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Enteignung im Namen der Archäologie und des Tourismus

Peruanische Bauern erstatten Anzeige vor dem "Ombudsmann des Volkes"


"Wir wehren uns jetzt gegen den andauernden Amtsmißbrauch und die Angriffe durch die Funktionäre des Nationalen Kulturinstituts (Instituto Nacional de Cultura/INC)" sagten María Silva Bardales und José Vargas Lopez und schritten zur Tat. Um sich vor weiteren Übergriffen der Behörden zu schützen, erstatteten sie im September 2000 in Lima Anzeige vor dem "Ombudsmann des Volkes", einer Rechtsinstanz des peruanischen Parlaments.

Hintergrund der Anzeige sind eine Reihe von Schikanen, denen die Anwohner des historischen Ortes Kuélap im Nordosten von Peru durch einen neuen touristischen Entwicklungsplan ausgesetzt sind.

"Das Nationale Kulturinstitut hat von Amts wegen unsere Eigentumsrechte annuliert und Kuélap als ein unantastbares, archäologisch bedeutsames Gebiet mit einer Fläche von 216 Hektar ausgewiesen," begründen die Bauern ihre Anzeige. Sie weisen darauf hin, daß sie und ihre sieben Kinder, 40 Enkel und weitere Urenkel die rechtmäßigen Eigentümer von über 58 Hektar Ackerland sind, das jetzt einfach diesem unantastbaren Gebiet zugerechnet werde. Seit über 80 Jahren lebten sie dort vom Anbau ihrer Feldfrüchte. Schon ihre Vorfahren seien in Kuélap geboren und aufgewachsen. Auf dem landwirtschaftlich genutzten Land gäbe es auch keine archäologischen Funde.

"Unser ganzes Leben lang, schon seit der Zeit unserer Vorfahren, haben wir die archäologischen Überreste von Kuélap geschützt. Als Peruaner respektieren wir das nationale Interesse. Wir können jedoch nicht hinnehmen, daß es uns unserer einzigen Lebensgrundlage - unseres Privatgrundstücks und seiner landwirtschaftlichen Nutzung - beraubt," heißt es in der Anzeige.

Der archäologische Komplex von Kuélap liegt in einem schwer zugänglichen Gebiet in der Provinz Amazonas im Nordosten Perus. Er stellt eines der bedeutendsten architektonischen Zeugnisse der pre-hispanischen Andenkultur dar. Im Zentrum befindet sich eine gewaltige Festungsanlage aus Granitblöcken, mit Festungsmauern von bis zu zwanzig Metern Höhe. In der Umgebung leben heute etwa 30 Bauernfamilien, die unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen Landwirtschaft und Viehzucht betreiben. Die Bevölkerung lebt hier seit Jahrhunderten im Einklang mit ihrem historischen Erbe, das sie als Teil ihrer Identität und als unverfälschtes Werk ihrer Vorfahren respektiert und schützt.

Für den Erhalt der archäologischen Stätte waren die Anwohner nie ein Problem. Probleme traten erst auf, als die damalige peruanische Regierung unter Alberto Fujimori begann, die touristische Entwicklung des Landes voranzutreiben. Sie ließ einige Untersuchungen vornehmen und beauftragte die japanische Regierung, einen Masterplan für die Entwicklung des Tourismus in Peru zu erstellen. Die Studie wurde von der "Japanischen Agentur für Entwicklungszusammenarbeit" (Agencia de Cooperación Internacional del Japón/JICA) erstellt. Zu den darin vorgeschlagenen Maßnahmen zählen auch archäologische Parks, die für besondere Unruhe sorgen. Diese Parks sollen, so heißt es, mit der lokalen Bevölkerung "ko-existieren". Es soll ein Verwaltungssystem entwickelt werden, das die Einteilung in Zonen und das Besucher-Management umfaßt sowie Maßnahmen, die die Beteiligung der ortsansässigen Bevölkerung angeblich fördern sollen, beispielsweise in der Planung. Entwicklung und Management lägen in den Händen des Investors, der für den Komplex die Konzession erwirbt.

