Ob auf Postkarten oder Fotos, in Filmen, Katalogen, Broschüren, Reiseführern, Stadtplänen oder Landkarten – der Tourismus lebt von der visuellen Darstellung. Die diesjährige Tourismus-Konferenz der Universität Brighton Mitte Juni im südenglischen Eastbourne stand unter dem Titel "Gazing, Glancing, Glimpsing". Von flüchtigen Blicken bis hin zum intensiven Anstarren des exotischen Anderen bewegt sich der visuelle Umgang von Touristen und Einheimischen miteinander.
Bilder spiegeln nicht nur Orte und Räume wieder, sondern sind komplexe Metaphern, eingebettet in den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem sie entstanden sind, oder in dem sie wahrgenommen werden. In Forschungsprojekten in verschiedenen Teilen der Welt haben sich Wissenschaftler mit unterschiedlichen Aspekten visueller Darstellung im Tourismus auseinandergesetzt.
Französisch-Polynesien: Wahrheit durch Wiederholung
Das Image eines Paradieses verbindet die Kolonie Französisch-Polynesien – als Ort der Träume – mit der Metropole, dem Zentrum der Macht. Es ist Aufgabe der Tourismusvermarkter, diesen Mythos aufrecht zu erhalten. Sie müssen proaktiv und kreativ die Kluft überbrücken, die zwischen dem touristischen Image Tahitis und der Realität existiert. Zum Beispiel mögen Touristen von weißen Sandstränden träumen, die es auf den Inseln – außer auf den Korallenatollen – jedoch kaum gibt, berichtete Miriam Kahn von der Universität Washington, USA. Auch diene der Tourismus dazu, die Aufmerksamkeit von den Atomtests in Französisch-Polynesien und deren Folgen abzulenken. Das Marketing einer bestimmten Destination gründet auf der künstlichen Zusammenstellung von aus dem Zusammenhang gerissenen Bildern und Symbolen, durch die den Touristen das vermittelt werden soll, was sie aufgrund des "Mythos" z.B. in Tahiti erwarten – nach mehr als zweihundert Jahren ständig wiederholter Bildersprache von Malern wie Gauguin und anderen, sowie einer Werbung, die die Erwartungen der Touristen nährt, und deren Erwartungen wiederum Marketingentscheidungen beeinflussen. Durch die Wiederholung visueller Muster, so Kahn, entstehe eine "Autorität der Darstellung", die sich ihre eigene "Wahrheit" erschaffe.
Südafrika: Monumente schreiben Geschichte neu
Die Erfahrungen von Touristen werden durch visuelle Eindrücke geprägt. Doch in Südafrika wurde durch die mündlich überlieferten Erfahrungen der afrikanischen Mehrheit wenig Material produziert, das heute den ‘touristischen Blick’ anziehen könnte. Sabine Marschall von der Universität KwaZulu-Natal berichtete, wie die Behörden des neuen Südafrika dazu übergegangen sind, Monumente und Statuen zu errichten, die visuelle Markierungspunkte der zu Zeiten der Apartheid vernachlässigten Geschichte der Schwarzen darstellen. Sie sind ein Gegenentwurf zu der heute oft verzerrten öffentlichen Erinnerung. Die meist sehr detaillierten Monumente ‘erwecken die Vergangenheit zum Leben’, stellen attraktive visuelle Anziehungspunkte dar und helfen bei der Markenbildung touristischer Destinationen. Sie kommen nicht nur dem touristischen visuellen Konsumbedürfnis entgegen, sondern unterstützen auch die politisch motivierte Identitätsbildung des neuen Südafrika.
Australien: Hinschauen heißt nicht sehen
"Uluru" (Ayers Rock), der berühmte Felsen inmitten der zentralaustralischen Wüste ist ein Symbol des Kampfes der australischen Ureinwohner um ihre Landrechte. Zugleich ist er ein beliebtes Besichtigungs- und Fotoobjekt für Touristen. Die Reisebranche verspricht hier Begegnungen mit einer der ältesten Kulturen der Welt. Doch die Realität ist für die Besucher oft enttäuschend. "Denn wenn man zu versessen hinschaut, sieht man unter Umständen nicht", meint Jana-Axinja Paschen, Doktorandin an der Universität Melbourne. "Durch die konsumtive Praxis des Besichtigens erschließt sich die kulturelle Bedeutung des Ortes nicht. Sie erschließt sich durch seine Geschichten." Die Aboriginees suchen und finden Wege, den Touristen ihre Sicht der Dinge näher zu bringen. Sie bitten Touristen, ihren Glauben und ihre kulturellen Empfindsamkeiten zu respektieren und nicht auf den Felsen hinaufzuklettern. Stattdessen sollten Touristen den Ort "mit anderen Augen" oder allen Sinnen wahrnehmen, z.B. auf einem 9,5 Kilometer langen Fußmarsch um den Felsen herum.
Uganda: Müssen Pygmäen „primitiv“ aussehen?
Wie sich Touristen vor ihrer Reise die "Objekte" ihres touristischen Interesses vorstellen, entscheidet wesentlich darüber, für wie "gültig" oder "authentisch" sie dann ihre touristischen Erfahrungen halten. Die Erwartungen spielen eine extrem große Rolle in Bezug auf das, was dann vor Ort wahrgenommen wird und wie es wahrgenommen wird. So müssen die "Pygmäen" in Uganda z.B. "primitiv" aussehen und dem Image von Jägern und Sammlern entsprechen – unabhängig davon, unter welchen tatsächlichen Bedingungen sie heute leben. Sehen sie nicht "primitiv" aus, werden sie in der touristischen Wahrnehmung zu "Opfern", stellt Stan Frankland von der Universität St. Andrews, Großbritannien, fest – was dann leicht dazu führen könne, dass Nichtregierungsorganisationen sich auf den Plan gerufen fühlen, um sie zu "retten". Dabei wird der Tourismus unter Umständen als eine Lösung angesehen. Die "Pygmäen" müssten nur den Mythos neu aufleben lassen, müssten ihre kleinen Hütten bauen und Primitivität vorgaukeln. "Es gibt einen Armutstourismus", so Frankland, "doch ob man den ’pro-poor’ nennen kann, weiß ich nicht". Auf jeden Fall aber könnten Touristen mit ihrem Verständnis von Authentizität bedeutende Konsequenzen für die Menschen auslösen, die dem berüchtigten touristischen Blick ausgesetzt seien.
(5686 Zeichen, 76 Zeilen, September 2007)