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Kurzfristige Gewinne, verpasste Chancen

Wie Kleinhändler in Südafrika von der Fußballweltmeisterschaft 2010 profitierten


Landesflaggen auf Kühlerhauben und an Auto-Seitenspiegeln, Makarapas (verzierte Plastikhelme) und Vuvuzelas (trompetenähnliche Blasinstrumente aus Plastik – sie erzeugen dieses einmalige Hintergrundgeräusch im südafrikanischen Sport bzw. für einige Nicht-Südafrikaner ein unerträgliches Getöse): All dies gab es an scheinbar jeder Straßenecke von Johannesburg, Durban, Kapstadt und allen anderen Städten in Südafrika zu kaufen. Mitte 2010, zur Zeit der Fußballweltmeisterschaft, war das "schöne Spiel", das da gespielt wurde, mehr Geldmacherei als Fußball.

Wir fragten uns, ob die WM 2010 zwischen all dem Hype, den Versprechungen, den Bildern und Träumen Kleinhändlern bzw. informellen Geschäften geholfen hat zu expandieren, auf der wirtschaftlichen Leiter nach oben zu klettern oder in formelleren Strukturen zu arbeiten, sofern sie dies wollten. Oder war es nur ein flüchtiges Ereignis, das vielleicht Gewinne brachte, aber keine bleibenden Wirkungen hatte? Im Vorfeld der WM war den Südafrikanern eingetrichtert worden, hier würde sich viel Geld verdienen lassen. Die Erwartungen waren hoch und trafen unweigerlich auf die Realität, die dahinter zurückfiel – allerdings nicht vollständig.

Unsere Untersuchungen in der Provinz Gauteng zeigen, dass die WM – trotz der erheblichen Macht der FIFA, der es gelungen war, nichtregistrierte Händler von den Austragungsorten fernzuhalten – zu höheren Gewinnen führte und auf einige Geschäfte durchaus auch positive Auswirkungen hatte. Die meisten Händler gaben das Geld zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation aus, indem sie Schulden abzahlten, neue Waren einkauften oder indem einige sogar neue Mitarbeiter einstellten. Allerdings taten sie dies im Wesentlichen in eigener Regie, ohne dass sie dabei unterstützt wurden.

Erfassbare Kosten, nicht greifbarer Nutzen

Theoretisch bieten Großereignisse wie die Fußball-WM den gastgebenden Städten die Chance, sich auf der Weltbühne zu präsentieren und die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Infrastruktur zu beschleunigen. Es besteht die Chance, Arbeitsplätze zu schaffen, allgemein die Lebensqualität zu verbessern sowie langfristige Investitionen und Wirtschaftswachstum anzuregen.

In Südafrika gab die Regierung für die Ausrichtung des Ereignisses 2010 eine Summe von mehr als einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Als schließlich in einem Bericht bestätigt wurde, dass die WM umgerechnet ca. 2,7 Milliarden Euro gekostet hat, führte die Regierung zugleich den "immateriellen" Nutzen an. Mit der Vorstellung, dass Imagevorteile oder anderer immaterieller Nutzen (der definitionsgemäß nicht messbar ist) die tatsächlichen Kosten bei weitem übersteigen, weicht man auf bequeme Weise aus, wenn eine Kosten-Nutzen-Analyse nicht möglich ist. Die Fußball-WM 2010 scheint dank der schönen Spiele und der Begeisterung der Fans als Erfolg zu gelten – und trotz, nicht wegen der FIFA.

Auswirkungen auf Straßenhändler und kleine Geschäfte

In einer Feldstudie des Gauteng City-Region Observatory untersuchten wir die kurz- und längerfristigen sozio-ökonomischen Auswirkungen der WM auf Händler am unteren Ende des Marktspektrums: Straßenhändler, Verkäufer von Kunsthandwerk und Imbissverkäufer im informellen Sektor sowie Betreiber kleiner Lokale, Anbieter von einfachen Unterkünften in den Townships und Township-Reiseleiter im eher formalen Bereich.

