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Indien: "Wie die Gänse fliegen"

Trainingsprogramm für Touristenführer in den Bergen von Kerala, Indien


Wenn die Wildgänse fliegen, so tun sie dies in einer V-Formation. Damit sparen sie Kraft und Energie. Sie lösen sich in der Führungsrolle ab, spornen sich gegenseitig an und kommen durch Teamarbeit erfolgreich zum Ziel. "Lasst uns wie die Gänse fliegen!", ruft Nirmal Joy von der indischen Nichtregierungsorganisation "Kabani" seine Zuhörer auf. Die rund 30 Frauen und Männer, die sich zu einem Trainingscamp im Gebäude der Forstbehörde in Pakkam versammelt haben, arbeiten als Touristenführer oder Ehrenamtliche eng mit der Forstverwaltung zusammen.

Die meisten von ihnen sind Adivasis, Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen. Sie leben in den Dörfern der Umgebung, in den Bergen der Western Ghats. Auf der nahe gelegenen Insel Kuruva vermitteln sie in- und ausländischen Gästen Informationen über die biologische Vielfalt. Die Insel Kuruva ist ein Kleinod an Tier- und Pflanzenreichtum im Kabani-Fluss im Wayanad-Distrikt von Kerala, an der Grenze zum Bundesstaat Karnataka.

Die "Vision 2025" der Regierung von Kerala sieht die Beteiligung der einheimischen Bevölkerung in der Ökotourismus-Entwicklung vor. In Waldregionen und waldnahen Gebieten sollen lokale Waldschutzkomitees ("Vana Samrakshana Samithi" - VSS) in Zusammenarbeit mit der Forstverwaltung die biologische Vielfalt schützen und dabei den Tourismus gestalten. So auch auf der Insel Kuruva.

"In den meisten Tourismusorten geht die Entwicklung an den Menschen vorbei", erklärt Sumesh Mangalassery, Kampagnen-Koordinator von "Kabani", in einer Präsentation über aktuelle Tourismustrends im Land. Die Auswirkungen seien dagegen deutlich zu spüren: Abfallberge an den Stränden, Wasserverschmutzung der Backwaters durch die steigende Zahl von Hausbooten, Verdrängung traditioneller Wirtschaftszweige, Prostitution und die zunehmende Konkurrenz um Touristen-Dollars und -Euros. "Eine solche Entwicklung wollen wir hier in Wayanad nicht", betont der Tourismus-Aktivist. "Wir glauben, dass ein anderer Tourismus möglich ist. Dafür setzen wir uns ein".

So zum Beispiel in den "Kabani"-Trainingsprogrammen vor Ort. Seit Juli 2005 werden mit "Home Stay"-Anbietern, die beim "District Tourism Promotion Council" in Wayanad registriert sind, Trainings durchgeführt. Gemeinsam soll ein Verhaltenskodex entwickelt werden, der nach weiteren Diskussionsrunden für Gäste wie Einheimische verbindlich gemacht werden soll. Auch die Touristenführer in Kuruva arbeiten am Verhaltenskodex mit. Sie erhoffen sich dadurch bessere Möglichkeiten, Besucher, die ein unangepasstes Verhalten an den Tag legen, in ihre Schranken zu weisen. Mit übermäßigem Alkoholkonsum der Gäste, Plastikmüll und Schädigungen der Pflanzenwelt haben sie bereits ihre Erfahrungen gemacht. Weniger jedoch mit der Konkurrenz untereinander, die entsteht, wenn der Tourismus Fuß fasst und die Region als "entwickelt" gilt. "Vielleicht können wir verhindern, dass auch hier eine Abhängigkeit vom Tourismus entsteht," hofft Nirmal Joy.

Ob dies anhand eines Konzepts gelingen kann, das Universitätsprofessor Dr. Vijaykumar vorstellte, fanden die Zuhörer allerdings fraglich. Seine Vorschläge waren vor allem kreativer Natur: Welche Ideen lassen sich entwickeln, um Touristen die Eigenheiten der Region zu vermitteln, dabei eng an die lokalen Ressourcen (wie Waldprodukte) anzuknüpfen und möglichst viele Einkommensmöglichkeiten zu schaffen? Fahrradtouren seien jedenfalls nicht realistisch, denn die Straßen und Wege seien hier in zu schlechtem Zustand. Auch gegen jegliche Vermarktung irgendwelcher Produkte auf der Insel selbst wehrte sich die Gruppe vehement.

