroffenen Ländern wie Indien (16.000 Tote) und Sri Lanka, wo etwa 45.000 Menschen starben.

So meldete das Mangrove Action Project (MAP) - ein Netzwerk von rund 400 Nichtregierungsorganisationen und über 250 Wissenschaftlern, die sich in 60 Ländern mit dem Schutz und der Erforschung der Mangroven beschäftigen -, dass in den überfluteten Gebieten von Pichavaram und Muthupet dichter Mangrovenwald zu geringen menschlichen Verlusten und zu geringen Schäden an der Infrastruktur führte. "Gebiete mit Mangroven hatten die geringsten Zerstörungen zu erleiden, wie auf den Andamanen oder Nicobar-Inseln zum Beispiel, wo an vielen Stellen noch Mangrovenwälder und Korallenriffe intakt sind. Wenn sie nicht da gewesen wären, hätte es viel schlimmer kommen können", ist sich der Umweltschützer Debi Goenka von der Bombay Environmental Action Group sicher.

Aceh-Küste war übersät von Shrimp-Farmen

Auch in dem Land, das die meisten Flutopfer zu beklagen hat, trägt der Kahlschlag der Mangroven eine beträchtliche Mitschuld an der Tragödie. Wie selbst der indonesische Forstminister Malam Sambat Kaban zugeben musste, hat Indonesien nämlich in den vergangenen Jahrzehnten rund 650.000 Hektar seines grünen Schutzgürtels - 30 Prozent seiner gesamten Küstenwälder - abgeholzt. Besonders betroffen von der Mangrovenvernichtung: Die Sumatra-Provinz Aceh, wo ein Großteil der Küstenlinie schon vor dem Tsunami durch zahlreiche Shrimp-Farmen degradiert und Sturmfluten schutzlos ausgeliefert war. Viele Menschen bezahlten am 26. Dezember für diesen Umweltfrevel mit ihrem Leben. Die einstige Mangrovenfläche Acehs wird auf 60.000 Hektar geschätzt, so Ben Brown, MAP-Koordinator in Indonesien. Heute ist nur noch etwa ein Sechstel, 10.000 bis 12.500 Hektar, davon übrig. Die meisten Küstenwälder der Provinz wurden Ende der 1980er Jahre vernichtet, um Devisen bringende Garnelen-Zuchtteiche, so genannte Aquakulturen, und Ölpalm-Plantagen anzulegen. Sowohl Palmöl als auch die Shrimps (Garnelen) sind in den Industriestaaten begehrte Importwaren, weshalb deren Produktion auch durch Entwicklungsorganisationen und Kreditinstitute seit Jahren in möglichst vielen tropischen Staaten gefördert wurde.

Schließlich ging es darum, durch ein möglichst großes Angebot, die Preise so niedrig wie möglich zu halten. Die auf Exporteinnahmen - für den Schuldendienst - angewiesenen Länder der "Dritten Welt" gerieten damit in einen Abwärtsstrudel, der sie zwang, immer mehr Shrimps und noch mehr Palmöl zu produzieren, was die Aufkäufer aus den Industriestaaten leidlich ausnutzten, um die Preise noch weiter zu drücken. Das Ergebnis dieser "Geiz ist Geil-Mentalität" europäischer, japanischer und US-amerikanischer Konzernmanager und Konsumenten, denen intakte Ökosysteme und Küstenschutz in den fernen Tropen offensichtlich gleichgültig sind, sieht man zum einen in jedem Supermarkt in Deutschland, wo die tropischen Garnelen in allen Kühltruhen billigst auf Käufer warten, und zum anderen vor Ort in den Flutkatastrophengebieten Südostasiens, wo Hunderttausende starben. Erst 2003 hatte Indonesiens Ministerium für Fischerei in Nordsumatra bekannt gegeben, man wolle die Shrimp-Produktion demnächst mehr als verzehnfachen, um mit dem größten Shrimp-Exporteur Asiens, Thailand, zu konkurrieren, selbst wenn es die Abholzung von 800.000 Hektar Mangroven kosten sollte - einem Drittel des restlichen Küstenwaldes Indonesiens. "Die Konsumenten der Zuchtgarnelen in den reichen Nationen sind Schuld an der Vernichtung der Mangrovenwälder und anderer Küstenpuffer, die so viele Menschen vor der Raserei des Tsunami hätten schützen können", zieht der langjährige MAP-Direktor Alfredo Quarto nüchtern Bilanz. Doch auch Regierungen, Shrimp- und Tourismusindustrie sowie Finanzinstitutionen wie die Weltbank trügen eine Schuld an den Tausenden von Toten. Neben der so wichtigen Schutzfunktion stellen diese einmaligen Waldökosysteme - wenn man sie denn intakt ließe - eine ebenso nachhaltig sprudelnde Einkommens- und Jobquelle dar. Mangrovenwälder liefern nicht nur Waldprodukte wie Honig, Holz, Tannin, Medizinpflanzen und Wildfleisch. Als wichtigste Kinderstube zahlreicher Fischarten bringen sie der nachhaltigen Küstenfischerei auch bares Geld ein. Etwa 10.000 US-Dollar jährlich je Hektar, so schätzen die Experten des MAP. "Mangroven sind der Supermarkt für die Menschen an der Küste", sagt der thailändische MAP-Mitbegründer Pisit Charnsnah.