In Südafrika ist der informelle Sektor nicht die unvermeidliche wirtschaftliche Heimat der Ungebildeten oder kaum Gebildeten, die woanders nicht unterkommen. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit ist es vielmehr ein Raum, den sowohl mehr als auch weniger Gebildete zwangsläufig gleichermaßen besetzen.

Die WM hatte kurzfristig positive wirtschaftliche Auswirkungen auf die Händler. Sie ermöglichte den meisten, die sich an unserer Umfrage beteiligten, eine Verdreifachung ihres Einkommens – kurz vor und während der WM. Das monatliche Durchschnittseinkommen lag pro Befragtem normalerweise bei 3.457 Rand (ca. 350 Euro). Doch im Monat der WM stieg es auf 9.834 Rand (ca. 1.000 Euro). Insgesamt machten einerseits 41 Prozent der Befragten mehr Gewinn, als sie erwartet hatten – andererseits machten 45 Prozent weniger Gewinn als erwartet. Einer von sieben hat seit der WM neue Mitarbeiter eingestellt, was ein Hinweis darauf ist, dass die WM einigen Geschäften geholfen hat, zu wachsen.

Bei 75 Prozent der Reiseleiter erhöhten sich die monatlichen Gewinne drei Monate vor der Fußball-WM. Das macht die wirtschaftlichen Vorteile des Tourismus für kleine und sehr kleine Unternehmen deutlich, gefolgt von den Eigentümern von Kneipen und kleinen Restaurants mit 70 Prozent, mehr als der Hälfte der Snack-Verkäufer (58 Prozent), Straßenhändler (56 Prozent), Verkäufer von Kunsthandwerk (55 Prozent) sowie Pensionsbesitzer (27 Prozent).

Doch die steigenden Gewinne hatten Magnetwirkung. Sie zogen neue Marktteilnehmer an, die zum Teil die früheren verdrängten. In Folge der Marktsättigung sanken die Gewinne im Laufe der Zeit wieder. Während man die Händler normalerweise nur an großen Straßenkreuzungen, Bahnhöfen u.ä. findet, zog die WM auch Händler aus ländlichen Gebieten und aus Nachbarländern an. Sie verhalf einigen dazu, von schlecht bezahlten Jobs wegzukommen, so dass an wirklich jeder Ecke in Johannesburg etwas verkauft – und gekauft – wurde.

Die Gewinnspritze hielt allerdings nur kurze Zeit an. Bereits fünf Monate nach der WM, im November 2010, waren die Gewinne wieder um zwei Drittel gesunken. An diesem fragilen Ende der Wirtschaft könnte man erwarten, dass nach kurzfristigen Gewinnen die "Erwartungen versus Realität"-Formel unter den Befragten zu einem größeren Pessimismus führen würde. Doch weit gefehlt! In unserer letzten Befragungsrunde Ende 2011 stellten wir fest, dass die Zukunftserwartungen der Straßenhändler in Hinblick auf ihre Geschäfte höher waren als vor Beginn des WM-Spektakels. Dies scheint alles andere als naheliegend zu sein. Warum dieser Optimismus?

Die Antwort liegt zum Teil im wirtschaftlichen Verhalten der Befragten. Der überraschende Gewinn durch die WM scheint sinnvoll ausgegeben worden zu sein: zur Ausweitung der Geschäfte (Nachkauf von Waren, u.ä.) und zur Verbesserung der Lebenssituation (Abzahlung von Schulden, Bezahlung von Schulgebühren für die Kinder, etc.). Zum Glück gaben mindestens 36 Prozent auch etwas Geld dafür aus, sich das Spektakel anzuschauen.

Probleme und Hindernisse

Als eines der größten Probleme wurden die Verordnungen und Vorschriften der FIFA genannt. Verkäufer von Snacks, Getränken, Flaggen etc. verkaufen ihre Waren für gewöhnlich möglichst nah an den Sportstadien – doch plötzlich wurden sie von dort verbannt.