Leider entsprechen die Tatsachen nicht diesen Ankündigungen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die Bevölkerung von Kuélap wurde nicht konsultiert, wird vollständig ausgeschlossen, und weiß auch nichts von dem Plan, der vor Ort bereits umgesetzt wird. Der erste Schritt der Regierung war die Verbesserung der Zufahrtsstraße, finanziert durch die chinesische Regierung. Dann wurde ein Gesetz durch den peruanischen Kongress verabschiedet, in dem das Gebiet von 216 Hektar für unantastbar erklärt wurde. Dieses Gesetz wurde als eine Maßnahme zum Schutz der archäologischen Stätte bezeichnet. Das beauftragte Nationale Kulturinstitut informierte zu keinem Zeitpunkt die Anwohner von den Demarkierungsarbeiten und betrat ohne Erlaubnis ihr Land. Die rechtsgültigen Eigentumstitel der Bevölkerung wurden ignoriert, die Beschwerden der Bauern blieben unbeachtet. Ganz offensichtlich entspricht das Vorgehen des INC dem Ziel, das sich auch hinter der Unantastbarkeitserklärung verbirgt. Es geht darum, die Infrastruktur zu entwickeln, um dann die archäologische Stätte und die Region durch ein privates Unternehmen auf Konzessionsbasis kommerziell ausbeuten zu lassen.

"Die Finanzierung der Verbesserung der Zufahrtsstraße durch die chinesische Regierung kommt dem Interesse eines chinesischen Hotel-Konsortiums entgegen, das die Konzession für Kuélap haben will," sagte Federico Kauffman Doig, einer der renommiertesten peruanischen Archäologen. Auf einem Kongreß über Tourismus- Marketing erklärte zudem kürzlich der Direktor der "Kommission für die Förderung von Privatinvestitionen in Peru" (Comisión de Promoción de la Inversión Privada para el Perú/COPRI), seine Kommission sei gerade dabei, Kuélap in ein touristisches Produkt zu verwandeln, um die Konzession für internationale Investoren auszuschreiben.

Im Klartext bedeuten diese Pläne die Vertreibung der Bauern. Anstatt von diesem Tourismusprojekt zu profitieren, wird der Tourismus nun für sie zu einer Bedrohung. Bislang wurde weder eine Umweltverträglichkeitsstudie erstellt noch eine Untersuchung über die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen, die in der Region zu erwarten sind. Die Bauern werden von INC-Funktionären angefeindet und daran gehindert, ihrer täglichen Arbeit nachzugehen. Das INC drohte ihnen sogar, sie durch die Armee vertreiben zu lassen, sollten sie sich nicht von dem Ort zurückziehen.

Vor diesem Hintergrund fordern die Unterzeichner, das Nationale Kulturinstitut möge die Durchführung seiner Entscheidung aussetzen, da diese ihre verfassungsmäßigen Grundrechte verletze. Sie appellieren an den "Ombudsmann des Volkes", bei jedem Projekt, das mit Tourismus in Kuélap zu tun habe, den sozialen Aspekt und ihre Rolle als historische Erben von Kuélap zu berücksichtigen.

Bedauerlicherweise ist der beschriebene Vorgang kein Einzelfall. Er ist Teil der neoliberalen Wirtschaftspolitik der früheren Regierung Fujimoris, die vorsieht, die wichtigsten Ressourcen des peruanischen Staates, einschließlich seines Kultur- und Naturerbes, in private, hauptsächlich ausländische Hände zu übergeben. Diese werden Nutznießer dieser Ressourcen und beuten sie zu ihrem Vorteil aus. Es entsteht eine Situation, die die dramatische Armut und Marginalisierung, unter der die Mehrheit der Peruaner leidet, noch weiter verschlimmert.

(6.821 Anschläge / 87 Zeilen, Dezember 2000, redaktionelle Bearbeitung und deutsche Übersetzung: Christina Kamp)