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Küstenschutz und Tourismus in Indien

Ein neuer Tummelplatz für Finanziers und Geschäftemacher


Mit dem Klimawandel und zunehmenden Naturkatastrophen ist der Küstenschutz in Indien zu einem heißen Thema geworden. Viel Geld wird jetzt in den Küstenschutz gepumpt. Das führt zu Korruption und es werden leicht die falschen Prioritäten gesetzt. Der Küstenschutz ist für verschiedene Interessengruppen zu einem guten Geschäft geworden. Im Namen des Naturschutzes erhält die Wirtschaft Priorität, obwohl es ganz offensichtlich ziemlich paradox ist, einen nicht nachhaltigen Tourismus zu "schützen", der die Küstenerosion selbst mit verschärft, indem er natürliche Barrieren wie Sanddünen und Mangroven zerstört.

Indien hat eine Küstenlinie von 7.525 km, die fast auf ihrer gesamten Länge mehr oder weniger von Erosion betroffen ist. Auf etwa 1.500 km (26 Prozent) der Festlandsküste gibt es gravierende Erosionsprobleme. Infrastrukturprojekte wie Bootsanlegestellen, Häfen, große Straßen, ausgebaggerte Navigationskanäle und die Zerstörung der Küstenvegetation tragen dazu bei, die Anfälligkeit der an der Küste lebenden Menschen zu erhöhen, die von den dort vorhandenen Ressourcen abhängig sind. Die Auswirkungen des Klimawandels und der Anstieg des Meeresspiegels stellen eine ernste Bedrohung für die Küstenregionen dar. Der Meeresspiegel an der indischen Küste steigt um etwa 1,3 Millimeter pro Jahr.

Der Tsunami von 2004 und gewaltige Wirbelstürme haben dazu geführt, dass bei politischen Entscheidungsträgern das Bewusstsein für den Küstenschutz gestiegen ist. Die Regierung sieht große Summen für teure Technologien vor und nimmt entsprechende Kredite auf, um Küstenerosion zu verhindern. Bauunternehmen und Berater nutzen diese Situation aus. Viele der empfohlenen Technologien und Maßnahmen sind lediglich Experimente und es ist noch nicht nachgewiesen, dass sie auch tatsächlich funktionieren.

Es gibt in Indien bereits viele Küstenschutzprojekte, darunter ein von der Weltbank mit finanziertes Projekt zum "integrierten Management von Küstenzonen" in Gujarat, West-Bengalen und Orissa. Der Kredit beläuft sich auf 90 Millionen US-Dollar. Ein von der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) finanziertes Investitionsprojekt für den städtischen Sektor in Nord-Karnataka beläuft sich auf 270 Millionen US-Dollar. Auch die Globale Umweltfazilität (GEF) und das britische Entwicklungsministerium (DFID) unterstützen Initiativen zum Küstenschutz und Küstenmanagement in Indien.

Die Projekte bewirken eine kontrollierte Störung natürlicher Prozesse durch teure künstliche Bauwerke wie zum Beispiel Strandmauern, die die Wellen abprallen lassen, oder Buhnen (unnachgiebige wand- oder dammartige Konstruktionen, die die Strömung unterbrechen und die Sedimentbewegung verringern sollen). Solche Konstruktionen können unbeabsichtigte Umweltfolgen mit sich bringen, z.B. erneute Erosion und veränderte Sediment- und Sandablagerungsmuster, die der unmittelbaren menschlichen und natürlichen Umwelt schaden oder sich in weiter entfernten Küstenabschnitten und Lebensräumen auswirken.

Küstentourismus und Naturschutz – eine neue Allianz

Touristische Zielgebiete erhalten beim Küstenschutz oberste Priorität, denn der Küsten- und Strandtourismus ist ein wichtiges Segment im globalen Tourismusszenario.Freizeitaktivitäten an der Küste haben im Laufe der letzten zehn Jahre zugenommen und spielen für den Tourismus eine herausragende Rolle.

Vor dem Hintergrund des Klimawandels hat sich eine neue Allianz zwischen dem Tourismussektor und dem Küstenschutz entwickelt. Küstengebiete sind für klimabedingte Veränderungen wie steigende Meeresspiegel und immer häufiger auftretende, stärkere Stürme besonders anfällig. All diese Veränderungen können die Zielgebietsentscheidungen der Touristen und schließlich die Touristenströme stark beeinflussen. "Anders als bei Naturkatastrophen oder terroristischen Anschlägen gibt es nicht nur kurzfristige Auswirkungen, die dann rasch wieder in Vergessenheit geraten können. Vielmehr wird der Klimawandel die Attraktivität einiger Urlaubsgebiete auf Dauer verändern und sie dazu zwingen, in den nächsten Jahrzehnten Schritte zur Anpassung vorzunehmen", heißt es in einer Studie der Deutschen Bank aus dem Jahr 2008, in der es um die Gewinner und Verlierer im sich verändernden globalen Tourismusszenario geht.

