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Kein Boykott, doch "Beware!"

Drei Fragen an Fred Carver, Sri Lanka-Kampagne für Frieden und Gerechtigkeit


Unbeabsichtigt unterstützen Touristen in Sri Lanka unter Umständen Unternehmen, die mit Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen. Warum Reisende in diesem Land besonders genau hinschauen sollten, wer eigentlich von ihrer Reise profitiert, fragten wir Fred Carver von der Sri Lanka-Kampagne für Frieden und Gerechtigkeit. Die "Sri Lanka Campaign" setzt sich unter anderem für die Wahrung der Menschenrechte, für eine Rücknahme der Anti-Terror-Bestimmungen und für eine glaubwürdige Untersuchung der Kriegsverbrechen ein. Sie ruft nicht zu einem Tourismus-Boykott auf, bittet aber Reisende, über die potenziellen Auswirkungen ihrer Reise sorgfältig nachzudenken

TW: Drei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs erweckt der Alltag in Sri Lanka für Touristen mehr und mehr den Anschein von Normalität. Heißt das, im "Paradies" ist jetzt alles "in Ordnung"?

Fred Carver: Einer meiner srilankischen Freunde beantwortet diese Frage immer so: "Es sieht besser aus, doch dem Gefühl nach ist es schlimmer". Nur wenige Touristen fahren in den Norden und im Süden waren die Auswirkungen des Krieges für Außenstehende ohnehin nie so sichtbar. Doch unter der Oberfläche gibt es ernste Probleme. Dass so viele Journalisten (34 zwischen 2004 und 2010) ermordet und die Täter nicht strafrechtlich verfolgt wurden und dass alle unabhängigen Medien systematisch aus dem Geschäft gedrängt werden, bedeutet, dass es eine reale Kultur der Selbstzensur und Unterdrückung gibt. Betrachtet man dies im Zusammenhang mit dem völligen Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit (die oberste Richterin des höchsten Gerichts steht unter Anklage, weil sie so kühn war, ihre Arbeit zu machen) und die Gangs in "weißen Wagen", die etwa alle fünf Tage einen politischen Gegner entführen, dann wird deutlich, warum Regime-Gegner in Angst leben. Doch als Tourist sieht man davon nicht viel. Die Regierung präsentiert Sri Lanka als idyllisches Paradies und die Foltercamps und Gefängnisse werden gut außer Sichtweite gehalten.

Im Norden verblassen die physischen Narben. Es wird massiv in die Infrastruktur investiert, in erster Linie durch das Militär. Doch die emotionalen Narben werden nur langsam heilen – insbesondere da die Einstellung der srilankischen Regierung in Bezug auf Versöhnung die Kluft vertieft und es den Familien nicht erlaubt, über den Verlust ihrer Lieben zu trauern. Im Norden sieht man auch die massive Militarisierung. In Teilen des Vanni trägt jeder Dritte eine Uniform. Das führt zu allen möglichen Problemen, angefangen mit sexueller Gewalt über die illegale Besetzung von Land durch das Militär (oft im Namen des Tourismus) bis hin zur Überwachung oder Auflösung jeglicher Versammlungen durch das Militär – ganz zu Schweigen von der Arbeitslosigkeit und dem nicht ausreichend vorhandenen adäquaten Wohnraum. Die Angst ist im Norden so groß, dass es sehr schwierig ist, Leute zu finden, die bereit sind, offen über diese Dinge zu sprechen – und wenn sie dies tun, riskieren sie später Repressalien.

TW: Wie hängt der Tourismus in Sri Lanka mit Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zusammen?