Ortsansässigen Händlern war es nicht erlaubt, Waren oder Snacks innerhalb von 1,5 km um ein Stadium herum zu verkaufen, wo ein Spiel stattfand. Um innerhalb dieses Radius etwas zu verkaufen, musste man eine Gebühr von 60.000 Rand (über 6.400 Euro), an die FIFA zahlen. Kleine und mittlere Unternehmen wurden nicht als Partner in diesem "großartigen Spiel" angesehen oder als solche behandelt und es wurden aberwitzige Gebühren verlangt, die sie sich unmöglich leisten konnten. Pensionen, die sich nicht angemeldet hatten, waren über die offiziellen Kanäle nicht zu buchen.

Auch Schikanen durch die Polizei standen ganz oben auf der Liste der negativen Erfahrungen. Ihr informeller Status, die Tatsache, dass sie keiner Gewerkschaft angehörten und keine andere Unterstützung hatten, sowie ihre meist prekärere sozio-ökonomische Lage machten kleine und sehr kleine Unternehmen sehr anfällig für Schmiergeldforderungen und Schikanen durch die Polizei.

Vertane Chancen

Es ist keine Frage, dass dieser empfindliche Wirtschaftsbereich von der WM profitiert hat. Die Wertschätzung für verbesserte Straßen, Gehsteige (die für Straßenhändler von zentraler Bedeutung sind), öffentliche Toiletten, etc. ist im Laufe der Zeit gestiegen. Doch bleibt die Frage, wie viel mehr er hätte profitieren können.

Die Regierung (auf lokaler wie auch auf Provinzebene), das lokale Organisationskomitee, die FIFA u.a. hätten dem informellen Sektor und kleinen und mittleren Unternehmen helfen können, innovativer zu werden und ihre Produktpalette zu diversifizieren. Die FIFA und die Regierung boten zwar Trainings- und Unterstützungsworkshops an, doch die fanden meist an zentralen Orten statt. Nur sehr wenige der Händler konnten daran teilnehmen. Denn Straßenhändler können es sich nicht leisten, ihren speziellen angestammten Standort zu verlieren. Wenn die Fortbildungsmöglichkeiten hingegen zu den Händlern gebracht worden wären, hätte es anders aussehen können. Nun aber war man wieder beim Status Quo von vor der WM.

Hart arbeiten, sich fortbilden, Warenbestände planen, Geld sinnvoll ausgeben

Regierungen – sowohl die südafrikanische als auch die brasilianische als Gastgeber der Fußball-WM 2014 und der nächsten Olympischen Spiele – sollten daraus lernen, dem informellen Sektor und kleinen und mittleren Unternehmen sehr viel mehr Weiterbildungen und Trainings anzubieten und diese zu den Händlern zu bringen. Zu den Ratschlägen, die die südafrikanischen Händler den brasilianischen mit auf den Weg geben würden, gehört: arbeitet hart, bildet euch fort, plant eure Warenbestände (vermeidet zu viele Waren einzukaufen oder den Verkaufspreis zu hoch anzusetzen), vermarktet euch selbst und meldet euer Geschäft an. Die meisten dieser Ratschläge sind positiv. Einige negative gibt es auch, wie die Begrenzung des Einflusses der FIFA. Denn für die Menschen an diesem Ende des Marktspektrums ist die FIFA eher Teil des Problems als Teil der Lösung – wenngleich sie das Vehikel gewesen sein mag, das die WM und die Touristen ins Land gebracht hat.

Professor David Everatt ist Direktor des Gauteng City-Region Observatory (GCRO), einer Partnerschaft zwischen der Universität Johannesburg (UJ), der Universität von Witwatersrand, Johannesburg (Wits) und südafrikanischen Regierungsinstitutionen auf Provinz- und Kommunalebene.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(9.659 Zeichen, Juni 2014)