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Kulturerbe ohne Menschen?

Leben in den Ruinen von Hampi


Die ersten Häuser rund um den Basar sind abgerissen worden. Es gibt Gerüchte, dem gesamten Ort drohe das gleiche Schicksal. In Hampi, dem kleinen Ort im Norden des indischen Bundesstaates Karnataka, unweit von Goa, leben seit drei Generationen Familien, die eine größtenteils sehr einfache touristische Infrastruktur anbieten. Müssen sie weichen, dürfte dies einen Aufschwung für den Nachbarort inklusive der größeren Hotels bedeuten.

Hampi wurde in den 1970er Jahren von reisenden Hippies "entdeckt" und hat sich mittlerweile zu einem wichtigen Etappenort auf der klassischen Traveller-Route entwickelt. Viele Reisende bleiben viel länger als geplant und genießen die einzigartige Landschaft und die Ruinen, die 1986 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden. Die Tempel von Hampi sind eingebettet in eine Landschaft, in der sich große, wie zufällig aneinander geschachtelte Steinblöcke auf den Hügeln mit Reisfeldern und Palmen abwechseln. Hampi war nicht nur Hauptstadt des Vijayanagara-Reiches vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, sondern hat auch große Bedeutung in der indischen Mythologie. Hier wurde der Affenkönig Hanuman geboren, der später mithalf, Ramas Frau Sita aus Sri Lanka zu befreien – so erzählt es das "Ramayana", eines der großen indischen Nationalepen.

Der Erfolg von Hampi liegt auch an der regen Guesthouse- und Restaurantkultur, die sich hier entwickelt hat. Mit den Touristen ist auch der über Jahrhunderte ruhige Ort wieder neu belebt worden. Kleinunternehmer aus ganz Indien und aus der näheren Umgebung haben sich angesiedelt und ihre Geschäfte eröffnet. Ganze Restaurant-crews mieten sich für eine Saison ein und schneiden ihre Angebote ebenso geschickt wie geschäftstüchtig auf die westliche Travellerkultur zu.

Drohender Abriss

Wie lange diese scheinbare Idylle Bestand haben wird, ist derzeit fraglich. Im August 2011 wurde eine Häuserreihe, die vor dem historischen Basar gebaut wurde, von den lokalen Behörden nahezu ohne Vorwarnung abgerissen. Viele befürchten, dass der ganze Ort zerstört werden soll.

Tatsache ist, dass nicht alle Unternehmen eine lokale Basis haben. Manche haben sich in den Basarruinen ohne Genehmigung eingenistet und betreiben dort ihre Geschäfte. Andere erhielten eine Lizenz vom lokalen Dorfoberhaupt, die aber von den Behörden nicht unbedingt akzeptiert wird. Der Ort Hampi Basar hat sich von selbst entwickelt und ausgebreitet, obwohl eine gesetzliche Grundlage fehlt. Eine Post, einen Arzt oder Geldautomaten sucht man hier vergeblich.

Wer hinter den Vertreibungsplänen steckt, ist für den lokalen Aktivisten Surendra Kumar ein großes Geheimnis. Offensichtlich scheint ihm, dass die für Archäologie und den Schutz des nationalen Kulturerbes zuständige Organisation "Archaeological Survey of India" kein Interesse an den Menschen hier hat, sondern nur die Ruinen für sich stehen lassen will. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass die Hotelindustrie aus dem naheliegenden Hospet hinter diesen Entwicklungen stecke. Hampi soll seinen Status als Billigdestination verlieren und Gäste mit mehr Geld anziehen. Für Surendra hingegen sind die Rucksacktouristen Freunde: "Sie haben den Ort so, wie er jetzt ist, mitgeprägt, bringen wertvolle Einnahmen für die lokale Bevölkerung und haken nicht nur die einzelnen Sehenswürdigkeiten ab, sondern sind auch an einem Austausch interessiert".

Unsichere Zukunft

Die Stimmung im Ort hat etwas Trauriges. Händler und Restaurantbetreiber erzählen, dass sie in der kommenden Saison nicht wiederkommen werden. Die kleinen Händler entlang des Hauptbasars werden von der Kommunalverwaltung aufgefordert, ihre Häuser in den alten Ruinen zu verlassen und in ein sechs Kilometer entferntes Dorf zu ziehen. "Ich will aber nicht gehen", heißt es immer wieder. "Wovon soll ich dort leben?" Diese Stimmung spiegelt sich auch bei manchen Reisenden. "Nächstes Jahr ist alles vorbei", meint ein englischer Tourist.

John Fritz und George Michell besuchen als Archäologen das Gebiet seit über 30 Jahren. Ihre Bücher sind Standardwerke zu Hampi und die lokale Bevölkerung bringt ihnen großes Vertrauen entgegen. "Was ist ein Kulturerbe ohne Menschen?", fragen sie. Viele Familien wohnen hier seit Generationen und haben Angst, ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Auch die beiden Architekten fühlen sich machtlos.

Für Außenstehende ist es nahezu unmöglich, einen genauen Einblick in die zahlreichen Akteure und Verflechtungen vor Ort zu bekommen, und auch die UNESCO verhält sich auffällig ruhig. Doch nun haben sich die Dorfbewohner zu einem bedeutenden Schritt entschlossen. Sie haben sich einen Anwalt genommen und sind vor Gericht gegangen. Man sollte meinen, ein laufendes Gerichtsverfahren würde weitere Abrissaktionen vorerst stoppen. Für Surendra ist dies nicht so eindeutig. Für ihn ist das kommende Jahr genauso unvorhersehbar wie die lokalen Behörden, die manchmal auf eigene Faust handelten.

Mitte Februar neigt sich die Saison langsam dem Ende zu, während die Tage immer heißer werden. Ob die Bevölkerung bleiben kann, ist derzeit völlig offen. Ob es in diesem Konflikt tatsächlich um die Erhaltung und den Schutz von Bauwerken geht oder in erster Linie um die Neupositionierung der Tourismuswirtschaft, ist nicht eindeutig zu klären. Noch besteht die Chance, dass die alten Basarruinen mit den kleinen Geschäften weiter lebendig bleiben. Doch Investoren und Hotelindustrie stehen wohl schon in den Startlöchern.

Weitere Informationen: Stellungnahme der indischen Nichtregierungsorganisation Equations www.equitabletourism.org/readfull.php?AID=1622;

http://hampiheritage.wordpress.com;

Mag. Silvia Stuppäck war jahrelang im Bereich Nachhaltigkeit im Tourismus und später im Konferenzmanagement tätig. 2011/12 hat sie sich eine berufliche Auszeit genommen, um unter anderem in Indien zu reisen. Sie veröffentlicht unregelmäßig auf www.travel-slow.com.

(5.466 Zeichen, 76 Zeilen, März 2012)