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Kulturschock Deutschland

Erfahrungen und Tips für Reisende aus dem Süden... Ein Kubaner erzählt


Bei meinem letzten Deutschlandbesuch fiel mir ein kleines Buch mit dem Titel "Reisen mit Respekt"* in die Hände. Das Büchlein möchte durch zahlreiche Ratschläge einen verantwortlichen Tourismus bewirken und richtet sich hauptsächlich an deutsche Ferntouristen.

Unter anderem ist folgende Empfehlung zu lesen: "Wir lieben Wärme und Sonne. Dies gibt aber niemandem das Recht, in Strandkleidern durch Städte und Heiligtümer zu bummeln". Beiden Geschlechtern wird geraten, sich angemessen anzuziehen: "Männer sollten nicht in Unterhemden herumlaufen" und "Orientieren sie sich an dem, was einheimische Frauen tragen". Im Spanischen gibt es dazu ein altes Sprichwort: "Wo Du auch hingehst, tu was Du siehst".

Ein weiterer Ratschlag lautet: "Mit guter Vorbereitung kann man ein Reiseziel besser verstehen und deshalb mehr erleben". So falle es leichter, die andere Kultur zu verstehen und möglichst viel von ihr zu lernen.

Ich vergleiche gerne die Kulturunterschiede zwischen meiner Heimat Kuba und Deutschland, das ich schon oft besucht habe. Ich kam zu folgender Erkenntnis: Wenn die Temperaturen in der Bundesrepublik im Jahresdurchschnitt bei 25 Grad anstatt bei neun Grad lägen oder es wie in Kuba 330 Sonnentage im Jahr gäbe, dann wären die Deutschen sicher lieber Kubaner. Denn das Klima bestimmt alles - oder zumindest fast alles.

Im folgenden werde ich von den Erfahrungen meines letzten Berlin-Besuchs erzählen und versuchen, einige Tips für eine kubanische Version von "Reisen mit Respekt" zu geben.

An allen sieben Tagen meines Aufenthaltes fiel die Temperatur nicht unter 29 Grad und erreichte an einem regelrecht mörderisch heißen Tag sogar 33 Grad. Auf den Straßen konnte man deutsche Männer mit nacktem Oberkörper beobachten. Einige riefen den Frauen sogar Komplimente hinterher und blickten ihnen lange nach.

Bei Hitze drehen alle durch.

Erster Tip

Sollten Sie zufällig während einer Hitzewelle nach Deutschland reisen, bringen Sie Ihren eigenen Ventilator oder ihre eigene Klimaanlage mit. Denn niemand dort investiert in eine Sache, die er lediglich 15 Tage im Jahr nutzen kann.

Zweiter Tip

Wenn Sie im Winter kommen, gehen Sie nicht in Shorts oder kurzärmeligem Hemd aus dem Haus. Sie holen sich sonst eine Lungenentzündung.

Wir wurden auf zwei Partys eingeladen: Eine Geburtstagsfeier und eine Abschiedsparty für eine Person, die endgültig nach Brasilien gehen wollte und nur von Stränden und Sonne sprach.

Bei der ersten Feier wurde insgesamt sechs Stunden lang geredet und geredet. Die zweite Feier mußten wir um 22 Uhr abbrechen, weil sich ein Nachbar beschwerte, der nicht schlafen konnte.

Dritter Tip

Seien Sie respektvoll!!! Gehen Sie den Leuten nicht auf den Nerv, die sich (nur) unterhalten wollen. Tanzen belästigt die Nachbarn, die einen Stock tiefer oder nebenan wohnen. Wenn Sie tanzen wollen, warten Sie, bis Sie wieder zu Hause sind. Denn man muß sehr viel Glück haben, um in Deutschland auf das eine Prozent der Bevölkerung zu treffen, das gut tanzen kann.

Einer der Kulturunterschiede liegt im Ritual bei Einladungen zum Essen. In Kuba drängen wir: "Pepe, bleib noch zum Essen!". Pepe würde ablehnen: "No, no, vielen Dank!!". Wir bestehen darauf: "Aber Junge, natürlich bleibst Du noch!", worauf Pepe wieder abwehrt: "No, no, das geht auf keinen Fall. Macht Euch keine Umstände". Dieses Spiel geht noch eine Weile so weiter.

Manchmal will der Gastgeber aber auch gar nicht, daß der andere bleibt. Und derjenige, der ablehnt, hat in Wirklichkeit einen Riesenhunger...

