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Engagement für den Kinderschutz

Drei Fragen an Nguyen Thi Ha, Kinderschutzexpertin bei UNICEF Vietnam


Im Oktober 2013 veranstalteten der Deutsche Reiseverband(DRV) und die Kinderschutzorganisation ECPAT Deutschland in Vietnam einen eintägigen Trainingsworkshop zum Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus. Vertreter der Reisebranche, von Kinderschutzorganisationen, Regierung und Polizei nahmen daran teil. Zu Hintergrund, Ergebnissen und Perspektiven befragten wir Nguyen Thi Ha, Kinderschutzexpertin beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) in Vietnam.

TW: Im vergangenen Jahr haben die Regierung und UNICEF eine Analyse zur sexuellen Ausbeutung von Kindern in Vietnam vorgenommen. Was kam dabei heraus?

Nguyen Thi Ha: In Vietnam leben 90 Millionen Menschen, ein Viertel davon sind Kinder unter 16 Jahren. Als Nation sind wir dem Schutz der Kinder verpflichtet. Wir waren das erste Land in Asien und das zweite weltweit, dass die Kinderrechtskonvention ratifiziert hat, und wir haben in den vergangenen 20 Jahren im Kinderschutz wichtige Erfolge erzielt. Doch die Regierung und UNICEF sorgen sich um die zunehmende Anzahl von Kindern, die besonderen Schutz brauchen. Unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation hat sich in den vergangenen Jahrzehnten verändert. Die Risiken für Kinder haben zugenommen, darunter die Kinderarbeit, die Anzahl der Straßenkinder und Kinder, die sexueller Ausbeutung ausgesetzt sind. Deshalb haben wir gemeinsam diese Studie auf den Weg gebracht, um die Situation der Kinder zu untersuchen und der Regierung aktualisierte Informationen zu liefern, um die Maßnahmen zum Schutz der Kinder zukünftig zu verbessern.

Der Bericht erfasst alle Formen der sexuellen Ausbeutung von Kindern (einschließlich Prostitution, Kinderhandel zu sexuellen Zwecken, Sextourismus und Pornographie). Bei unseren Untersuchungen erfuhren wir, dass all diese Formen in Vietnam vorkommen. Zwar stammt die Mehrheit der Täter aus Vietnam, doch die meisten Kinder berichteten, dass sie auch von Ausländern ausgebeutet wurde – darunter Männer und auch Frauen aus Asien, Europa, den USA, Australien und Afrika. Wir stellten fest, dass die Opfer sowohl Mädchen als auch Jungen waren, sowohl in den Städten als auch auf dem Lande. Das Alter der Opfer sinkt. Die meisten waren zwischen 12 und 15 Jahren alt, das jüngste Opfer in der Studie acht Jahre. Die Straftaten geschehen normalerweise in Hotels und Pensionen. Einige ausländische Sextäter operieren in organisierten Netzwerken, andere allein. 2005 – 2006 wurden innerhalb von 18 Monaten sieben Ausländer wegen sexuellen Straftaten an vietnamesischen Mädchen und Jungen verhaftet. Sie stammten aus den USA, Großbritannien, Australien, Deutschland und Österreich.

Die größte Wirkung der Studie ist, dass die Regierung von Vietnam sich dazu verpflichtet hat, den ersten nationalen Aktionsplan zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit einschließlich des Kinderhandels und der kommerziellen sexuellen Ausbeutung von Kindern zu entwickeln. Die Regierung hat UNICEF gebeten, die Entwicklung dieses wichtigen Aktionsplans zu unterstützen.

TW: Hat der Workshop mit deutschen Partnern Ihnen geholfen, konkrete Maßnahmen zum Schutz der Kinder auf den Weg zu bringen?

