Es ist drei Uhr nachmittags. Ilu und ihre Kolleginnen stehen bereits am Rande des Marktplatzes von Muang Sing, einer kleinen laotischen Stadt nahe der chinesischen Grenze. Sie warten auf den Pritschenwagen aus der Provinzhauptstadt Luang Namtha, der wie jeden Tag einige ausländische Touristen bringen wird. Anhand ihrer bunt verzierten Kopfbedeckung sind die sieben Frauen leicht als Akha zu erkennen, eine ethnische Minderheit im Norden von Laos.
Sie sind mit Hunderten von Armbändchen, Gürteln, Mützen und Handtaschen bestückt, die bei Touristen guten Absatz finden. Den ganzen Vormittag hatten die Frauen schon an der Hauptstraße gesessen, Armbändchen genäht und bestickt und immer wieder vergeblich nach Touristen Ausschau gehalten. Die Ankunft des Pritschenwagens bietet eine gute Gelegenheit, neu ankommende Touristen abzupassen und ihnen einige der kunstvoll gefertigten Souvenirs zu verkaufen.
Bereits wenige Augenblicke nach der Ankunft des Wagens ist Ilu erfolgreich. Einer der Neuankömmlinge kauft zwei Armbändchen für 5.000 Kip, umgerechnet rund 50 Cent. Das ist viel mehr als der Tageslohn, den Männer aus ihrem Dorf als Feldarbeiter bei chinesischen Großgrundbesitzern verdienen. Ilu gilt in ihrem Dorf als erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie verdient gut mit dem Verkauf der Souvenirs und bringt ab und an Touristen mit ins Dorf, die sie in ihrem Haus beherbergt. Häufig rauchen die Touristen bei diesen Übernachtungen Opium. Für die armen Dorfbewohner ist dies eine lukrative Einnahmequelle.
Den laotischen Behörden und Entwicklungsorganisationen in Muang Sing sind Ilu und ihre Kolleginnen ein Dorn im Auge. Was für die Akha-Frauen eine Einnahmequelle ist, mit der sie ihre Familie über Wasser halten, wird von den Behörden als Problem gesehen. Von Bettelei ist die Rede, von aufdringlichem Verhalten, aber auch von illegalem und unkontrolliertem Opiumtourismus. Auch einige Touristen empfinden die hartnäckigen Verkäuferinnen als anstrengend und nervig. Das Fazit eines deutschen Entwicklungsexperten ist eindeutig: „Diese Frauen sind total verdorben. Sie schaden dem Image von Muang Sing.“
Um diesen unkontrollierten Tourismus in den Griff zu bekommen, greifen seit 2004 die laotischen Behörden mit Hilfe internationaler Entwicklungsorganisationen ein. In Zusammenarbeit mit der deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) entstand ein Projekt zum gemeindeorientierten Tourismus in Muang Sing. Ziel war es, die touristische Entwicklung zu steuern und gleichzeitig armen Akha-Dörfern zu helfen. Um ihnen eine neue Einkommensquelle zu erschließen, sollten vor allem Akha-Frauen als Touristenführerinnen ausgebildet werden. Doch zwei Jahre nach Projektbeginn sind die Frauen nicht integriert, arbeiten weiterhin am Rande der Legalität.
Die Akha sind eine ethnische Minderheit, zu der ca. 2,5 Millionen Menschen gehören. Sie leben zurückgezogen in den Bergen der Grenzgebiete von Burma, der chinesischen Provinz Yunnan, in Nord-Vietnam, Nord-Thailand und Nord-Laos. In all diesen Ländern gehören die Akha zu den Ärmsten der Bevölkerung und haben politisch wenig Mitspracherecht. Die Akha leben von Hochlandreis, dee traditionell durch Brandrodungsfeldbau gewonnen wird. In den letzten Jahrzehnten waren sie jedoch auch für den Anbau von Opium bekannt. Die Akha gelten als traditionell, ihre Dörfer werden daher von Trekkingtouristen vor allem in Thailand und Laos gerne besucht. In den meisten Fällen verdienen die Akha aber kaum am Tourismus.