Am ersten Tag, nach langen Konferenzen und mageren Mahlzeiten, gingen meine kubanischen Delegationskollegen direkt zu ihren Privatunterkünften. Es war schon spät am Abend. Ihre Gastgeberin fragte, ob sie zu Abend essen wollten. Leider sagten sie in Erwartung einer Fortsetzung des Rituals "nein" - so bekamen sie halt nichts! Sie können sich vorstellen, wie das "Jaaaaa" ausfiel, als sie am nächsten Morgen gefragt wurden, ob sie frühstücken wollten.

Ich war glücklicher dran, weil die Frau, die mich beherbergte, eine Freundin hat, die Kubanerin ist und schon seit 30 Jahren in Berlin lebt. Besorgt fragte sie diese um Rat, weil ich tatsächlich nicht hungrig war. Sie befürchtete, ich sei krank oder mit irgendetwas unzufrieden. Die Kubanerin riet ihr: "Frag ihn nochmal, und nochmal und immer wieder!!!"

Vierter Tip

Lassen Sie in Deutschland alle Rituale sausen! Wenn Sie etwas wollen, sagen Sie einfach nur "Ja!".

Während der ganzen Woche, die ich in der deutschen Familie war, kamen die Nahrungsmittel aus dem Kühlschrank.

Fünfter Tip

Wenn Sie Bohnen und Reis essen wollen, packen Sie in Kuba einen Vorrat ein. Oder denken Sie nicht dran und genießen ihre Reise.

Am zweiten Tag nahm mich der Sohn des Hauses bei drückender Hitze mit an den "Strand". Es war ein wunderschöner See!! Ich sprang hinein, um mich zu erfrischen. Aber kaum war ich im Wasser, dachte ich, ich würde wegen der unerträglichen Kälte zu einem Eisblock erstarren.

Sechster Tip

Bringen sie einen Tauchsieder mit, wenn Sie an deutschen Stränden baden wollen!!! Und wenn Sie nicht baden, dürfen Ihre Erzählungen über die 27 Grad warmen kubanischen Gewässer keine Frustrationen bei den Einheimischen auslösen.

Zurück vom Strand berichtete ich den anderen Kubanern von meinen Erfahrungen und von schönen Frauen. Der Delegationsleiter (wir waren nur zu dritt, der Chef, die Übersetzerin, die seine Frau war, und ich) wollte mir in nichts nachstehen. Eigentlich mehr im Spaß sagte er, er wolle auch zu dem See. Die Deutsche, die uns begleitete, wußte aber nicht so recht, wo das gewesen sein sollte. Sie brachte uns, wahrscheinlich irrtümlich, an einen FKK-Strand.

Das erste, was wir sahen, war ein sehr alter, nackter Herr. Aufgrund der Werbung, die wir gelegentlich heimlich betrachtet hatten (wegen des Verbots durch Kirche, Partei und Familie), wäre es uns nie in den Sinn gekommen, daß sich auch alte Leute nackt ausziehen. Somit wußten wir nichts über die Schönheit nackter Greise.

Wir fingen an zu lachen, anfangs aus Nervosität, aber je mehr wir uns an den "deutschen Strand" gewöhnten, desto hemmungsloser. Dem Chef empfahl ich den Anblick einer besonders rassigen Blondine. Die Augen der Übersetzerin lenkte ich auf einen jungen Mann, der auf seinen Händen lief und die Beine in den Himmel streckte. Diese Scherze hätten fast zu einer Scheidung geführt.

Wir sind nicht sehr groß, sprachen aber (sehr laut) in einer anderen Sprache und lachten über jede Kleinigkeit. Wir haben eine andere Hautfarbe, konnten in dem eiskalten Wasser nicht baden und waren zudem bekleidet.

Vorletzter Tip

Wenn Sie aus "Neugierde" an einem FKK-Strand sonnenbaden, seien Sie bitte!!! so rücksichtsvoll und ziehen sich aus!!!

Letzter Tip (für alle)

Seien Sie tolerant und offen. Versuchen Sie nicht, den Völkern, die Sie besuchen, Ihre Kultur aufzudrücken, nur weil Sie sie für besser halten.

Seien sie tolerant und offen. Akzeptieren Sie die Andersartigkeit derer, die Sie besuchen. Bemühen sie sich um Ausgewogenheit.

* "Reisen mit Respekt", Hrsg. TOURISM WATCH in Kooperation mit dem "forum anders reisen", vgl. TW 24

(7.165 Anschläge, 120 Zeilen, Dezember 2001)