Dass am Flussufer gegenüber der Insel kleine Stände entstehen könnten, um lokales Kunsthandwerk wie z.B. Bambusprodukte, ortstypisches Essen und Naturmedizin anzubieten, stieß schon eher auf Gegenliebe. Insbesondere der alte Chanthan war davon angetan. Er kenne auf der Insel 101 Pflanzen und ihre Heilwirkungen, berichtete er - ein traditionelles Wissen, das sein Großvater ihm im Laufe vieler Jahre vermittelt habe.

Das Hauptinteresse der Gruppe lag allerdings darin, die Touristen zu einem angemessenen Verhalten anzuhalten und verbindlich zu vereinbaren, dass Alkohol, Zigaretten und Plastikmüll auf Kuruva nichts zu suchen haben. Mohanan, ein junger Touristenführer, der bereits Erfahrung mit amerikanischen Gästen gesammelt hat, betonte, dass Touristen auf den ausgewiesenen Wegen bleiben müssten und ohne Führer den Wald nicht betreten dürften. Gäste, die im Fluss baden wollen, hätten dies angemessen bekleidet zu tun (und dies heißt in Wayanad deutlich mehr als etwa nur ein Badeanzug).

"KABANI - The other direction"

"KABANI" ist eine neue Initiative mit Arbeitsschwerpunkt im Wayanad Distrikt in den Bergen des südindischen Bundesstaates Kerala, an der Grenze zu Karnataka. Die Organisation leitet ihren Namen von dem Fluss Kabani ab, der im Gegensatz zu fast allen anderen 43 Flüssen in Kerala ostwärts statt nach Westen fließt. So wie sich der Fluss entgegengesetzt bewegt, will "KABANI" ebenfalls eine andere Richtung für die Tourismusentwicklung der Region aufzeigen. In der Nähe des Ortes Pulpalli teilt sich der Fluss und bildet die Insel Kuruva. Wie die beiden Flussarme hat die Arbeit der Organisation zwei Standbeine. Einerseits entwickelt "KABANI" ein einheimisches Tourismusmodell, das auf "Home stay"-Programme setzt, die der Bevölkerung direkt zugute kommen und den Gästen Alltagserfahrungen vermitteln. Andererseits hat die Initiative eine deutliche Kampagnen-Ausrichtung, mit der Fehlentwicklungen aufgedeckt und verhindert werden sollen. So wie auch das Wasser der Kabani-Flussarme eine Einheit bildet, sind beide Arbeitsbereiche der Organisation eng miteinander verbunden. Unter anderem in Trainingsprogrammen fließen sie zusammen.

"KABANI - The other direction", c/o 'Nest', Kaniyaram, P.O. Mananthavady, 670 645, Wayanad (Dist.), Kerala, Indien, Tel.: 0091/94 47 54 65 84 (Sumesh Mangalassery)

E-mail: info@kabani.org, Internet: www.kabani.org

Auf der Grundlage von Tourismus-Karikaturen aus Lateinamerika*, die in vier Kleingruppen mit großem Engagement diskutiert und interpretiert wurden, setzten die Touristenführer und ehrenamtlich Engagierten schließlich in kleinen Sketchen um, was das Respektieren der einheimischen Kultur für sie bedeutete. So müssten sie Möglichkeiten finden, den Zugang der Touristen zu den Orten zu beschränken, an denen die Dorfbewohner ihrem Alltag nachgehen. Fotografieren sollte nur mit Erlaubnis gestattet sein, eine Kommerzialisierung ihrer Traditionen und Rituale niemals erlaubt werden. Die Gäste sollten mit der einheimischen Kultur und den Werten der Adivasis vertraut gemacht werden.

Um jedoch all die diskutierten Ideen und vereinbarten Maßnahmen umsetzen zu können, meldeten die Guides weiteren Trainings- und Unterstützungsbedarf an. Denn um die Integrität der Region zu bewahren, sei eine intensive Arbeit mit der Bevölkerung nötig.

Bei aller Naturverbundenheit waren sich Teilnehmer und Organisatoren am Ende einig, dass eine wichtige Maßnahme die Versorgung der Region mit elektrischem Strom sei. Vielleicht lässt sich die Regierung zur Förderung des Tourismus darauf ein. Dies käme dann vor allem der Dorfbevölkerung zugute - und das nächste Trainingscamp wäre nicht mehr vom Funktionieren des Generators abhängig, den sich zwar die Forstverwaltung, aber kaum eine Adivasi-Familie leisten kann.

* Die Karikaturen stammen aus dem Karikaturenwettbewerb von Turismovision, ausgeschrieben im Jahr 2000 von KATE und TOURISM WATCH (s. TW 23, Juni 2001)

Anm. d. Red.: Bildmaterial von Christina Kamp zu beiden Indien-Beiträgen ist über TOURISM WATCH verfügbar, tourism-watch@eed.de

(7.493 Anschläge, 100 Zeilen, Dezember 2005)