Ein grüner Schutzgürtel wäre am sinnvollsten

Statt nun - wie die thailändische Regierung - den schnellstmöglichen Wiederaufbau des Tourismusgeschäfts und der Garnelenzuchtfarmen anzukurbeln, halten Ökologen die Wiederherstellung des grünen Schutzgürtels für die langfristig sinnvollste Aufbaumaßnahme. Der nächste tropische Wirbelsturm mit meterhohen Wellen, vielleicht auch der nächste Tsunami stehen bereits in den Startlöchern. Einheimische Wissenschaftler wie Anuchat Poungsomlee von der Universität Mahidol oder Bancha Pongpanich, Koordinator des Gemeindeentwicklungsprojekts von Pattana Chumchon Pen Suk in Thailand, sprechen sich dafür aus, die Flutkatastrophe für eine Pause, eine Bedenkzeit zu nutzen. "Schneller Wiederaufbau könnte zu einer anderen Art von Desaster führen", warnt Anuchat Poungsomlee. "Aus der Sicht eines Ökologen ist das Unglück ein Signal, dass es Zeit ist für die Natur, sich auszuruhen." Die Regierung sollte nicht zu ihrer Entwicklungsstrategie zurückkehren, die auf das schnelle Geld aus der Reiseindustrie fokussiert ist. Auch nach Ansicht der Tourismusexpertin Anita Pleumarom mache es einfach keinen Sinn mehr, weiterhin auf dieses wankelmütige Geschäft namens Tourismus zu setzen.

Die gebürtige Deutsche: "In der Mitte von Tod, Verwüstung und Chaos, warum können die betroffenen asiatischen Länder nicht wenigstens eine Pause vom Tourismus einlegen?" Jetzt nach der Soforthilfe sei eine vollständige Bestandsaufnahme der mehrdimensionalen Auswirkungen und Ursachen der Katastrophe notwendig. Ob der Tourismus eine richtige Wahl für den Wiederaufbau darstellt, sollten dann die betroffenen, lokalen Gemeinschaften entscheiden - und nicht ferne Zentralverwaltungen und Manager von außerhalb, die bereits jetzt mehr Schaden als Nutzen angerichtet haben, indem sie eine Tourismusentwicklung um jeden Preis erzwangen. Weitere Informationen: tourism investigation & monitoring team (tim-team), P.O. Box 51, Chorakhebua, Bangkok 10230, Thailand, timteam02@yahoo.com, www.twnside.org.sg/tour.htm Alfredo Quarto, Executive Director, Mangrove Action Project, PO Box 1854, Port Angeles, WA 98362-0279, USA, Tel./Fax 001-360/452-5866, mangroveap@olympus.net, www.earthisland.org/map/map.html Phuket Action Plan, www.world-tourism.orgwww.mangroverestoration.com, Ben Brown map-indo@dps.centrin.net.idwww.workers.org/ww/2005/tourism0113.php

(11.235 Anschläge, 135 Zeilen, März 2005)