Fred Carver: In zweierlei Hinsicht. Erstens ist der Tourismus ein zentraler Bestandteil der Militarisierungs- und Entwicklungspläne der srilankischen Regierung für den Norden. Es war das srilankische Militär, das im Konflikt in Sri Lanka für einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich war und das noch immer mit Folter, sexuellem Missbrauch und dem Verschwinden von Menschen in Verbindung gebracht wird. Auf unserer Webseite führen wir nur einige der von der Armee geleiteten Hotels und Sehenswürdigkeiten auf, die im Norden eröffnet wurden. Immer wieder kommen neue hinzu. Die Idee dahinter ist, dass die Regierung mit einer vom Militär gemanagten Tourismuswirtschaft weiterhin eine große Armee rechtfertigen kann, die die Macht des Präsidenten und seiner Brüder stärkt; dass sie durch den Tourismusboom Geld – einschließlich persönlicher Gewinne – einstreichen kann und dass sie den Norden des Landes weiter in ihrem eisernen Griff behält.

Zweitens ist der Tourismus Sri Lankas viertgrößter Devisenbringer, nach Geldüberweisungen von Migranten in die Heimat, Textilien (die srilankischen Fabriken sind auf die Produktion von Unterwäsche spezialisiert) und Tee. Das Tourismusvolumen soll sich in den nächsten vier Jahren verdoppeln (nachdem es sich in den vergangenen drei Jahren bereits verdreifacht hat). Doch nur sehr wenig von diesem Einkommen kommt auch bei der lokalen Bevölkerung an. Neben Steuereinnahmen verdient die Regierung von Sri Lanka auch an den Teilen der Tourismuswirtschaft, die in staatlicher Hand sind, insbesondere an der nationalen Fluggesellschaft Sri Lankan Airlines, die vom Schwager des Präsidenten gemanagt wird.

TW: Wie können Touristen sicherstellen, dass ihre Sri Lanka-Reise Einheimischen nützt, ohne dass ihr Geld in die falschen Hände gerät?

Fred Carver: Erstens können sie ihren Reiseanbietern Fragen stellen und sicherstellen, dass sie Attraktionen meiden, die in den Händen der Armee sind. Dazu gehören zum Beispiel mehrere buddhistische Monumente, drei Kricket-Stadien, ein Golfplatz und ein Wildpark. Zweitens, indem sie nicht mit Sri Lankan Airways fliegen.

Darüber hinaus muss man wohl zugeben, dass keine Sri Lanka-Reise ohne negative Folgen bleibt. Alle Reisen unterstützen das Regime in irgendeiner Weise, selbst wenn es nur die Flughafensteuern sind. Gleichzeitig könnte nur der unerfahrenste Tourist Sri Lanka besuchen, ohne dabei auch irgendeinen gesellschaftlichen Nutzen zu bringen. Da also jeder Besuch zwangsläufig sowohl positive als auch negative Konsequenzen hat, ist es von zentraler Bedeutung, beide gegeneinander abzuwägen und so eine informierte Entscheidung zu treffen, welche Folgen bei der jeweiligen Reise überwiegen. In jedem Fall ist es natürlich eine persönliche Entscheidung und wir behaupten nicht, dass irgendeine bestimmte Reise "moralisch vertretbar" oder "unmoralisch" sei. Wir weisen lediglich auf einige der positiven und negativen Auswirkungen hin, die damit verbunden sein können, und erlauben es den Touristen, auf Grundlage von Informationen eine persönliche Entscheidung zu treffen.

Wir informieren auch darüber, wie sich die negativen Konsequenzen in Grenzen halten lassen und wie sich die positiven maximieren lassen. All diese Informationen sind auf unserer Webseite verfügbar. Auch Tourism Concern in London bietet Anleitung und eine Liste "ethischer" Reiseveranstalter. Zusammengefasst würde ich sagen: Sammeln Sie selbst Informationen und seien Sie sich der Probleme bewusst. Meiden Sie alle großen Hotelketten und übernachten Sie in von einheimischen Familien geführten Unterkünften wie Hostels, Pensionen oder Homestays, und versuchen Sie, ihre Reise nach Sri Lanka zu nutzen, um mit Einheimischen in Kontakt zu treten.

Weitere Informationen: www.srilankacampaign.org

(6.827 Zeichen, 89 Zeilen, Dezember 2012)