Die Idee der Förderung von Frauen ließ sich im gemeindeorientiertem Tourismus nicht so recht umsetzen. Die Touristen werden nur in Dörfer geleitet, die weit von Muang Sing entfernt liegen und die eine gewisse Ursprünglichkeit ausstrahlen. Ilus Dorf gehört nicht dazu. Zu Touristenführern sind in Muang Sing bis auf eine Ausnahme nur Männer ausgebildet worden. Sie alle kommen aus der Stadt und gehören nicht zur Ethnie der Akha. Diese Guides erzählen den Touristen, dass der gemeindeorientierte Tourismus die traditionelle Lebensweise der Akha bewahren soll. Der Tourismus dürfe so wenig Einfluss wie möglich auf die Kultur der Akha haben. Dies gilt offensichtlich auch für die Akha-Frauen: Diese nehmen in dem Projekt eine Rolle ein, wie sie – vor allem bei Außenstehenden – dem Bild von Akha-Tradition entspricht. Akha-Frauen halten in den besuchten Dörfern die für Touristen erbaute Hütte sauber, holen Wasser für die Gäste, helfen den Guides beim Kochen und massieren Touristen. Zudem sind sie beliebt als „Fotomodelle“, verlangen hierfür aber im Gegensatz zu den Souvenirverkäuferinnen in Muang Sing keine Bezahlung. Andere Tätigkeiten, so erklärt ein laotischer Mitarbeiter des Tourismusprojektes, kämen für Akha-Frauen nicht in Frage: „Sie sind sehr schüchtern und zurückhaltend. Das liegt an den Traditionen der Akha.“ Zudem hätten die Frauen in den Dörfern keinerlei Erfahrung im Umgang mit Touristen. Es sei daher sehr schwer, sie in das Projekt zu integrieren.
Der Widerspruch ist offensichtlich. Eigentlich soll die Entwicklungszusammenarbeit die Frauen stärken und somit gesellschaftlichen Wandel unterstützen. Vor allem für Frauen wie Ilu, die aus armen Familien kommen, sollen Einkommensmöglichkeiten geschaffen werden. Ilu selbst beweist, dass ihr wirtschaftlicher Erfolg ihre gesellschaftliche Stellung im Dorf verbessert. Sie hat nun auch gegenüber Männern mehr Mitspracherecht, wenn es um die Angelegenheiten des Dorfes geht. In ihrer Familie ist sie es, die das Sagen hat.
Gerade den sozialen Wandel möchte der gemeindeorientierte Tourismus in Muang Sing offenbar nicht. Hier steht das Bewahren im Vordergrund. Zwar entspricht das Verkaufen von Souvenirs durchaus den traditionellen Aufgaben von Frauen in der Akha-Gesellschaft. Doch mit den Vorstellungen der Touristen von traditionellen Bergvölkern stimmt das Verhalten dieser geschäftstüchtigen Frauen nicht überein.
Solange im gemeindeorientierten Tourismus die Zielgruppen entsprechend ihrer „Ursprünglichkeit“, nicht aber entsprechend ihres Wissens und ihrer Erfahrungen beteiligt werden, wird Ilu auf den Straßen von Muang Sing weiterhin Touristen ansprechen. Und in den armen Dörfern werden Touristen weiterhin Opium rauchen und dies in Ordnung finden. Wie David, ein junger Backpacker aus Frankreich: „Meine Gastgeberin war arm und ich konnte sie schon mit sehr wenig Geld unterstützen. Ich finde, dass ich damit eine bessere Entwicklungshilfe geleistet habe als die Trekkingtouristen, die ja im Grunde genommen nur die Guides bezahlen.“
Corinne Neudorfer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Ethnologie an der Universität Trier und hat von Januar bis September 2004 in Laos geforscht.
Anm. d. Red.: Zu diesem Beitrag ist Bildmaterial von Corinne Neudorfer über Tourism Watch verfügbar. Bei Interesse wenden Sie sich bitte an: tourism-watch@eed.de
(6.774 Anschläge, 86 Zeilen, September 2006)