Tourismus und Küstenerosion

Der Tourismus ist einer der Mitverursacher, die genau das zerstören, was eine Küste auf natürliche Weise schützt. Eine Studie über den indischen Bundesstaat Goa zeigt, dass dort kein Küstenabschnitt mehr die reiche Sanddünenvegetation aufweist, die für intakte Strände typisch ist. Im Vergleich zu nicht-touristischen oder noch in der Erschließung befindlichen Orten hat die Dünenvegetation in Tourismusorten abgenommen. Der Tourismus beeinträchtigt die natürlichen Ökosysteme an den Stränden, denn er zerstört Sandflächen und Dünenvegetation und er eignet sich Land an. Die Regierung tut nichts, um diese zerstörerischen Aktivitäten zu reglementieren, und manchmal unterstützt sie sie sogar noch.

Das von der ADB unterstützte "Investitionsprogramm für nachhaltigen Küstenschutz und nachhaltiges Küstenmanagement" in Maharashtra, Goa und Karnataka ist eines der Projekte, die Anlass zu großer Besorgnis geben. Danach sollen neue Technologien zum Küstenschutz nicht nur Erosion verhindern, sondern auch die Einkommensmöglichkeiten für die Gemeinschaften in den betroffenen Gebieten verbessern. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass das Gegenteil der Fall ist.

Die in diesem Projekt vorgeschlagenen künstlichen Riffe aus Geotextil-Säcken sind keine wirksame Technologie zum Erosionsschutz. Sie haben sich an vielen Orten nicht bewährt, zum Beispiel an der Küste von Dorset in Großbritannien und in Kovalam im südindischen Kerala, und sie haben nicht die gewünschten Ergebnisse geliefert. Aktuelle Fotos aus Kovalam zeigen, dass der diesjährige Monsun wie üblich zu Erosion geführt hat und auch den befestigten Strandweg beschädigt hat. Das Vielzweck-Riff, das angeblich dem Küstenschutz, der Fischerei und dem Tourismus dienen sollte, ist zur Ironie geworden. Küstenfischer berichten, dass sie in ihren Netzen eher Geotextil-Teile des sich nach und nach auflösenden Riffs aus dem Wasser ziehen als die größeren Mengen an Fisch, die ihnen versprochen worden waren.

Nach den für das Vorhaben in Maharashtra, Goa und Karnataka formulierten Zielvorgaben soll sich durch das Projekt innerhalb von fünf Jahren nach Abschluss die Anzahl der Unternehmen an den jeweiligen Stränden um 15 Prozent erhöhen. Die Armut in der Bevölkerung entlang der Küste der jeweiligen Distrikte soll durch das Projekt bis 2018 um zehn Prozent abnehmen.

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass lokale Gemeinschaften, insbesondere die armen und marginalisierten, in der Regel nur einen Tropfen des Wohlstands erhalten, den der Tourismus mit sich bringt. Gleichzeitig zahlen sie einen hohen Preis: Sie werden vom Strand verdrängt, verlieren den Zugang zum Meer und können ihre traditionellen Beschäftigungen nicht mehr ausüben. In dem ADB-Projekt ist von einer neuen Organisation zum Küstenmanagement die Rede, die unter Beteiligung der Wirtschaft den Zugang zum Strand und zum Meer kontrollieren soll. Das wird mit Sicherheit zu Verletzungen der Rechte der Gemeinschaften an ihren Ressourcen führen und die Privatisierung öffentlicher Güter befördern.

Die Rolle internationaler Finanzinstitutionen

Internationale Finanzinstitutionen wie die Weltbank und die ADB spielen eine entscheidende Rolle bei Kreditvergabe für nicht nachhaltigen Tourismus in der sich entwickelnden Welt. Diese Projekte erfordern Unsummen an Steuergeldern und nutzen nur sehr wenigen. Im Namen der Anpassung an den Klimawandel werden solche Projekte unterstützt, doch gleichzeitig werden dadurch Aktivitäten gefördert, durch die die Kohlendioxidemissionen ansteigen und die Küstenerosion verschärft wird. Die rasche Urbanisierung und Infrastrukturentwicklung entlang der Küste ist einer der Hauptgründe für die Küstenerosion. Maßnahmen zur Katastrophenvorsorge müssen zuallererst damit beginnen, diese ausufernden Entwicklungen entlang der Küste einzudämmen.

Sumesh Mangalassery ist Direktor von Kabani – the other direction, einer Initiative aus Kerala (Indien), die sich für eine nachhaltigere Tourismusentwicklung einsetzt. Dieser Beitrag basiert auf der Studie "India: Borrowing False solutions – A Critique of Asian Development Bank's Sustainable Coastal Protection and Management Investment Program", veröffentlicht von Kabani und dem NGO Forum on ADB mit Sitz in Manila, Philippinen.

Übersetzung aus dem Englischen: Christina Kamp

(8.154 Zeichen, 110 Zeilen, September 2012)