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Fragile (Traum-?)Inselwelten


In vielen Gesellschaften ist der so genannte „Insel-Mythos“ tief verwurzelt. Inseln werden entweder positiv mit dem „Garten Eden“ assoziiert, oder negativ mit Gefängnis­sen und Gefahren. Die Tourismusindustrie nutzt vor allem die positive Konnotation als wirksames Marketinginstrument. Nicht nur natürliche Inseln sondern auch künstliche Inselwelten werden auf dem Tourismusmarkt angeboten. Doch es sind „fragile Insel­welten“ – so der Titel eines Sammelbandes zum Thema Inseltourismus der Arbeits­gemeinschaft für Pazifische Studien.

Die meisten Inselstaaten im pazifischen, karibischen und indischen Raum, von denen viele zur Kategorie der Entwicklungs- oder Schwellenländer gehören, setzen zunehmend auf den Tourismus als Devisen bringenden Wirtschaftszweig. Er soll helfen, die schwache ökonomische Struktur zu diversifizieren.

Natürliche Inseln sind sensible Ökosysteme in denen der Tourismus wie eine „tödliche Waffe“ wirken kann, wenn er sich unkontrolliert entwickelt. Die südthailändischen Inseln Phuket und Samui zeigen, dass Massentourismus Umweltschäden durch Abwässer und Abfälle, Zerstörung von Korallenriffen, Entwaldung sowie enorme sozioökonomische und demographische Probleme mit sich bringt.

Auf der peruanischen Insel Amantani im Titicacasee hat sich ein „community based tourism“ entwickelt und wird als solcher auch von den Touristen wahrgenommen. Doch mit der Zunahme der Besucherströme entstehen Interessenkonflikte innerhalb der Gemeinde zwischen den individuell und den gemeinschaftlich geprägten Ansichten der Tourismusgestaltung und zwischen den Gemeindemitgliedern und den lokalen Reiseagenturen auf dem Festland.

„Trauminseln?“ Das Fragezeichen des Buchtitels ist ausschlaggebend. Auch in diesem Buch zeigt sich, dass sich hinter den traumhaften Bildern des Inseltourismus, die einerseits in unserer kollektiven und persönlichen Imagination liegen und anderseits durch die Reiseliteratur geformt und gelenkt werden, ungeheure Traumata, Konflikte und Machthierarchien verbergen.

In Sri Lanka wurden und werden Menschen aus allen sozialen Schichten vom Bürgerkrieg bzw. ethnischen Konflikten tief geprägt. Die Insel ist politisch instabil. Unsicherheit, Entführungen, Angst, politische Morde, das Verschwinden von Menschen und Folter gehören in diesem „Paradies“ zum Alltag. Dazu kam die Flutwelle vom 26. Dezember 2004, bei der wieder Menschen starben oder verschwanden. Eine Traum(a)insel, wie Barbara Götsch und Barbara Preitler sehr treffend ihren Beitrag titeln, denn die Bevölkerung Sri Lankas leidet unter enormen psychischen Belastungen.

Im türkischen Teil Zyperns floriert ein illegaler Bauboom. Immobilienhändler profitieren von den ungeklärten Eigentumsverhältnissen, die in Nordzypern herrschen und verkaufen Gründstücke vor allem in der Küsteregion. Der Bauboom führt nicht nur zur Umweltkatastrophe, sondern behindert auch die Bemühungen auf dem Weg zur Wiedervereinigung der beiden Volksgruppen auf Zypern, denn viele der Grundstücke im Norden, auf denen jetzt eifrig illegal und überwiegend zur touristischen Nutzung gebaut wird, gehörten vor der Teilung griechischen Zyprioten.

Die touristische Vermarktung Fidschis basiert vorwiegend auf den in Europa verbreiteten Stereotypen über den so genannten „Südseemenschen“. Die Reisewerbung preist Sandstrände, Palmen und türkisblaues Wasser kombiniert mit Wildheit, Unberührtheit, natürlichen und authentischen Menschen und ihrer Kultur an und verspricht einen unvergesslichen Traumurlaub. Dabei werden die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Turbulenzen in dieser Region verschwiegen und kulturhistorische Phänomene wie zum Beispiel Kannibalismus, einseitig und exotisierend dargestellt. Nur ein tieferer Einblick in dieses Phänomen und die Einordnung in die Geschichte der Insel ermöglicht ihre sachgerechte Beurteilung.

Im „Paradies“ Mauritius mit seiner „Regenbogengesellschaft“ werden Black Creols, die Nachkommen afrikanischer Sklaven, politisch, wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt. Dass Mauritius nach dem Wegfall von Exportbegünstigungen auf Zuckerrohr und Textilien nun verstärkt auf den Tourismus setzt, birgt die Gefahr, dass diese heterogene Volksminderheit noch stärker diskriminiert und isoliert wird, wenn beispielsweise Fischern an den Stränden der Zugang zum Meer untersagt wird.

Die Beiträge des Sammelbandes „Trauminseln?“ wollen die Inseldestination keineswegs an den touristischen Rand drängen. Vielmehr sind sie ein Appell an die Reisenden, diese Urlaubsziele mit offenem Herz und offenen Augen zu besuchen und die touristischen Strukturen und Fassaden zu hinterfragen. Reisende sind Klischees und Bildern der Reisewerbung nicht hilflos ausgeliefert, sie können durch eigenes Verhalten aktiv dazu beitragen, den Tourismus fair und nachhaltig zu gestalten.

Fragile Inselwelten – Tourismus, Umwelt und indigene Kulturen. Von Michael Waibel/ Tanja Thimm/ Werner Kreisel (Hg). Horlemann Verlag, Bad Honnef, 2005. 254 Seiten. ISBN 3-89502-204-7.

Trauminseln? Tourismus und Alltag in „Urlaubsparadiesen". Von Heidi Weinhäupl/Margit Wolfsberger (Hg.), LiT Verlag GmbH, Wien, 2006. 296 Seiten. ISBN 3-8258-8638-7.