Nguyen Thi Ha: Wir wollen nicht, dass unser Bericht in Büroregalen landet, sondern wollen positive und praktische Maßnahmen zum Schutz der Kinder in Vietnam auf den Weg bringen. Natürlich beginnen wir bereits mit Schritten auf nationaler Ebene, doch es ist ermutigend zu wissen, dass wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft haben. Wir arbeiten daher gerne mit dem DRV und ECPAT Deutschland zusammen, die in Hanoi einen fachbezogenen Trainingsworkshop zum Schutz der Kinder im Tourismus unterstützt haben. Dieser Workshop erreichte über 30 Tourismusprofis und Nichtregierungsorganisationen und lieferte ihnen wertvolle Informationen über die Risiken von Kindersextourismus und wie dieser sich im Tourismussektor verhindern lässt. Wir bekamen von den Workshopteilnehmern sehr positives Feedback und haben erfahren, dass sie bereits sehr gute Maßnahmen zum Schutz der Kinder ergriffen haben.

Die Unterstützung durch den DRV und ECPAT Deutschland ergab sich aus der Präsentation unseres Berichts bei der UNWTO Child Protection Taskforce zur ITB im März 2013 in Berlin. Es war das erste Mal, dass Vietnam die Situation in Bezug auf die sexuelle Ausbeutung von Kindern einem internationalen Publikum vorstellen konnte. Wir danken unseren deutschen Kollegen dafür, dass sie bereit sind, Vietnam dabei zu helfen, Kinder auf sehr praktische Weise zu schützen.

TW: Was sind die größten Herausforderungen, um Kinderrechte besser durchzusetzen und den Schutz von Kindern im Tourismus in Vietnam voranzubringen?

Nguyen Thi Ha: Der Tourismus in Vietnam wächst. Im Jahr 2012 verzeichneten wir über sechs Millionen internationale Touristenankünfte. Die Touristen kommen vor allem aus unserer Region (einschließlich China, Südkorea und Japan), doch wir heißen auch viele Touristen aus den USA, Russland, Australien, Deutschland und Großbritannien willkommen. Der Tourismus spielt eine äußerst wichtige Rolle bei der sozio-ökonomischen Gesamtentwicklung unseres Landes. Der größte Teil des Tourismus ist positiv und wir erkennen an, dass der Tourismus nicht die Ursache des Kindersextourismus ist.

Wir sind uns jedoch der Tatsache bewusst, dass Südostasien eine Destination für Ausländer ist, die Kinder sexuell missbrauchen, und einige von ihnen kommen nach Vietnam. Deshalb ist die vietnamesische Regierung insbesondere einem verantwortlichen und nachhaltigen Tourismus verpflichtet, der den Gemeinschaften und den Kindern keinen Schaden zufügt. Wir wissen, dass die Entwicklung des Tourismus ohne präventive Maßnahmen mit erhöhten sozialen Risiken einhergeht, einschließlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern in touristischen Zielgebieten. Deshalb haben wir strenge Gesetze, Kontrollen und Strafen. Es gibt jedoch noch immer Reisende, die in der Absicht nach Vietnam kommen, Sex-Verbrechen an Kindern zu begehen. Sie reisen nicht nur in die großen Städte, sondern auch in abgelegene Orte. Zwar kommt Kindersextourismus für gewöhnlich in großen Städten zur Anzeige, doch es gibt Hinweise darauf, dass diese Verbrechen auch anderswo begangen werden, auch in abgelegenen Gegenden und Bergregionen. Wir richten unsere Aufmerksamkeit nun auch auf diese Gebiete.

Die wichtige Initiative von DRV und ECPAT Deutschland hat uns geholfen, relevante Akteure zusammenzubringen und ein Bewusstsein zu schaffen, wie wir alle zum Schutz der Kinder zusammenarbeiten können. Der Schutz von Kindern liegt in der Verantwortung aller. Keine Organisation kann dies alleine.

Weitere Informationen:An Analysis of the Commercial Sexual Exploitation of Children in Selected Provinces and Cities of Viet Nam. Vietnam Ministry of Labour, Invalids and Social Affairs/UNICEF, August 2011. Download: www.unicef.org/vietnam/resources_20191.html

(6.628 Zeichen, Dezember 2013)